In diesen Wochen, da einige europäische Meisterschaften den Betrieb schon aufgenommen haben und andere nicht, ist für die Fussballtrainer auch immer der Spielplan ein Thema. Und so blickt der Russe Leonid Slutski im Medienzentrum des GelreDome-Stadions von Arnheim nicht nur auf das Hinspiel der dritten Qualifikationsrunde zur Europa League zurück, sondern referiert auch über sein Leid. Eine halbe Stunde zuvor verlor er mit Vitesse 0:1 gegen den FC Basel, der bereits fünf Meisterschaftsspiele absolviert hatte, drei davon in der Liga, und Slutski sagt: «Das ist ein massiver Vorteil.»
Der ehemalige russische Nationaltrainer kennt die Situation aus seiner Zeit in der russischen Liga, die wegen des kalten Winters ebenfalls bereits begonnen hat. Vor knapp einem halben Jahr hat Slutski den holländischen Erstligisten übernommen und sich in den ersten beiden Ernstkämpfen gegen den rumänischen Vertreter FC Viitorul für das Duell mit Basel qualifiziert. Für Vitesse beginnt die Liga dieses Wochenende, Slutski steht jetzt plötzlich auf der Seite jener Vereine, die ohne Meisterschaftsminuten an der Europacup-Qualifikation teilnehmen.
Gerade wenn es Spitz auf Knopf steht, kann das entscheidend sein. Zumindest ist es ein Teil der Erklärung, warum sich der FC Basel mit einem Tor in der 93. Minute gegen die Nummer 176 der UEFA-Klubrangliste durchsetzte. Der ehemalige Arnheimer Ricky van Wolfswinkel erzielte vor 11’500 Zuschauern im GelreDome den Treffer, weil Vitesse zu hoch stand und den Sieg anstrebte, anstatt ein vielversprechendes 0:0 mit ins Rückspiel zu nehmen.
Slutski sagt: «Wir wollten eigentlich tiefer stehen. Aber mit der Müdigkeit, die auf die Spieler ähnlich wirkt wie Stress, ist es schwierig, die Kontrolle zu behalten. Wir waren die ganze Partie hindurch aktiv und aggressiv und müssten in den ersten Minuten eigentlich drei Tore erzielen. Ich bin einfach nur sehr, sehr, sehr enttäuscht.»
Balanta im zentralen Mittelfeld überrascht Arnheims Trainer
Der 47-Jährige wirkte niedergeschlagen, auch wenn er zum Schluss die branchenüblichen Parolen bemühte: Vitesse habe alle Möglichkeiten im Rückspiel. Aber Slutski weiss um die Chance, die Vitesse verpasst hat gegen einen FCB, der auch das zweite Spiel unter Trainer Marcel Koller gewann, dabei aber Schwächen offenbarte.
Über Silvan Widmers rechte Abwehrseite gelang Vitesse viel, Valentin Stocker überzeugte auf der linken Aussenbahn selten, Eray Cümart wirkte zuweilen unsicher. Der FCB konnte vor allem in der ersten Halbzeit «nicht umsetzen, was wir uns vorgenommen hatten», sagt Koller. Die Basler ermöglichten den Holländern ein flüssiges, agiles Spiel mit vielen Seitenwechseln und zehn Abschlüssen, davon sechs auf das Tor. Dort brauchte es einen Jonas Omlin, der abermals einen sicheren Eindruck hinterliess, auch bei den vielen Rückpässen, mit denen der FCB sich aus der Abwehr zu lösen versuchte.
Koller stand zum ersten Mal seit der Saison 2003/04 wieder auf der Bühne des europäischen Klubfussballs. Und in seinem 18. Europacup-Spiel gelang ihm ein taktischer Kniff, über den sein Antipode Slutski sagt: «Das hat für uns zwar nicht alles verändert, aber die Umstellung hat mich doch überrascht.» Koller setzte wegen Geoffroy Serey Diés Verletzung im zentralen defensiven Mittelfeld auf Eder Balanta; auf den Innenverteidiger also, der unter Interimstrainer Alex Frei auch schon Aussenverteidiger spielte.
Koller wird seit seinem Antritt vor einer Woche nicht müde zu betonen, wie wenig Zeit er für Trainingseinheiten habe. Vieles vermittle er den Spielern theoretisch, für die praktische Umsetzung in den Trainings ist der Spielplan zu eng. Der Trainer will vor allem in die «Köpfe der Spieler kommen», wie er sagt, sie kennenlernen, ihnen Vertrauen schenken.
Gerade deswegen erstaunt es, dass der Trainer im Zentrum auf Balanta setzte, der ebenda lediglich beim Nachwuchs gespielt hatte, auf höchstem Level aber noch nie. In einer einzigen Trainingseinheit musste sich Balanta an die Position gewöhnen. Koller sagt: «Aus meiner Sicht hat er ein sehr gutes Spiel gemacht. Eder ist unglaublich zweikampfstark und ist die Aufgabe mit viel Willen angegangen.»
Balantas Zentrumspartner Fabian Frei sagt: «Eder braucht mehr Hilfe als Serey Dié. Es war sicher nicht einfach, die Aufgabe ist auch konditionell schwierig, man ist im Zentrum viel unterwegs und die Abläufe sind anders. Aber es spricht für Eder und seine Qualitäten, dass er schnell in die neue Position fand.» Balanta interpretierte die Rolle offensiv, stiess immer wieder nach vorne oder bereitete mit vertikalen Bällen Chancen für die Stürmer vor, wie jene Albian Ajetis nach gut einer halben Stunde.
Koller ist anders als sein Vorgänger Raphael Wicky nicht mehrsprachig und wird dem Kolumbianer Balanta seine Ideen auch mit der Übersetzungshilfe des argentinischen Assistenztrainers Carlos Bernegger vermittelt haben. Frei hat es auf dem Platz einfacher, er hat in der Schule Spanisch gelernt und sich später in dieser Sprache weitergebildet.
Koller will die Hierarchie im Team belassen
Ohnehin hat sich in Sachen Sprache eine Kleinigkeit geändert beim FC Basel. Die jungen Spieler siezen den Trainer, und Frei kann sich zum «Du» auch nicht durchringen. Er nenne den Trainer einfach «Coach», sagt der 29-Jährige und erklärt: «Marcel Koller ist eine absolute Respektsperson. Es gibt kein kumpelhaftes Verhältnis wie mit Raphael Wicky, mit dem das nur schon aufgrund des Alters so war.»
Koller will in diesen Tagen auch am zwischenmenschlichen Umgang arbeiten, für ihn «sind Kleinigkeiten entscheidend», wie er am Tag vor dem Spiel gesagt hatte. Zwar wagte er mit der Wahl Balantas für das Zentrum fussballerisch etwas Neues, aber ansonsten will er nicht von Anfang an alle neuen Ideen reinbringen. So will der Trainer zum Beispiel an der Hierarchie nichts verändern. «Wir haben genügend Arbeit und müssen nicht noch selbst Baustellen schaffen», sagt Koller.
Eine erste Baustelle ist resultattechnisch einwandfrei abgeschlossen. Der FC Basel hat sich in Abwesenheit von Präsident Bernhard Burgener und des erkrankten Sportchefs Marco Streller mit dem 1:0-Sieg in Holland eine gute Ausgangslage geschaffen, um am kommenden Donnerstag im St.-Jakob-Park in die Playoffs der Europa-League-Qualifikation einzuziehen. Dort würde er aller Voraussicht nach auf die Zyprioten von Apollon Limassol treffen, die das Hinspiel gegen Dynamo Brest 4:0 gewonnen haben.
Wie Arnheim wird Limassol dann noch nicht im Meisterschaftsrhythmus sein. Die Playoff-Hinspiele finden am 23. August statt, die zypriotische Liga startet zwei Tage später.