Die Rugby-WM geht in die entscheidende Phase. Am Wochenende stehen die Viertelfinals an, vier Teams aus der nördlichen Hemisphäre treffen auf vier Mannschaften aus dem Süden. Dabei kommt es zum Klassiker zwischen Neuseeland und Frankreich. Les Bleus greifen in der Vorbereitung zu ihrem bewährten Mittel: einer Meuterei gegen den Trainer.
Das Twickenham Stadium ist der Tempel des Rugbysports.
(Bild: Reuters/Andrew Couldridge)Impressionen aus einem Gedränge der Vorrundenpartie Australien gegen Wales. Die Australier siegen am Ende mit 15:6.
(Bild: STEFAN WERMUTH)Duell in der Luft: Nach einem Einwurf kämpfen Devin Toner und Yoann Maestri um das Ei. (Bild: Reuters/Henry Browne)
Kampf am Boden: Die Iren halten die Ball besitzenden Franzosen in Schach und gewinnen das Vorrundenspiel mit 24:9. Frankreich qualifiziert sich dennoch für die Viertelfinals. (Bild: Reuters/Herny Browne)
Den Angreifer aufhalten, mit allen Mitteln! Der Amerikaner Phil Thiel versucht, den Japaner Ayumu Goromaru an einem Versuch zu hindern. (Bild: Reuters, Andrew Boyers)
Die Argentinier um Matias Alemanno feiern nach dem deutlichen Sieg gegen Namibia. (Bild: Reuters/Darren Staples)
Die Waliser traineren vor ihrem Viertelfinale gegen Südafrika (Samstag, 17.00 Uhr). (Bild: Reuters/Andrew Boyers)
Die Australier bereiten sich auf ihr Viertelfinale gegen Schottland (Sonntag, 17.00 Uhr) vor. (Bild: Reuters / Peter Cziborra)
Rugby ist eine königliche Angelegenheit. Die Queen begrüsst den Coach der Argentinischen Mannschaft, Daniel Hourcade, im Buckingham Palace. (Bild: Reuters/Dominic Lipinski)
Auch Prinz Harry präsentiert sich gerne als Rugby-Fan. Am Empfang im Buckingham Palace unterhält er sich mit dem Coach und dem Captain der englischen Nationalmannschaft. (Bild: Reuters/Anthony Devlin)
Bezüglich der Rugby-Weltmeisterschaft in England überschlugen sich zuletzt die Lobeshymnen und Rekordmeldungen. Ob Zuschauer, Einnahmen, globales Interesse – alles Spitzenwerte. 2,5 Millionen verkaufte Tickets, sieben Millionen Zuseher allein beim TV-Sender Eurosport. In Japan, dem Ausrichter der nächsten WM, soll die Zahl der Fans vor dem Fernseher nach dem Sensationssieg gegen Südafrika von 800’000 auf zuletzt 25 Millionen explodiert sein.
Leidenschaft, physische Intensität und Fairness werden weltweit vor allem in den Zeitungen und Online-Seiten der Nicht Rugby-Nationen besungen. Erinnert wird an die Amateure aus Uruguay, denen der erste Versuch (Try) bei einer WM nach zwölf Jahren gelang. An die Rumänen, die nach 0:15-Rückstand gegen Kanada das grösste Comeback der WM-Geschichte schafften (17:15) und an all die braven Kämpfer aus Ländern wie Namibia, Georgien oder Tonga, die nie aufgaben, wenn es gegen die Grossen ging.
Und die sind ab jetzt erwartungsgemäss unter sich. Mit Australien, Südafrika, Neuseeland, Wales, Irland, Frankreich, Schottland und Argentinien treffen die Top-Nationen aufeinander. Viermal das Duell Nord- gegen Südhalbkugel. Eigentlich sollte auf rein sportlicher Ebene die Frage beantwortet werden, in welche Hemisphäre sich die Machtverhältnisse im Union Rugby bewegen.
Frankreich als Bad-Boy der Rugby-Szene
Doch wann immer die von den Commonwealth-Staaten dominierte Rugby-Party droht, zu artig zu werden, kann man sich auf einen bösen Buben verlassen, der die Gläser von der Tafel fegt: Frankreich.
2011: Der neuseeländische «Haka» und der französische Keil:
48 Stunden vor dem Viertelfinale gegen Neuseeland haben die Blauen es nun wieder getan: die Spieler haben während des Turniers ihren Trainer entmachtet. «Discreetly dismissed» – diskret entlassen – übertitelten die Zeitungen die Rebellion gegen Philippe Saint-André. Eine «omertà» – eine Schweigepflicht sei für die Mannschaft verhängt worden, konnte man in der französischen Zeitung «L’Obs Sport» lesen. Dafür war man im weiteren Text umso grosszügiger mit den Details.
Die Mehrheit der Spieler hatte sich – vor allem nach der desaströsen Niederlage gegen Irland im letzten Gruppenspiel – über das fehlende Charisma des Trainers beschwert. «Sie sehen PSA (Philippe Saint-Andre) als einen guten Kumpel und grossartigen Ex-Spieler, aber nicht als die Führungsfigur, welche die Mannschaft jetzt dringend benötigt.» Manche Spieler hätten schon jetzt Blei in den Füssen und glaubten nicht an einen Sieg gegen die übermächtig scheinenden All Blacks. Das Team habe sich um Kapitän Thierry Dusautoir versammelt und träfe ab jetzt seine eigenen Entscheidungen.
French revolution? Revolucion francesa? @lequipe lance „l’appel à la révolte“ des #Bleus pour quart #RWC2015 #FRANZL pic.twitter.com/WJHSq5M9Bb
— Rugby 2015 en tweets (@TweetsRugby2015) 13. Oktober 2015
Die Meuterei gegen den Trainer während eines Turniers würde bei anderen Nationen ein mittelschweres Erdbeben auslösen. Doch bei den Franzosen hat das schon fast System. Schon 2011 in Neuseeland galt das Team als zerstritten. Trainer Marc Lievremont hatte seine Spieler als «undisziplinierten Haufen voller hochnäsiger und egoistischer Jungen» beschimpft und wurde dann selbst zum Ziel rüder Attacken aus Umfeld und Presse.
Das «Einer-gegen-Alle-Gefühl»
Nur ein Jahr zuvor war die französische Fussballnationalmannschaft in Südafrika durch ihre desaströse Performance aufgefallen. Nicolas Anelka hatte seinen Trainer Raymond Domenech schwer beleidigt, die Mannschaft war in einen Trainingsstreik getreten und Thierry Henry musste später bei Präsident Nicolas Sarkozy im Elysee-Palast zum Rapport antanzen.
«15 gegen den Rest der Welt» hatte Frankreichs damaliger Starspieler Dimitri Yachvilies 2011 vor dem Finale der Rugby-Weltmeisterschaft die Lage der Franzosen bezeichnet. Auch die «Libération» erkannte in dem «Einer-gegen-Alle-Gefühl» eine alte Stärke von «Les Bleus». «Vor den beiden Siegen gegen die All Blacks bei den Weltmeisterschaften 1999 und 2007 war die Situation die gleiche», so die französische Tageszeitung, «sie hatten Angst, wurden beleidigt, sie waren angezählt und sind genau deshalb über sich hinausgewachsen.»
Die All Blacks aus Neuseeland dürften das Durcheinander im Lager der Franzosen mit gemischten Gefühlen sehen. Gegen Mannschaften mit einer klaren Ordnung brillieren die Kiwis fast immer. Doch nichts fürchten sie so sehr, wie das unvorhersehbare Spiel der Franzosen, die der englische «Guardian» mal mit Kiste voller verrückt gewordener Frösche verglich, bei der man nie wüsste, was als nächstes herausspringt.
Mit der Meuterei gegen den Trainer haben sich die Les Bleus wieder jenen Thrill gegeben, den sie immer dann zu benötigen scheinen, wenn es gegen die Schwarzhemden geht. Und für die heisst das meist nichts Gutes.
Der «Lieblingsgegner» der Franzosen
Schon 1999 und 2007 hatten die Franzosen die hoch favorisierten All Blacks aus dem Turnier befördert. Die erste Partie ging als blutige Schlacht von Twickenham in die Weltmeisterschaftschronik ein. Beim zweiten Aus traf man sich auch im Viertelfinale im Millenium Stadium zu Cardiff, wie jetzt wieder am Samstagabend.
Die «Schlacht von Twickenham» wird der WM-Viertelfinal 1999 genannt:
Neuseelands Trainer Steve Hansen hatte bei der gestrigen Pressekonferenz allerdings einen anderen Vergleich parat. Beide Länder verbinde eine ebenso lange wie intensive Beziehung sagte Hansen mit süffisantem Unterton. «Und abgesehen von der ‹Rainbow Warrior› waren wir immer mehr oder weniger auf derselben Seite.»
1985 hatte der französische Geheimdienst im Hafen von Auckland auf einem Schiff von Greenpeace eine Bombe gezündet. Dabei war ein Mitglied der Besatzung ums Leben gekommen. Der Fall hatte die Beziehungen zwischen Neuseeland und Frankreich über Jahre schwer belastet.
Gespannt sein darf man am Samstagabend nicht nur auf das Spiel, sondern auch auf die Überraschung, welche die Franzosen für ihren Lieblingsgegner schon vor dem Spiel bereithalten. Die Aufführung des «Haka» bleibt von den Gegnern normalerweise ungestört. Vor dem Finale 2011 jedoch, in dem die Gallier als besseres Team denkbar knapp unterlagen, formierte sich das Team der Franzosen zu einem Keil mit Kapitän Thierry Dusautoir an der Spitze. Dieser marschierte entschlossen auf die überraschten All Blacks zu.
Für das Übertreten der Mittellinie wurden die Franzosen mit einer Busse von 2500 Pfund bestraft.
Die Spiele werden auf Eurosport übertragen | Mehr zur Rugby-WM: Webseite des Turniers und Wikipedia | |||
Rugby-Weltmeisterschaft in England und Wales | |||
---|---|---|---|
|
|
|
|
Sa, 17. Oktober | 17.00 | London, Twickenham | Südafrika – Wales |
Sa, 17. Oktober | 21.00 | Cardiff, Millenium Stadium | Neuseeland – Frankreich |
So, 18. Oktober | 14.00 | Cardiff, Millenium Stadium | Irland – Argentinien |
So, 18. Oktober | 17.00 | London, Twickenham | Australien – Schottland |
|
|||
Sa, 24. Oktober | 17.00 | London, Twickenham | Sieger Viertelfinale 1 – Sieger Viertelfinale 2 |
So, 25. Oktober | 17.00 | London, Twickenham | Sieger Viertelfinale 3 – Sieger Viertelfinale 4 |
|
|||
Fr, 30. Oktober | 21.00 | London, Olympic Stadium | Verlierer Halbfinale |
|
|||
Sa, 31. Oktober | 17.00 | London, Twickenham | Sieger Halbfinale |