Roger Federer verpasst in Wimbledon seinen 18. Grand-Slam-Titel. Der Schweizer unterliegt Novak Djokovic 7:6 (9:7), 4:6, 6:7 (4:7), 7:5, 4:6. Der Serbe ist somit wieder die Nummer 1 der Weltrangliste. «Es war ein starkes Finale, mit einem starken Gegner», sagte Federer.
Vor einem Jahr hatte Schottlands leidenschaftlicher Braveheart Andy Murray die ewige Titeldürre im Vereinigten Königreich beendet, am 7. Tag des 7. Monats des Jahres – und nach 77 Jahren Wartezeit im schönen Wimbledon auf einen heimischen Pokalgewinner. Auch für dieses Herrenfinale lag längst eine unwiderstehliche, geradezu logische Zahlenreihe bereit, denn Roger Federer hätte an diesem kühlen Sommersonntag seinen achten Wimbledon-Titel, seinen insgesamt 18. Grand Slam und seinen 80. Karrieresieg auf dem geliebten Centre Court feiern können. Es wäre, immer mit der Acht im Spiel, das vollendete «Rendezvous mit der Ewigkeit» (The Times) gewesen für den alterslosen Maestro, den 32-jährigen Familienvater.
Doch dies war nicht der Tag, an dem sich wieder Geschichte erfüllte auf den Grüns des All England Club. Es war einfach der denkwürdige Tag, an dem ein allen Widerständen trotzender Novak Djokovic wieder das Kommando an der Church Road übernahm – und mit ihm irgendwie auch sein Trainer Boris Becker, der 25 Jahre nach seinem letzten Wimbledonsieg als Spieler nun auch als Chefanweiser triumphierte.
«Es ist der schönste Sieg überhaupt. Ich kann nicht beschreiben, wie glücklich ich bin», sagte Djokovic nach dem verdienten 6:7 (6:8), 6:4, 7:6 (7:4), 6:3-Sieg gegen den Schweizer, nach dem er sich auf den Boden fallen liess und doch genau in jenem Moment so oben auf war wie nie zuvor als Tennis-Professional, am Ende auch einer schmerzlichen Ergebniskrise, in deren Verlauf er fünf der letzten sechs Grand Slam-Endspiele verloren hatte. Nun aber stand er stolz verewigt zum zweiten Mal in den Siegerlisten des berühmtesten Turniers des Planeten.
Frust für Djokovic am Anfang
Durchgesetzt hatte sich der Djokovic schliesslich gegen den ewigen Spielverderber einer ganzen Tennisgeneration, jenen Federer, der auch elf Jahre nach seinem Durchbruch in Wimbledon noch auf der Höhe seiner Kunst war und Djokovic zur Aufbietung auch der allerletzten Energien zwang, bis zum Ende nach knapp vier hochklassigen Stunden.
«Es war ein starkes Finale, mit einem starken Gegner. Das Ergebnis geht in Ordnung», sagte Federer hinterher bei der Pokalvergabe und schaute ein wenig versonnen hoch zur Tribüne, wo seine Zwillingstöchter Charlene und Myla mit ihrer Mutter und den Grosseltern die Krönungsmesse verfolgten.
Frustrierend hatte der «Showdown der Titanen» («The Times») für Djokovic begonnen, der im ersten Satz zwar der bessere, auch virtuosere Spieler war – dem aber gleichzeitig die allerletzte Konsequenz fehlte, um seine Überlegenheit auch in entscheidende Punktgewinne zu verwandeln. Kurz gesagt: Djokovic gewann hier und da Schönheitspreise, aber kaufen konnte er sich nichts dafür.
Federer hielte seine Aufschlagspiele mit weit mehr Mühe als sein Rivale, aber der Rasenflüsterer erwies als gnadenloser Meister der Effektivität, also als das, was Djokovic zunächst nur zu gerne gewesen wäre – als Mann für die Big Points.
Konsterniert erlebten der Serbe und seine Entourage auf der Tribüne, dass trotz zweier Satzbälle in der Tiebreak-Lotterie des ersten Finalakts die durchaus verdiente Führung nicht gelang, stattdessen ging Federer mit 9:7 über die Ziellinie, begleitet von einem machtvollen «Come on»-Schrei, der wohl in der Royal Box auch Thronfolger William und seine Gemahlin Kate leicht zusammenzucken liess.
Rasant und schnörkellos
Djokovics Übungsleiter Becker lehnte sich eine und andere Mal so weit über die Begrenzung seines Beobachtungspostens hinaus, dass man glaubte, er wolle lieber selbst unten auf der Hauptwiese des All England Club Hand anlegen. Doch Djokovic, sein Mann, liess sich anders als in manchen Matches in diesem Turnier nicht aus der Ruhe und dem Konzept bringen. Er schlug, eiskalt in seiner Attitüde, ziemlich massiv zurück, verschärfte das Tempo, verschärfte auch die Aggressivität in den Schlägen – und das brachte ihm dann auch das allererste Break in diesem stets spannungsgeladenen Finale ein, zum 2:1 in Satz 2. Seinen kostbaren Vorsprung hielt Djokovic bis zum Satzausgleich, auch wenn er beim Stand von 5:4 wieder kurz ins Zittern und Zögern geriet.
Umkämpft blieb dieses Drama, keiner der beiden Grossmeister wich auch nur um einen Millimeter zurück. Und beeindruckend war auch, wie rasant und schnörkellos gespielt wurde: Es gab keine langen Pausen, keine lästigen Verzögerungen, keine Mätzchen, kein ewiges Schweissabwischen an Handtüchern – stattdessen nur klares, klinisches Tennis. Und gutes, sehr oft herausragendes Tennis.
«Wir erleben hier zwei Grosse am Werk. Das ist ein Wahnsinnsmatch», sagte TV-Experte John McEnroe. Mit zwei Spielern, die sich in diesem Nervenkampf nichts schenkten und serienweise Siegschläge statt Fehler produzierten.
Wieder ging es in dieses Roulettespiel namens Tiebreak, und dieses Mal machte der mental stabile, mental ganz harte Djokovic die Punkte, die zählten. Die Punkte, die ein ganzes Match auf Rasen drehen und wenden können. Unten ballte er auf dem Rasen die Faust, als er mit dem 7:4 die 2:1-Satzführung besorgt hatte, und oben tat es ihm in gewohnter Pose Becker gleich
Dank an Federer
Djokovic blieb auch im vierten Satz der bestimmende Spieler, jedenfalls bis zu einer 5:2-Führung, die eigentlich seinen zweiten Wimbledon-Triumph hätte ankündigen müssen. Doch als er bei 5:3 zum Match servierte, überkam ihn wieder eine jähe Befangenheit, die Angst vorm Siegen sogar, eine Passivität, die sich bitter rächte.
Federer schaffte das Break zum 5:4, wehrte einen Matchball mit einem erst durch das Hawk Eye-System ermittelten Ass ab und schlug danach erbarmungslos zu: Break 6:5, Aufschlaggewinn zum 7:5.
Alles stand wieder auf Null. Doch Djokovic liess sich nicht beirren, auch wenn sich die ganze Welt gegen ihn zu verschworen haben schien. Beim 5:4-Vorsprung im fünften Satz schlug endlich, endlich seine Stunde – mit dem dritten verwandelten Matchball und dem letzten Schlag ins Glück.
«Danke, dass Du mich hast gewinnen lassen», sagte er später in Richtung Federer, bei der Siegerzeremonie. Doch das war nicht die Wahrheit. Denn er hatte wirklich selbst gewonnen – und nicht dank der Gnade seines grossen Gegners.