Den FC Basel umgibt seit Mittwochabend eine Wolke heftigster Erregung. Der Führungstreffer gegen Benfica Lissabon nach 115 Sekunden, der hinreissendste Hundertmetersprint in der Geschichte des St.-Jakob-Parks, dieses Zeugnis freigelassener Energie bei Dimitri Oberlin, der höchste Sieg einer Schweizer Mannschaft in der Champions League – all das hat Basel und die Fussball-Schweiz in ein Fieber gestürzt, das lange fehlte.
Auf der Pressetribüne rieb man sich die Augen, und die Mikrofontechnik war den unkontrollierten Gefühlsausbrüchen einiger Live-Berichterstatter nicht gewachsen. An der Seitenlinie jubelte Raphael Wicky, ein sonst so überlegter Trainer mit dem unbedingten Willen, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten.
Ein Ausrufezeichen
Auf dem Feld lagen sich Spieler und Betreuer in den Armen, fuhren sich mit den Händen durch die verschwitzten Haare, bald lachend, bald mit dem Unglauben im Gesicht darüber, was da eben passiert war. Auf der Tribüne blies Sportchef Marco Streller seine Backen auf und liess die Luft aus seinen Lungen strömen, der ganzen Erleichterung freien Lauf lassend, mit tiefster innerer Genugtuung.
«Wir haben in den letzten Wochen so viele Gefühlslagen durchgemacht, dieses Spiel zeigt, wie nahe im Fussball alles zusammen ist», sagt Streller und schiebt nach: «Im Moment geniessen wir diesen Sieg, diesen beinahe perfekten Match, der ein Ausrufezeichen ist. Aber wir müssen auf dem Boden bleiben.»
Nüchtern betrachtet, hat der FC Basel in einer fein besetzten Gruppe drei Punkte gewonnen. Doch dieser Sieg kann Signalwirkung haben nach einer Phase, in der sich der FCB schwer tat. Wickys Mannschaft hat nach dem ersten Saisonviertel eine Marke gesetzt, die dieser Gruppe junger Männer wie ein Label anhaften wird: Es ist das Team, das Benfica mit 5:0 bezwungen und in der Person von Dimitri Oberlin das in der Entstehung vielleicht einprägsamste Tor der eigenen Champions-League-Historie erzielt hat.
Beeindruckender als die fünf Tore war die Abwehrleistung
Den Menschen, die für den Umbruch beim FC Basel stehen, darf man diesen Erfolg gönnen. Sie haben sich mit einigem Mut vom erfolgreichen Trainer Urs Fischer getrennt und mit Wicky einen Mann an die Seitenlinie gestellt, für den vieles neu ist. Sie haben sich von erfahrenen Stürmern wie Marc Janko oder Seydou Doumbia getrennt und auf junge Spieler wie Dimitri Oberlin gesetzt. Und sie haben trotz des grossen Umbruchs an den Zielen festgehalten: am Meistertitel in der Super League, am Erreichen des Cupfinals und am europäischen Überwintern.
Letzteres liegt nach dem Sieg gegen Lissabon noch immer drin. Der FCB hat sich Respekt verschafft, und wenn er die offensive Schaffenskraft von diesem Auftritt bewahren kann, dann hat er ein grosses Problem in den Griff bekommen. Auch wenn mit Ricky van Wolfswinkels Verletzung ein Ausfall droht, der in diesem Kader an Schwere kaum zu überbieten ist.
Bei genauerer Betrachtung aber sticht nicht das Resultat heraus, die ersten Tore in dieser Champions-League-Saison, sondern die Abwehrleistung gegen die traditionell tordurstigen Portugiesen. Raphael Wicky hat in einer Fünferabwehr sein Zentrum neu erfunden: Manuel Akanji dirigierte den Dreierblock aus der Mitte, rechts von ihm agierte der in den letzten Wochen leicht schwächelnde Captain Marek Suchy, links Eder Balanta, der gegen Benfica mit Positionsspiel, Offensivdrang und Zweikampfkompetenz alle Abwehrspieler überstrahlte.
Rechts von diesem Abwehrzentrum erreichte Michael Lang endlich die gewohnte Form der letzten Jahre. Links agierte Raoul Petretta zu Beginn zwar augenscheinlich nervös, mit der Zeit aber immer abgeklärter. Der Debütant kam gar zu einer Tormöglichkeit und provozierte die rote Karte, nach der dieses bescheidene Benfica noch hilfloser wirkte. Petretta steht wie kein anderer Spieler für den Mut, den Wicky mit seiner Aufstellung bewies: Denn er hätte auf Blas Riveros setzen können, den Nationalspieler, der in Manchester schon erste Schritte in der Champions League gemacht hatte. Riveros kam später für Petretta und erzielte das 5:0.
Diese Abwehr gestand Lissabon keine Handvoll Chancen zu. In solidarischer Arbeit stand die Basler Mannschaft gegen den Ball in einer 5-4-1-Grundordnung derart organisiert, dass die Portugiesen keinen einzigen Schuss auf das Tor von Tomas Vaclik schafften. Zudem zeugen die 109 gelaufenen Kilometer im Vergleich zu Benficas 100 von einer Pressingleistung, auf der das Kräfteungleichgewicht mitunter beruhte. Dass kein Basler von Krämpfen geplagt vorzeitig vom Feld musste, spricht entweder für eine starke körperliche Verfassung – oder für ein bis dahin unbekanntes Adrenalin-Level.
«Ich hoffe, es geht so weiter, wir haben auch schon erlebt, dass das schnell kippen kann», sagt Michael Lang.
Hinreissend. Alles gut. Von jetzt an kann es nur noch gut kommen. Wer am Tag nach der Partie ohne Kopfhörer durch die Stadt, die Büros, die Kaffeehäuser geht, hört fast ausschliesslich solche Aussagen. Doch Wicky sagte es selbst am deutlichsten: «Wenn man nicht gewinnt, ist es wichtig, dass man Ruhe bewahrt. Und wenn man gewinnt, wie gegen Benfica, muss man bescheiden bleiben, geniessen, weiterarbeiten und an das glauben, was man tut. Ich sehe diesen Sieg nicht als Befreiung.»
Der Trainer hatte in diesem Moment seine Fassung wieder gefunden. Als einer, der im Misserfolg nicht alles schlecht redet und im Erfolg nicht alle und jeden in den Himmel lobt. Wicky weiss selbst am besten, dass der FC Basel zwei Gesichter braucht, um seine Ziele zu erreichen: auf der einen Seite ein Team, das mit einer aussergewöhnlichen Tagesform gegen einen Gegner vom Format von Benfica Lissabon besteht, auf der anderen Seite Auftritte, die den Erfolg in der heimischen Liga sichern.
In der Champions League an einem guten Tag ein auf dem Papier besser eingestuftes Team zu bezwingen, ist vergleichbar mit einem Frühstück in einem Hotelressort: Kaum woanders ist es einfacher, seinem Körper mit einem Früchtemüesli einen Höhepunkt in Sachen gesunder Ernährung zu ermöglichen. Alles liegt dafür am Büffet bereit. Einen Körper auf Dauer gesund zu halten, erfordert aber mehr: Ernährungskonstanz im täglichen Leben, Früchte einkaufen, zubereiten, abwaschen.
Am Samstag ist der normale Werktag angesagt
Für den FC Basel sind die Super-League-Partien die Werktage. Und es wird sich zeigen, wie dauerhaft der historische Erfolg gegen Lissabon ist. «Ich hoffe, es geht so weiter, wir haben auch schon erlebt, dass das schnell kippen kann», mahnt Verteidiger Michael Lang. Am Samstag gastiert der Meister im Letzigrund. Da werden nicht 34’111 Menschen zugegen sein wie am Dienstag. Sondern etwas über 6000. Welche Anreize werden dann Dimitri Oberlin beim Sprint über 95 Meter tragen? Wird der Boulevard dann seiner überhasteten Forderung Nachdruck verleihen, Oberlin gehöre in das Kader der in dieser Zusammensetzung ausgezeichnet funktionierenden A-Nationalmannschaft?
Das wahre Gesicht muss dieser FC Basel in der Super League zeigen. «Wir brauchen gegen GC die ganze Demut, die uns gut ansteht», sagt Streller, der weiss: «Es kann auf beide Seiten schnell kippen.» Der Sportchef ist sich am Tag nach dem Spiel – mit gebotenem Abstand zur emotionalen Aufregung – bewusst, dass es diesen Erfolg gegen Lissabon zu geniessen gilt. Aber: mit gebotener Vorsicht.
«Wir müssen gegen GC nachlegen, nur dann ist dieser Erfolg wertvoll», sagt Streller. Nur dann ist die in Basel empfunde Erregung nach diesem historischen Abend nachhaltig.