Erfolge eines Spielverderbers

Man mag ihn auf den Tenniscourts dieser Welt: Stan Wawrinka. Auch wenn er am US Open den Publikumsliebling Juan Martin del Potro aus dem Rennen wirft. Den nächsten Meilenstein des Romands können nur noch Kei Nishikori und Novak Djokovic verhindern.

Stan Wawrinka, of Switzerland, serves against Juan Martin del Potro, of Argentina, during a quarterfinals match at the U.S. Open tennis tournament, Wednesday, Sept. 7, 2016, in New York. (AP Photo/Charles Krupa)

(Bild: Keystone/CHARLES KRUPA)

Man mag ihn auf den Tenniscourts dieser Welt: Stan Wawrinka. Auch wenn er am US Open den Publikumsliebling Juan Martin del Potro aus dem Rennen wirft. Den nächsten Meilenstein des Romands können nur noch Kei Nishikori und Novak Djokovic verhindern.

Die Szenerie erinnerte ein wenig an die Abschiedsvorstellung des grossen Andre Agassi vor zehn Jahren in New York. Damals war der deutsche Tour-Neuling Benjamin Becker laut eines unvergesslichen Zitats Andy Roddicks der «Kerl, der Bambi erschoss».

Am frühen Donnerstagmorgen des 8. September 2016 fand sich Stan Wawrinka in einer ähnlich ausgeprägten Centre-Court-Bühnenrolle wieder: Auf den Rängen des Arthur-Ashe-Stadions feierten Tausende unermüdliche und unverdrossene Tennis-Afficionados den geliebten Rückkehrer Juan Martin del Potro aus Argentinien. Den Mann, der nach jahrelanger Verletzungsqual wieder machtvoll an der Weltspitze mitzumischen beginnt – und er, Wawrinka, war nun der Jäger, der Spielverderber, der undankbare Rausschmeisser für den Publikumsliebling.

» Das Männer-Tableau des US Open

«Physisch, aber vor allem mental» sei das eine der härtesten Partien seiner Karriere gewesen, bekannte der Romand, als er genau um 1.21 Uhr in dieser New Yorker Nacht das Vier-Satz-Abenteuer gegen del Potro mit einem 7:6 (7:5), 4:6, 6:3, 6:2 beschlossen hatte. Lohn der Nervenstärke, der Beharrlichkeit in aufgewühlter Atmosphäre war der dritte Halbfinal-Einzug beim US Open in den letzten vier Jahren: «Es ist das Turnier, das immer das Beste aus mir herausbringt», gab der erschöpfte Veteran zu Protokoll, «jetzt will ich so schnell wie möglich eine Runde schlafen.»

Asiens Superstar wartet im Halbfinal

Am Freitag wird sich Wawrinka nun in der Runde der letzten vier dem Japaner Kei Nishikori stellen, der etwas überraschend Andy Murray, Wimbledon-Champion und Goldmedaillengewinner von Rio, in fünf aufreibenden Sätzen aus dem Turnier katapultiert hat. In der persönlichen Bilanz führt Wawrinka gegen Nishikori mit 3:2, kürzlich verlor er allerdings beim Masters-Turnier in Toronto gegen Asiens Superstar.

Auch beim einzigen zurückliegenden New Yorker Vergleich unterlag der Schweizer: 2014, im Viertelfinale. Trotzdem dürfte Wawrinka nicht unglücklich sein, dass ihm nun Nishikori anstelle des weithin als Topfavoriten gehandelten Braveheart Murray gegenübersteht. «Ich erwarte einen ganz harten Fight, ich muss hochkonzentriert und sehr stabil sein», sagte Wawrinka.



Juan Martin del Potro, left, of Argentina, is embraced by Stan Wawrinka, of Switzerland, after a quarterfinal at the U.S. Open tennis tournament, early Thursday, Sept. 8, 2016, in New York. Wawrinka won 7-6 (5), 4-6, 6-3, 6-2. (AP Photo/Charles Krupa)

Innige Umarmung zweier Gegner: Juan Martin del Porto gratuliert Stan Wawrinka. (Bild: Keystone/CHARLES KRUPA)

Also dürfte er sich jene Qualitäten abverlangen, die ihm letztlich auch den Vormarsch bis ins Halbfinale sicherten. Denn seit dem abgewehrten Matchball gegen den Briten Dan Evans leistete sich Wawrinka zwar auch in den nächsten Spielen gegen den Ukrainer Martschenko und nun gegen del Potro kleinere Aussetzer und Schwächephasen.

Aber diese Durchhänger überwand er vergleichsweise schnell, geriet niemals mehr in ernsthafte Gefahr. Fast symbolhaft wirkte Wawrinkas auch im Match gegen del Potro gezeigte Geste, dieser Zeigefinder, den er jeweils an die Schläfe hält. Der Romand kommuniziert damit, dass er das Geschehen auf der Spielbühne nervlich im Griff hat. Und dass es Siege mit Power und Köpfchen sind, die er da gerade in seine wieder einmal vortreffliche New Yorker Bilanz festschreibt.

New York: Ort von Wawrinkas ersten Meilensteinen

Während Landsmann Roger Federer in der Bergwelt als Wandersmann unterwegs ist, sich den Sieg der Schweizer Fussballnati gegen Europameister Portugal im Stadion anschaut und auch ansonsten gern mal ausspannt in der vorgezogenen Saisonpause, steht der Weltranglisten-Dritte Wawrinka voll im Wettkampffieber im Big Apple. Noch im letzten Jahr hatte ihm Federer eine ungewohnt deutliche Halbfinal-Abfuhr bereitet, das Endspiel bestritten seinerzeit wie gewohnt Djokovic und Federer.

Nun könnte Wawrinka bei seinem eigentlichen Lieblings-Slam erstmals ins Finale vorpreschen. Nicht etwa, weil Federer nicht am Start ist. Sondern aus eigener Autorität und Stärke heraus. Die ersten Meilenstein-Erfolge seiner Karriere sind allesamt in New York dokumentiert: das erste Erreichen eines Grand-Slam-Achtelfinals (2007), das erste Erreichen eines Grand-Slam-Viertelfinals (2010) und der erste Major-Vorstoss in die Runde der letzten Vier anno 2013.

Titel auf höchster Stufe holte Wawrinka dann aber in Melbourne und Paris, nicht in New York. 2016 könnte nun sein Jahr werden, das Jahr, in dem er beim grell glitzernden Grand-Slam-Spektakel triumphiert. Nishikori, danach vielleicht Djokovic könnten ihn noch daran hindern. Aber beide Gegenspieler, auch Djokovic, sind aktuell keine übermächtige Herausforderung für Wawrinka. Den Mann, der so lange in seinem Leben der andere Schweizer, der ewige Zweite oder der unbeachtete Weltklassespieler war.

König von New York zu werden, es wäre jetzt eine besondere Genugtuung für ihn, für Stan the Man.



Stan Wawrinka, of Switzerland, reacts after winning the first set against Juan Martin del Potro, of Argentina, in the quarterfinals of the U.S. Open tennis tournament, Wednesday, Sept. 7, 2016, in New York. (AP Photo/Seth Wenig)

Eine Geste macht die Runde: Stan Wawrinkas Andeutung höchster Konzentration. (Bild: Keystone/SETH WENIG)

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