«Es tut weh»

Viel mehr an taktischer Raffinesse, an dramaturgischen Wendungen und Stoff für die Fussballgeschichtsbücher kann man nicht in ein Spiel packen. Ein Rückblick auf den Abend in Bordeaux und das epische Duell zwischen Deutschland und Italien.

Football Soccer - Germany v Italy - EURO 2016 - Quarter Final - Stade de Bordeaux, Bordeaux, France - 2/7/16 Italy's Gianluigi Buffon reacts after the penalty shootout REUTERS/Darren Staples Livepic

(Bild: Reuters/Darren Staples)

Viel mehr an taktischer Raffinesse, an dramaturgischen Wendungen und Stoff für die Fussballgeschichtsbücher kann man nicht in ein Spiel packen. Ein Rückblick auf den Abend in Bordeaux und das epische Duell zwischen Deutschland und Italien.

Am Ende hiess es: Mythos gegen Mythos. Die deutsche Gewohnheit gewonnener Elfmeterschiessen gegen die italienische Tradition der Siege gegen Deutschland. Als «kalten Kaffee» hatte Joachim Löw das vermeintliche Trauma zwar bezeichnet, aber manchmal wurde man in Bordeaux den Eindruck nicht los, dass das Gespenst seinen Spielern bisweilen schon noch in den Körper fuhr. Die Deutschen machten es nicht schlecht bei ihrem Halbfinaleinzug durch ein 6:5 nach Elfmeterschiessen – aber sie machten es sich auch ganz schön schwer.

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Beim Handspiel von Jerome Boateng zum Beispiel, das Italien per Elfmeter in einem Moment zurück ins Spiel brachte, als sie das Schwierigste geschafft zu haben schienen und 1:0 führten. Aber auch im finalen Penaltyschiessen, als die Deutschen erst alles dafür taten, um ihren Ruf zu widerlegen. Von den ersten fünf Strafstössen verwandelten sie nur zwei.

Die Sache war bloss: Italien verwandelte auch nur zwei.

Thomas Müller, Gianluigi Buffon, Euro 2016

Nach einer Partie, die insgesamt nur selten das Niveau vergangener Duelle erreichte, rettete ihn diesmal also das Elfmeterschiessen. Auch wenn es zwischenzeitlich gar nicht nach Rettung aussah. Etwa als mit Özil nach Thomas Müller der zweite Deutsche in einem Moment vergab, in dem mit Simone Zaza erst ein Italiener verschossen hatte.

Den erst eine Minute vor Ende der regulären Spielzeit eingewechselten Stürmer gleich den zweiten Elfmeter ausführen zu lassen, war auf der anderen Seite sicher nicht Contes beste Idee bei diesem Turnier. Zaza hatte nicht mal einen Ballkontakt gehabt. Wie er dann nach langem Tänzeln beim Anlauf den Ball über das Tor jagte, wurde an Absurdität nur noch von seinem Landsmann Graziano Pellè übertroffen. Dessen Versuch kullerte neben den Pfosten. Dadurch war wieder Gleichstand hergestellt.

So feiert Deutschland – Public Viewing in München und die letzten beiden Elfmeter:

Der Matchwinner übernahm nun das Kommando: Manuel Neuer parierte exzellent gegen Leonardo Bonucci, der ihn während der regulären Spielzeit noch bezwungen hatte. Dadurch ergab sich Bastian Schweinsteiger die Chance zur Entscheidung, allerdings brachte der alternde Star einen Elfmeter aus dem Zaza-Pellè-Segment zur Aufführung.

Die Verwunderung über die vielen Fehlschüsse und die wackligen Schützen

Die nächsten sechs Schützen trafen zur Verblüffung aller am Stück, ehe Neuer auch gegen Matteo Darmian hielt. Im Gegenzug konnte Buffon den kaum besser getretenen und letztlich entscheidenden Strafstoss von Jonas Hector nicht entscheidend stoppen. Der Juventus-Keeper hatte schon zuvor seinen Talisman verloren, als er den ebenfalls wackligen Elfmeter von Mats Hummels knapp passieren liess. 

Eine Galerie von anderen, merkwürdigen Elfmetern:

Mit seiner Verwunderung über die vielen Fehlschüsse war Buffon nicht allein, die dramaturgischen Wechsel taten ihr Übriges für einen erinnerungswürdigen Abend. «So ein Elfmeterschiessen habe ich noch nie erlebt», sagte Neuer, der 2015 immerhin mal eines erlebte, als Bayern München gegen Borussia Dortmund keinen einzigen Elfmeter verwandelte.

Eine Erklärung für das schwache Shootout-Niveau fand Toni Kroos: «Wenn ein Buffon da drin steht, dann gehen eben mal ein paar mehr Schüsse daneben», sagte der Profi von Real Madrid und lachte. Schon die Champions League hat er diese Saison über die Penaltys gewonnen. Seine Aussage lässt sich natürlich auf Neuer übertragen.

Antonio Conte: «Ich hinterlasse eine gut gepflasterte Strasse»

Auch in den Analysen zeigten beide Teams noch einmal ihre Essenz. Die Deutschen sind, als Weltmeister von 2014 befreit vom ganz grossen Druck, abgeklärter geworden. Wobei ihr Fussball bisweilen schon fast ein wenig technokratisch daherkommt. Die Italiener hingegen lieferten auch in der Niederlage viele Emotionen. Andrea Barzagli, 35, heulte vor laufender Kamera und konnte sein Interview nicht zu Ende führen.

Auch Conte hatte feuchte Augen, und in manchen Momenten wirkte er, als verfluche er seinen Abschied von der Nazionale zugunsten eines Engagements bei Chelsea. So sehr hat er seine «ragazzi» ins Herz geschlossen. «Die Strasse ist jetzt gut gepflastert, ich hinterlasse ein wichtiges Erbe, eine kleine Kriegsmaschine», sagte er. Das allerdings klang, bei aller Liebe, dann doch entschieden zu dramatisch. Selbst an diesem Abend.



Football Soccer - Germany v Italy - EURO 2016 - Quarter Final - Stade de Bordeaux, Bordeaux, France - 2/7/16 Italy head coach Antonio Conte during the penalty shootout REUTERS/Darren Staples Livepic

Bitterer Abgang: Antonio Conte, der die Squadra Azzurra verlässt und Trainer beim Chelsea FC wird, kauernd während des Elfmeterschiessen in Bordeaux. (Bild: Reuters/Darren Staples)

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