«Das Schweigen war sein Problem», urteilt der international renommierte Jurist Luis Moreno Ocampo über Joseph Blatters Gebaren. Der ehemalige Fifa-Präsident, selbst Teilnehmer einer lebhaften Podiumsdiskussion an der Universität Basel, fühlt sich dadurch brüskiert.
Zum Ende hin, oder im Blatter-Jargon: in der Nachspielzeit, setzte der Mann aus Buenos Aires zu einer knallharten, aber sauberen Grätsche an, die jedem seiner Fussball spielenden Landsleute zur Ehre gereichen würde.
Joseph Blatter sei nicht für alles verantwortlich, was im Fussballweltverband Fifa schief gelaufen ist, sagte Luis Moreno Ocampo, «das Problem war sein Schweigen. Und Schweigen hilft nicht, der Korruption Einhalt zu gebieten.»
Das war das Schlusswort des Professors der Rechtswissenschaften, der an der Universidad de Buenos Aires, Yale und Harvard unterrichtete und der von 2003 bis 2012 als Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag fungierte.
Zwei Stunden in bewährter Blatter-Manier
Es war ein schonungsloses Plädoyer Ocampos nach einer Podiumsdiskussion der Universität Basel, die rund 500 Menschen im Grossen Hörsaal an der Hebelstrasse verfolgten. Neben Ocampo sass Sepp Blatter auf dem Podium und kochte vor Wut.
Zwei Stunden Blatter an der Universität Basel – die Podiumsdiskussion in ihrer ganzen Länge:
Dabei hatte der Walliser die knapp zwei Stunden in bewährter Blatter-Manier absolviert. Hatte kurz aufkeimende Proteste aus dem Auditorium abgebügelt («Schämen Sie sich!»). Er liess den Charme des jovialen älteren Herrn (kürzlich ist der 80 geworden) wirken, konterte sachliche und schärfer vorgetragene Fragen und Stellungnahmen aus dem Publikum. Und er übte sich in den üblen Ausflüchten was WM-Vergaben, Diskriminierung und Arbeitsbedingungen in den Ausrichterländern sowie alle die anderen Fifa-Skandale anbelangt.
Er hatte auch eine Spitze im Köcher, als es um die ominösen Millionen in den Büchern des Sommermärchen-Veranstalters Deutschland ging: «Der DFB, der sagt selbst über sich, er ist der grösste Sportverband der Welt. Und wenn der nicht imstande ist, seine eigenen Probleme intern zu lösen, dann, ganz ehrlich gesagt, stimmt doch etwas nicht mehr.»
«Ich bereue, was ich nicht getan habe»
Seit gut einem halben Jahr ist Blatter selbst von der Fifa aus dem Verkehr gezogen. Ironischerweise von jenen Instanzen, die sein Gastgeber am Freitag, der Basler Strafrechtsprofessor Mark Pieth, im Auftrag von Blatters Fifa geschaffen hat.
Wie sehr ihm die Fifa nach wie vor Lebensinhalt und -werk bedeutet, verdeutlichte ein Nebensatz Blatters: «Ich bin zwar nicht mehr bei der Fifa, aber ich verteidige sie.»
Protest gegen die Fifa im Hörsaal der Universität Basel, der Joseph Blatter entgegnete: «Schämen Sie sich!» (Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)
Ja, Blatter verstieg sich auf Nachfrage eines Studenten («Gibt es etwas, das Sie bereuen?») sogar zu der Aussage: «Ich bereue nichts, was ich getan habe. Ich bereue, was ich nicht getan habe, das ich nicht genug getan habe, die Fifa auf den rechten Weg gebracht zu haben. Es war falsch, nicht genug Energie zu haben. Der Wille war da.» Mit einer Weisheit («Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann») verabschiedete sich Blatter in Basel.
Ocampos messerscharfes Urteil
Aber dann musste der Walliser noch Ocampos Schlusswort über sich ergehen lassen. Der Professor legte Wert auf die Feststellung, dass die vor allem den Rechteverkauf betreffenden Ermittlungen in Südamerika und jene des FBI von den USA aus Blatter selbst nicht persönlich betreffen.
Luis Moreno Ocampo: Erst war der argentinische Jurist ein aufmerksamer Zuhörer, dann sprach er ein knallhartes Plädoyer. (Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)
Einmal abgesehen von der Zwei-Millionen-Gentlemen-Agreement-Überweisung von Blatter an den europäischen Kontinentalpräsidenten Michel Platini. Über diese Zahlung ist Blatter nach all den Jahren an der Spitze des Skandalsumpfes Fifa schliesslich doch noch gestoplert. Und nun gegen eine sechsjährige Sperre von allen Funktionen im Fussball ohne grosse Aussicht auf Erfolg ankämpft.
Ocampo also findet: «Das Problem ist Blatters Schweigen.» Und der versierte Jurist fragt: «Auch wenn er nicht involviert war: Warum hat er geschwiegen?»
Ocampos messerscharfe Schlussfolgerung lautet:
«Er hatte zwar nichts mit dem Kontinentalverbäden und den Machenschaften zu tun. Er hatte nichts damit zu tun, wenn sein Generalsekretär Tickets verkaufte, aber er wusste davon. Wenn er nicht gewusst hätte, was läuft, wäre er ein schlechter Präsident gewesen, und das war er nicht. Das Schweigen gab ihm die Möglichkeiten, jedermann zu steuern und den Ball in Bewegung zu halten.»
Blatter: «Das war eine Frechheit von Ocampo»
Blatter muss sich im Hörsaal der Uni Basel vorgekommen sein wie eine Mannschaft, die in der Nachspielzeit den nicht mehr für möglich gehaltenen Gegentreffer kassiert und darauf nicht mehr reagieren kann.
Anders ausgedrückt, war es – im Blatter-Jargon – ein Foul Ocampos, ein verbaler Tritt vors Schienbein, der ihn unvorbereitet traf und sichtlich wehtat.
Engagierte Wortmeldungen aus dem Publikum: Die Podiumsdiskussion der Universität Basel zum Thema Fifa und Reformen. (Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)
In bekannt larmoyanter Art setzte Blatter sich anschliessend vor Journalisten zur Wehr:
«Es war eine Frechheit, dass Ocampo das gesagt hat. Er hätte mir ja sagen können, dass er das sagen will. Aber das sagt man doch nicht, das ist nicht korrekt, das ist nicht fair. Es stimmt auch nicht. Die Fifa hat keinen Einfluss auf das, was die Konföderationen tun, und ich bin nicht der moralische Hüter für diese Leute.»
Studierende wollen Fifa Reformvorschläge unterbreiten
Einen ehemaligen Chefankläger in Den Haag wird Blatters Furor nicht gross kümmern, und Mark Pieth wird eine diebische Freude an der lebhaften Podiumsdiskussion und ihrem knackigen Schlusstakt haben.
Da hatten sich die Zuhörer schon zerstreut, und die Studierenden der juristischen Fakultät haben zum Ende ihres einwöchigen Seminars genügend frischen Stoff erhalten für ihre akademische Übung, die Struktur der Fifa zu untersuchen und Ideen zu entwickeln, wie der Reformweg weitergehen könnte.
Das Ergebnis soll auch Blatters Nachfolger, Landsmann Gianni Infantino, präsentiert werden. Der hat, um auch hier in der Fussballsprache zu bleiben, mit den Enthüllungen der Panama Papers eine erste Chance bei der Imagekorrektur glatt versiebt.