Erbarmungswürdig

Eine Mannschaft, die sich beim 1:7 gegen die Young Boys in nichts auflöst: Der FC Basel erlebt in Bern eine seiner schwärzesten Stunden. Daran wird der Club zu knabbern haben. Und Trainer Marcel Koller, dessen Schachzüge erneut nicht aufgehen, macht sich keine Illusionen.  

Bei all dem Staunen, dem Erschrecken und der Bestürzung, die der Fussballnachmittag in Bern aus Basler Sicht hervorgebracht hat, ist es ein kleiner Nebensatz von Marcel Koller, der viel über die Lage beim FCB aussagt. Wichtig sei es nun, sagt der Basler Trainer, nach vorne zu schauen, «auch wenn es nach einem 1:7 schwierig ist, weiter vorne etwas zu sehen».

Diese monumentale Niederlage vom 23. September 2018 steht nun da wie ein Fanal. Noch nie ist der FC Basel von einem seiner ärgsten Widersacher in der jüngeren Vergangenheit derart abserviert, ja abgeschmiert worden. Es gibt da ein 1:8 in Sitten, in der ersten Runde der Saison 2001/02, an deren Ende der FCB unter Christian Gross dennoch Meister wurde und die 22 Jahre währende Zeit ohne Titel beendete.

17 Jahre später verbietet es sich, daraus irgendwelche Omen abzuleiten. Mit einer Leichtfüssigkeit, die ebenso beeindruckend ist wie ihre Kraft und ihr Selbstbewusstsein, haben die Young Boys mit dem siebten Sieg in der siebten Runde einen zehn-Punkte-Vorsprung auf das Trio Thun, St. Gallen und Zürich herausgeschossen. Dahinter bildet der FCB das Schlusslicht eines weiteren Trios mit zwölf Längen Rückstand.

Und wer den erbarmungswürdigen FC Basel in der Festhütte Stade de Suisse erlebt hat, der macht sich keine Illusionen mehr darüber, was in den nächsten acht Monaten passieren kann. So wie man es dem FCB noch vor zwei Jahren mit einiger Gewissheit vorhersagen konnte, so darf auch im Herbst 2018 konstatiert werden, dass diesem YB in der Super League niemand das Wasser reichen kann. Das ist Fussball erster Güte.

Daran wird der FCB noch lange knabbern

Besonders süss an diesem Berner Triumph – notabene vier Tage nach einem kräfteraubenden Spiel gegen Manchester United in der Champions League – muss die gleichzeitige Demontage des FC Basel sein. Den grossen Peiniger während der acht Jahre währenden Meisterserie in dieser Art und Weise zu demütigen, wird Wasser auf die Berner Mühlen sein und dem FCB noch lange zu knabbern geben.

Auch die Antwort Kollers auf die Frage, wann er denn seine Mannschaft wieder in der Lage sähe, den Bernern die Stirn zu bieten, war vielsagend: «Wir werden hart an uns arbeiten, um ein valabler Gegner zu sein. Aber wann das sein wird, steht in den Sternen.»

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Gefasst nahm Koller die Klatsche zur Kenntnis. Dabei muss ihn das Ergebnis schmerzen, mag der 57-Jährige sich doch nicht daran erinnern, jemals in seiner Karriere so hoch verloren zu haben. Ein 1:6 mal als Spieler mit GC. Aber als Trainer? Er schüttelte den Kopf. Die Statistikbücher geben Auskunft: Ein 0:6 daheim mit dem VfL Bochum gegen Werder Bremen. Aber Bochum ist nicht Basel. Die Fussballstadt, die in den vergangenen 15 Monaten einige Erschütterungen erlebt hat. Und nun wie vom Herbstdonner gerührt vor einem Scherbenhaufen steht.

Niemand im FCB-Dress genügt den Ansprüchen

Eine halbe Stunde spielte der FCB ordentlich mit, hatte er, wenn auch nicht sonderlich viele und eindeutige, Chancen auf das Führungstor. Dann reichten zwei Standards, zweimal ein ungenügender Fabian Frei, um den Baslern die Energie und den Glauben zu rauben. Insider berichten, dass die anfängliche Konzentration und Entschlossenheit schon zur Pause verflogen war. Deshalb wundert es auch nicht, dass die Berner sieben Minuten nach Seitenwechsel die Basler mit einem weiteren ruhenden Ball erneut düpierten. Und damit ein Debakel in Gang setzten. Oder einen Spielrausch. Je nach Sichtweise.

Im FCB-Dress genügte niemand den Ansprüchen an ein Team mit hochtrabenden Zielen. Jüngere Spieler wie Raoul Petretta oder Noah Okafor wirkten überfordert, Albian Ajeti wurde von der Berner Innenverteidigung abgemeldet, eine verzweifelte Schwalbe von ihm mit einer gelben Karte quittiert. Torhüter Martin Hansen kann man keinen Gegentreffer ankreiden, von einer hilfreichen Tat war aber auch er weit entfernt. Und als es hätte darum gehen müssen, die Berner Lektion in Grenzen zu halten, versagten auch Routiniers wie Geoffroy Serey Dié.

Eine Basler Bankrotterklärung

Mit Eder Balantas rüdem, beim Stand von 0:4 von Frust angestachelten Foul und der roten Karte für den Kolumbianer machten sich Auflösungserscheinungen breit. Es ist schon der vierte Platzverweis gegen den FCB in der noch jungen Saison nach Eray Cömert, Samuele Campo sowie Taulant Xhaka und gibt Auskunft über fehlgeleitete Emotionen.

Der Rest war eine Basler Bankrotterklärung. Die Berner kombinierten sich mit doppelten Doppelpässen lustvoll zum 5:1, kamen ohne Gegenwehr zum 6:1 und 7:1 gegen eine Basler Mannschaft für die das Etikett «naiv», verpasst von ihrem eigenen Trainer, eine euphemistische Bezeichnung ist.

«Das vierte Gegentor war ein Nackenschlag, dann hat der FCB die Nerven verloren», stellt Steve von Bergen fest, «aber es ist nicht unser Problem, was auf der anderen Seite passiert.» Dem Captain der Young Boys tut der Triumph sichtlich gut: «Wir waren in fast jedem Bereich besser als der FCB. Wir haben ein Zeichen gesetzt und gezeigt, dass wir die beste Mannschaft der Schweiz sind.» Das ist eine mehrheitsfähige Beurteilung der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse in der Super League.

Streller verlässt das Stadion vorzeitig

Als das Basler Unheil in der zweiten Halbzeit seinen Lauf nahm, verliess Sportdirektor Marco Streller das Stadion vorzeitig. Er war mit der Hoffnung nach Bern gekommen, dem Durchmarsch der Young Boys Einhalt gebieten zu können. Vorgesetzt bekam er – nichts. Im Gegenteil: Eine der schwärzesten Stunden der jüngeren FCB-Geschichte, noch schmerzhafter als das Scheitern in der Qualifikation zur Champions und Europa League, muss nun eingeordnet werden. Und vielleicht wird man dereinst feststellen: Dieses 1:7 zementierte den Machtwechsel im Schweizer Fussball.

«Was soll ich denn dazu noch sagen», liess Streller auf dem Heimweg verlauten. Andere Funktionsträger der FCB-Führung waren an der üblichen Begegnungstätte mit den Medien nicht anzutreffen.

«Werden hart an uns arbeiten, um wieder ein valabler Gegner zu sein» – FCB-Trainer Marcel Koller im Stade de Suisse.

So steht, wie auch schon in den schweren Zeiten, die Raphael Wicky durchlebte, sein Nachfolger Marcel Koller alleine im Regen. Und er keilte nicht gegen seine Mannschaft aus, oder nur in homöopathischer Dosis, als er auf die Defizite im Zweikampfverhalten, die fehlende Komptaktheit und die fehlende ordnende Hand seiner erfahrenen Spieler hinwies: «Zwölf Punkte sind eine Menge Holz, und es ist uns bewusst, dass wir aktuell nicht an YB herankommen.»

Kollers Schachzug verpufft

Laut ist er nicht geworden in der Kabine, das hält Koller nicht für das probate Mittel in dieser Situation, wobei man einen Gefühlsausbruch nach dieser Vorstellung durchaus hätte nachvollziehen können. Aber vielleicht geht Koller auch selbst in sich. Wie schon beim kapitalen Match in Limassol, dem 0:1 auf Zypern, das das Ende der internationalen Kampagne bedeutete, überraschte Koller mit seiner Startelf. Oder soll man sagen: Sorgte er für Irritation.

Aber auch diesmal blieb sein Schachzug wirkungslos. An der Seite des 18-jährigen Noah Okafor verhalf Koller dem 19-jährigen Afimico Pululu zum Startelfdebüt. Dafür mussten der sehr routinierte Luca Zuffi und der ebenfalls einige Erfahrung im Rucksack tragende Kevin Bua auf der Bank bleiben.

Und bei allem Verständnis dafür, dass Koller auf die fehlende Zeit für die strukturelle Arbeit auf dem Trainingsplatz verweist, war das Resultat nach drei Wochen Unterbruch im Meisterschaftsbetrieb ein Armutszeugnis, mit dem es nun am Mittwoch gegen Luzern und am Sonntag nach Lugano geht. Ein Schlussakkord des ersten Saisonquartals, der beim FC Basel auf Moll gestimmt ist.

https://tageswoche.ch/sport/es-ist-ein-albtraum/
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