Eine Szene mit dem Hang zum Nahkampf

Dass sich Kampfsportler ausserhalb des Rings verprügeln wie am Montag in Reinach, ist die krasse Ausnahme. Übertriebene Solidarität zeichnet die Szene aber auch nicht aus. Ein Grund ist der Existenzdruck.

Gefahr von Wildwuchs: In der Schweiz kann jeder, der will, eine Kampfsportschule eröffnen. (Bild: Nils Fisch)

Dass sich Kampfsportler ausserhalb des Rings verprügeln wie am Montag in Reinach, ist die krasse Ausnahme. Übertriebene Solidarität zeichnet die Szene aber auch nicht aus. Ein Grund ist der Existenzdruck.

Was klingt wie der Beginn eines Groschenromans, ist am Montag in Reinach blutige Realität geworden: ein Überfall auf eine Kampfsportschule, vermummte Schläger, eine Abrechnung unter zwei erbitterten Rivalen, die sich um die Vormachtstellung im regionalen Kickboxen prügeln, mehrere Schwerverletzte.

Es ist eine lange Fehde, die so einen unrühmlichen Tiefpunkt erreicht hat. Der mutmassliche Hauptaggressor P. B. und der angegriffene Shemsi ­Beqiri waren einst Trainer und Schützling. Doch seit Beqiri sein eigenes Kampfsportzentrum eröffnet hat, verbindet die beiden eine erbitterte Feindschaft.

Beqiri fischte gleich doppelt in den Gewässern seines ehemaligen Trainers. Einerseits als Betreiber einer konkurrierenden Kampfsportschule, andererseits als Organisator von Kampfsport-Events in der Region.

Ein guter Draht zu «Telebasel»

Gerade bei Letzterem war die Familie Beqiri ausserordentlich umtriebig. Und sie verfügte über hervorragende Verbindungen zu Telebasel, wo die Beqiri-Brüder und ihre Trainer regelmässig eine Plattform erhielten. Der lokale TV-Sender übertrug nicht nur Beqiris «Superpro Fight Night» live. Telebasel lud auch regelmässig in die Sendungen «Telebar» und «061Live», wo die Beqiris jeweils reichlich unkritisch als «Kickbox-Stars» verkauft wurden.

B. erlebte, wie ihm Beqiri in der medialen Beachtung den Rang ablief. Und der wiederum liess keine Gelegenheit aus, um über seinen ehemaligen Trainer zu lästern. Die Beleidigungen und Drohungen, die beide Seiten zum Teil öffentlich via Facebook austauschten, bieten der Kampfsportszene seit Längerem Gesprächsstoff.

Bereits 2012 kam es zu einer tät­lichen Auseinandersetzung zwischen Shemsi Beqiri, einem seiner Brüder und einem Mitglied von B.s Kampfschule – am helllichten Tag in der Freien Strasse. Beqiri wurde danach wegen einfacher Körperverletzung zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt, der Widersacher in der Folge wegen mehrfacher Drohung.

Ein Problem für die ganze Kampfsportszene

Spätestens hier war der Konflikt zum Problem für die Kampfsportszene ganz allgemein geworden. Dass ausgerechnet der vorbestrafte Beqiri Teil der Sonderbetreuung des jugendlichen Straftäters «Carlos» war, dessen Fall für grosse Schlagzeilen sorgte, machte die Sache nicht besser.

Was aber sagt die absurd anmutende Fehde aus über die Kampfsportszene in der Region? Einerseits gar nichts. Natürlich sind Wildwestprügeleien nicht Alltag in den Kampf­sport­zentren. Die meisten vermitteln ihren Sport als Lebensschule, der helfen soll, Aggressionen in die richtigen Bahnen zu lenken. Andererseits aber werden im Konflikt zwischen B. und Beqiri einige Punkte sichtbar, die die gesamte Branche betreffen – wenn auch auf grotesk überspitze Art und Weise.

WM-Titel wie Sand am Meer

Da sind etwa die inflationär auftretenden Titel. Beqiri wird wahlweise als zehn- oder elffacher Weltmeister geführt, Widersacher B. gilt als siebenfacher Weltmeister. Den Wert dieser Titel aber kann kaum jemand nachvollziehen.

«Es gibt in der Schweiz fast unendlich viele sogenannte Welt- oder Europameister», sagt Zeno Streich, Präsident der Swiss Combat Sports Federation, des Schweizer Dachverbands für Kickboxen und Wushu. Sein Ziel wäre es, die Titelflut einzudämmen, was aber nicht einfach ist: «Viele Schulen arbeiten mit diesen einfach zu erringenden Titeln, weil es schlicht gute Werbung ist, wenn ein Weltmeister bei ihnen trainiert.»

Im Fall zwischen B. und Beqiri auf die Spitze getrieben: die Rivalität unter den verschiedenen Kampfsportschulen oder auch Stilrich­tungen. Sie wird sonst nicht handgreiflich ausgetragen. Aber die Szene kennt sich – und hat nicht nur im Ring einen Hang zum Nahkampf. Auch daneben wird gerne über den anderen hergezogen, Erfolge der Konkurrenz werden klein geredet, Trainingsmethoden angezweifelt.

Jeder darf ein Kampfsportzentrum eröffnen

Es sind zwei verknüpfte Gründe, die zu einer gewissen Neidkultur führen. Während Kampfsportschulen in Frankreich oder Italien nur mit einer Lizenz eröffnet werden dürfen, kann in der Schweiz dank der Handels- und Gewerbefreiheit jeder und jede eine Kampfsportschule gründen, ohne dass dazu ein Fähigkeitsausweis nötig wäre. Die Folge: viele Schulen, die um ihr Überleben kämpfen. Allein in der Region Basel sind im Telefonverzeichnis unter dem Stichwort «Kampfkunst» 34 Anbieter zu finden.

«Wer nicht durch Bund oder Kanton subventioniert wird, steht unter Existenzdruck», stellt Damian Mohler fest, Leiter der Kampfkunstschule Tian Long Guan. Er war Präsident der IG Kampfsport Basel, die 2005 gegründet wurde, um in der Basler Kampfsportszene einen Minimalstandard einzuführen, was etwa die Ausbildung der Trainer oder die Ausstattung der Übungsstätten betrifft.

Die IG aber hatte nicht lange Bestand. Und so fehlt weiterhin so etwas wie ein Qualitätslabel für Kampfsportzentren, an denen sich Kunden orientieren könnten. Mohler hat trotzdem einen Tipp für jene, die gerne in einer Kampfsportschule trainieren möchten und nun verunsichert sind: «Man sollte genau schauen, wer die Kurse gibt, und auf sein Bauchgefühl hören.»

Halten sich auch die bisherigen Kunden von B. und Beqiri an diesen Rat, könnten ihre Kampfsportschulen demnächst einen grösseren Mitgliederschwund erleben.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 28.02.14

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