Viel mehr an taktischer Raffinesse, an dramaturgischen Wendungen und Stoff für die Fussballgeschichtsbücher kann man nicht in ein Spiel packen. Ein Rückblick auf den Abend in Bordeaux und das epische Duell zwischen Deutschland und Italien.
All sein Schmerz: Gianluigi Buffon nach dem Aus an der Euro 2016 für die Italiener im epischen Elfmeterschiessen gegen Deutschland.
(Bild: Reuters/Darren Staples)Erst der 18. Elfmeter bringt die Entscheidung: Gianluigi Buffon geschlagen, Jonas Hector dreht nach dem knapp verwandelten Ball ab.
(Bild: Reuters/REGIS DUVIGNAU)Zwei, die als Elfmeterhelden in die deutsche Fussballgeschichtsschreibung eingehen: Jonas Hector (links) und Torhüter Manuel Neuer.
(Bild: Reuters/REGIS DUVIGNAU)Deutschland und seine Elfmeterschiessen: Seit 1982 hat die Nationalmannschaft bei grossen Turnieren sechs finale Entscheidungen für sich beansprucht.
(Bild: Reuters/Christian Hartmann)Die Italiener, wie er sagt, mit deren eigenen taktischen Mitteln geschlagen: Bundestrainer Joachim Löw währed des Viertelfinals.
(Bild: Reuters/Christian Hartmann)Mit ruhiger Hand ins den nächsten Halbfinal eines grossen Turniers gecoacht: Weltmeistertrainer Joachim Löw.
(Bild: Reuters/Kai Pfaffenbach)Anweisung für die Verlängerung: Joachim Löw mit Bastian Schweinsteiger und Toni Kroos.
(Bild: Reuters/Christian Hartmann)Aus und vorbei: Gianluigi Buffon in Bordeaux.
(Bild: Reuters/Michael Dalder)Sportsmänner unter sich: Bastian Schweinsteiger und Gianluigi Buffon nach dem dramatischen Elfmeterschiessen in Bordeaux.
(Bild: Reuters/Christian Hartmann)Abschied: Ein EM-Titel scheint dem 38-jährigen Gianluigi Buffon, immerhin Weltmeister 2006, verwehrt zu bleiben.
(Bild: Reuters/Darren Staples)Am Ende hiess es: Mythos gegen Mythos. Die deutsche Gewohnheit gewonnener Elfmeterschiessen gegen die italienische Tradition der Siege gegen Deutschland. Als «kalten Kaffee» hatte Joachim Löw das vermeintliche Trauma zwar bezeichnet, aber manchmal wurde man in Bordeaux den Eindruck nicht los, dass das Gespenst seinen Spielern bisweilen schon noch in den Körper fuhr. Die Deutschen machten es nicht schlecht bei ihrem Halbfinaleinzug durch ein 6:5 nach Elfmeterschiessen – aber sie machten es sich auch ganz schön schwer.
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Beim Handspiel von Jerome Boateng zum Beispiel, das Italien per Elfmeter in einem Moment zurück ins Spiel brachte, als sie das Schwierigste geschafft zu haben schienen und 1:0 führten. Aber auch im finalen Penaltyschiessen, als die Deutschen erst alles dafür taten, um ihren Ruf zu widerlegen. Von den ersten fünf Strafstössen verwandelten sie nur zwei.
Die Sache war bloss: Italien verwandelte auch nur zwei.
Nach einer Partie, die insgesamt nur selten das Niveau vergangener Duelle erreichte, rettete ihn diesmal also das Elfmeterschiessen. Auch wenn es zwischenzeitlich gar nicht nach Rettung aussah. Etwa als mit Özil nach Thomas Müller der zweite Deutsche in einem Moment vergab, in dem mit Simone Zaza erst ein Italiener verschossen hatte.
Den erst eine Minute vor Ende der regulären Spielzeit eingewechselten Stürmer gleich den zweiten Elfmeter ausführen zu lassen, war auf der anderen Seite sicher nicht Contes beste Idee bei diesem Turnier. Zaza hatte nicht mal einen Ballkontakt gehabt. Wie er dann nach langem Tänzeln beim Anlauf den Ball über das Tor jagte, wurde an Absurdität nur noch von seinem Landsmann Graziano Pellè übertroffen. Dessen Versuch kullerte neben den Pfosten. Dadurch war wieder Gleichstand hergestellt.
So feiert Deutschland – Public Viewing in München und die letzten beiden Elfmeter:
Der Matchwinner übernahm nun das Kommando: Manuel Neuer parierte exzellent gegen Leonardo Bonucci, der ihn während der regulären Spielzeit noch bezwungen hatte. Dadurch ergab sich Bastian Schweinsteiger die Chance zur Entscheidung, allerdings brachte der alternde Star einen Elfmeter aus dem Zaza-Pellè-Segment zur Aufführung.
Die Verwunderung über die vielen Fehlschüsse und die wackligen Schützen
Die nächsten sechs Schützen trafen zur Verblüffung aller am Stück, ehe Neuer auch gegen Matteo Darmian hielt. Im Gegenzug konnte Buffon den kaum besser getretenen und letztlich entscheidenden Strafstoss von Jonas Hector nicht entscheidend stoppen. Der Juventus-Keeper hatte schon zuvor seinen Talisman verloren, als er den ebenfalls wackligen Elfmeter von Mats Hummels knapp passieren liess.
Eine Galerie von anderen, merkwürdigen Elfmetern:
Mit seiner Verwunderung über die vielen Fehlschüsse war Buffon nicht allein, die dramaturgischen Wechsel taten ihr Übriges für einen erinnerungswürdigen Abend. «So ein Elfmeterschiessen habe ich noch nie erlebt», sagte Neuer, der 2015 immerhin mal eines erlebte, als Bayern München gegen Borussia Dortmund keinen einzigen Elfmeter verwandelte.
Eine Erklärung für das schwache Shootout-Niveau fand Toni Kroos: «Wenn ein Buffon da drin steht, dann gehen eben mal ein paar mehr Schüsse daneben», sagte der Profi von Real Madrid und lachte. Schon die Champions League hat er diese Saison über die Penaltys gewonnen. Seine Aussage lässt sich natürlich auf Neuer übertragen.
Antonio Conte: «Ich hinterlasse eine gut gepflasterte Strasse»
Auch in den Analysen zeigten beide Teams noch einmal ihre Essenz. Die Deutschen sind, als Weltmeister von 2014 befreit vom ganz grossen Druck, abgeklärter geworden. Wobei ihr Fussball bisweilen schon fast ein wenig technokratisch daherkommt. Die Italiener hingegen lieferten auch in der Niederlage viele Emotionen. Andrea Barzagli, 35, heulte vor laufender Kamera und konnte sein Interview nicht zu Ende führen.
Auch Conte hatte feuchte Augen, und in manchen Momenten wirkte er, als verfluche er seinen Abschied von der Nazionale zugunsten eines Engagements bei Chelsea. So sehr hat er seine «ragazzi» ins Herz geschlossen. «Die Strasse ist jetzt gut gepflastert, ich hinterlasse ein wichtiges Erbe, eine kleine Kriegsmaschine», sagte er. Das allerdings klang, bei aller Liebe, dann doch entschieden zu dramatisch. Selbst an diesem Abend.