«Es ist ein schmaler Grat zwischen Selbstvertrauen und Überheblichkeit»

Der Meisterschaftsanwärter will sich vor dem womöglich alles entscheidenden Spiel gegen den FC Basel nicht zu siegessicher geben. Trotzdem stellt YB-Trainer Adi Hütter seine Mannschaft nicht unter den Scheffel.

«Dann ist der Sack zwar immer noch nicht zu, aber…» – Adi Hütter über den Ostermontag und das vorentscheidende Duell mit dem FC Basel.

12’200 Jahreskarten hat YB verkauft. Das sind zwar immer noch klar weniger als die rund 22’000 des FC Basel, aber rund 1000 mehr als zu Jahresbeginn. Allein nach dem Cup-Finaleinzug über den FC Basel haben 500 neue YB-Fans ein Abo gelöst. Am Ostermontag werden die 31’120 Plätze im Stade de Suisse restlos besetzt sein, womit es wie schon beim ersten Aufeinandertreffen in der ersten Runde dieser Saison heisst: ausverkauft. «Basel kennt solche Zahlen ja, und für Schweizer Verhältnisse ist das einfach wunderbar», sagt YB-Klubvorsitzender Albert Staudenmann.

Begeisterung herrscht auch auf den Etagen des Stade de Suisse, wo die Young Boys vermarktet werden. Die modernisierte «Champions-Lounge» mit ihren 900 Plätzen im Hochpreissegment (9000 Franken pro Saison) ist voll besetzt, und zusammen mit den zwei anderen neuen Hospitality-«Welten» gingen die Buchungen nach oben und bescheren YB Mehreinnahmen deutlich über einer Million Franken.

Das sind alles Zeichen einer gelb-schwarzen Aufbruchstimmung. «Es herrscht durchs Band eine positive Grundstimmung, im Betrieb bei den Mitarbeitern, bei den Sponsoren, bei den Fans, bei den Medien», erzählt Staudenmann. Er hat erfahren: «Wenn man vorne steht und begeisternden Fussball zeigt, ist alles einfacher.»

Worüber er noch keine Auskunft geben kann und will, sind Überlegungen, wo der allfällige erste Meistertitel seit 1986 gefeiert werden soll. Einen geeigneten Balkon gibt es in der Berner Innenstadt nicht. Deshalb liegt nahe, dass es die Young Boys wie der meisterschaftserprobte SC Bern machen: auf einem Podium auf dem Bundesplatz.

Dazu muss nun nur noch die Mannschaft Schritt halten. Anzeichen, dass sie noch vom Weg abkommen könnte, gibt es überhaupt keine. Unvorstellbar eigentlich, dass sich die Berner nach ihrem Lauf diesen Meistertitel noch nehmen lassen. Darüber haben wir am Donnerstag bei der Medienrunde in Bern auch mit dem Trainer gesprochen.

Adi Hütter, am Montag kann YB zum ersten Mal seit Erfindung der Super League ein Saison-Quartal mit blütenweisser Weste absolvieren. Ein neunter Sieg in Serie und das gegen den amtierenden Meister FC Basel – was würde das aussagen über Ihre Mannschaft?

Das wäre natürlich ein Extra-Meilenstein. Wichtig ist, zu wissen, dass wir dazu in der Lage sind, diesen neunten Sieg zu schaffen. Aber jetzt geht es nach der Länderspielpause sowieso nur noch darum, die Stabilität, die wir haben, auch in den letzten zehn Runden fortzusetzen. Deshalb ist am Montag ein unglaublich wichtiges, ein möglicherweise vorentscheidendes Spiel.

Aus sich herausgehen kann Adi Hütter auch: Der aus Altach in Vorarlberg stammende YB-Trainer am 11. März beim Heimsieg gegen die Grasshoppers.

«Möglicherweise» ist im Fall eines Berner Siegs gelinde ausgedrückt.

Dann ist der Sack zwar immer noch nicht zu, aber dann kommt der psychologische Teil dazu. Wir kennen das, wenn man immer hinterherläuft und man sich überhaupt keinen Umfaller mehr leisten darf. Dann wird es für den FC Basel immer schwieriger.

Was ist in diesem Moment der wichtigste Faktor, den Sie als Trainer im Griff behalten müssen?

So konzentriert zu bleiben, wie wir das bis jetzt gemacht haben. Den Fokus auf jedes einzelne Spiel zu richten, die Mannschaft auf jeden Gegner so vorzubereiten, dass sie ihre Stärken gut umsetzen und ihre Qualität ins Spiel einbringen kann. Und wichtig ist, nicht grossartig davon zu reden, was vor 32 Jahren war. Für alle, die jetzt hier sind, ist die Geschichte weit weg. Es geht schliesslich um die Gegenwart und die nächsten zehn Spiele. Und nicht darum, was war und was sein könnte. Wir wollen mit Freude und Spass, mit Leidenschaft und Begeisterung unsere Qualitäten auf den Platz bringen. Wenn wir das schaffen, sind wir schwer zu schlagen.

Was soll denn noch schief gehen mit dem grossen Vorsprung?

Solche Fragen sind ja berechtigt, für viele ist die Sache schon entschieden. Aber im Sport muss man grundsätzlich aufpassen, da habe ich zu viel Respekt. Erstens, was die Sache anbelangt, und zweitens vor jedem Gegner. Ich bin ein empathisch denkender Mensch, und wenn Sie an meiner Stelle wären, würden Sie das gleiche sagen. Es ist ein schmaler Grat zwischen Selbstvertrauen und Überheblichkeit.

«Basel hat die wenigsten Gegentore erhalten, aber ich weiss nicht, ob ich damit allein zufrieden wäre.»

Die Massgabe in Bern lautete in den vergangenen Jahren angesichts eines dominierenden Serienmeisters FCB: Man muss parat sein, wenn Basel schwächelt. Das tut es jetzt. Können Sie quantifizieren, wie viel Berner Stärke in dieser Saison steckt und wie viel Basler Schwäche?

Grundsätzlich kümmere ich mich um das, was uns betrifft…

…aber Sie spüren den Gegner doch! Sie haben ihn in dieser Saison zweimal besiegt und einmal unentschieden gespielt.

…natürlich, und wir haben den FC Basel vergangene Saison hier in Bern zweimal geschlagen. Das waren seine einzigen Niederlagen in 36 Runden, und wir haben verdient gewonnen.

«Das haben wir uns über einen längeren Zeitraum hart erarbeitet» – Adi Hütter mit seinem Goalgetter und Anführer Guillaume Hoarau.

Sie haben als YB-Trainer sogar die letzten sechs Spiele nicht mehr gegen Basel verloren… 

…genau. Uns zeichnet diese Saison einfach aus, dass wir in 26 Spielen erst dreimal verloren haben. Und Basel hat, speziell in diesem Frühjahr, unerwartete Niederlagen einstecken müssen: zum Start daheim gegen Lugano, gegen St. Gallen, und dann gehst du nach Luzern, und verlierst auch dort. Das sind unerwartet viele Niederlagen, wie es beim FC Basel in den vergangenen Jahren einfach nicht der Fall war. Und wir gewinnen auch, wenn wir weniger gut spielen. Dann schiessen wir wie in Lugano trotzdem vier Tore, oder wir gewinnen trotzdem beim FC Zürich. Das hat der FC Basel früher auch gemacht: nicht immer top gespielt, aber gewonnen. Es läuft bei uns auch deshalb, weil wir uns das über einen längeren Zeitraum hart erarbeitet haben.  Das ist nicht von heute auf morgen passiert.

Sagt das in der Vorbereitung auf das Spitzenspiel am Montag irgendetwas aus, dass der FC Basel immerhin noch auf eines verweisen kann: die Mannschaft mit den wenigsten Gegentoren zu sein?

Der FCB hat mit einem sehr guten Torhüter Tomas Vaclik grundsätzlich einen defensiven Part, der zu knacken nicht einfach ist. Sie haben die wenigsten Gegentore erhalten, aber ich weiss nicht, ob ich damit allein zufrieden wäre.

https://tageswoche.ch/allgemein/zu-gewinnen-ehre-und-stolz/

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