Ein starker Auftakt genügte Stanislas Wawrinka nicht. In einem grossen Spiel bezwingt Roger Federer seinen Freund in vier Sätzen und steht nun zum neunten Mal in Wimbledons Halbfinal.
Es gab einen Moment, einen Zeitpunkt an diesem Mittwochnachmittag, an dem Wimbledon endgültig von einem sportlichen Erdbeben erschüttert zu werden drohte. Der Bulgare Grigor Dimitrow hatte Andy Murray schon in drei schmerzhaft klaren Sätzen auf die Heimreise geschickt, den noch amtierenden Champion, den Hoffnungsträger Britanniens.
Novak Djokovic lag gegen den Kroaten Marin Cilic mit 1:2-Sätzen zurück, und auch Roger Federer geriet mit 0:1-Sätzen gegen seinen Freund und Landsmann Stanislas Wawrinka in Rücklage. Sollten sie tatsächlich alle ausscheiden in einer Art Grand Slam-Revolution, die Grossen Vier, die Spieler, die über fast ein Jahrzehnt auch hier im All England Club die Titel unter sich ausgespielt hatten – 24 Stunden nachdem Rafael Nadal von dem 19-jährigen Australier Nick Kyrgios abserviert worden war?
Federer unter zwei Ewigbesten
Die Antwort gab nicht nur nur Djokovic, der sein Defizit noch in fünf Sätzen wettmachte, sondern vor allem der einstige Be-Herrscher der Tennisgrüns – Roger Federer, Meisterspieler Wimbledons und unterwegs auf einer Grand Slam-Mission zum achten Titel: Mit aller Kraft, Energie und Leidenschaft bog der 32-jährige die Partie gegen Wawrinka noch zu einem 3:6, 7:6 (7:5), 6:3, 6:4-Sieg und dem neunten Halbfinaleinzug an der Church Road um.
«Es ist ein grossartiges Gefühl, noch in dieser alles entscheidenden Phase dabei zu sein», sagte Federer nach dem 72. Wimbledon-Einzelsieg seiner Karriere, mit dem er sich auf Platz 2 der ewigen Bestenliste hinter Jimmy Connors setzte. Interessierte Beobachter des «Swiss Battle» (wimbledon.com) waren im übrigen auch Thronfolger Prinz William und seine Frau Kate.
Federer: «Die Aussichten für das Ende des Turniers sind sehr aufregend. Ich will jetzt den Weg auch zu Ende gehen»
Ein Jahr nach seinem bitter enttäuschenden Zweitrundenaus gegen den Ukrainer Sergej Stachowski war Federer nun wieder in Griffweite und Schlagdistanz zum Siegerpokal, den er so oft wie keine andere Trophäe in seiner Arbeitswelt in die Höhe hielt – sieben Mal schon seit dem Premierensieg 2003. «Die Aussichten für das Ende des Turniers sind sehr aufregend. Ich will jetzt den Weg auch zu Ende gehen», sagte er später.
Federers Halbfinalgegner wurde am Abend zwischen dem Kanadier Milos Raonic und dem Senkrechtstarter aus Down Under ermittelt, dem Teenager Kyrgios. Das zweite Vorschlussrundenspiel bestreiten am Freitag dann Djokovic und der «Mann der Stunde», Dimitrow, der schon überzeugend das Vorbereitungsturnier im Queens Club gewonnen hatte.
Rasentennis in Perfektion
Doch auch Federer, der Maestro, ist in dieser Rasensaison noch ungeschlagen, weist nun einen makellosen 8:0-Rekord inklusive der erfolgreichen Titelkampagne in Halle auf. Gegen Wawrinka allerdings musste sich der älteste aller im Turnier verbliebenen Spieler gewaltig strecken, um nicht auch in den Turbulenzen dieser erstaunlich offenen englischen Meisterschaften des Jahres 2014 unterzugehen.
Einen Satz lang schien Wawrinka sogar drauf und dran, Federer aus seiner grünen Wohlfühlzone zu vertreiben: Fast fehlerfrei, druckvoll und aggressiv, spielte der Romand da auf, liess dem eigenen Idol kaum Chancen. Es war Rasentennis in Perfektion, von dem Schweizer allerdings, den sie in London noch kaum kennen und einzuschätzen wissen.
Das Blatt wendete sich in Federers zweitem Wohnzimmer, dem Centre Court, dann Mitte des zweiten Satzes – der Rekordchampion spielte selbst mit mehr Risiko und Dynamik, und Wawrinka schien plötzlich kleinere körperliche Probleme zu haben. Jedenfalls liessen sein Energielevel, seine Intensität ein wenig nach, und doch so viel, um Federer leichte Vorteile zu verschaffen. «Es ist hart, drei Tage hintereinander auf dem Platz zu stehen», sagt Wawrinka, der seit Montag ja ununterbrochen im Einsatz gewesen war, «das ging an die Substanz.»
Der Schlüsselmoment zur Wende in diesem Showdown der Kumpels kam im Tiebreak, in dem Federer den dritten Satzball zum 7:5 verwandelte, sehr zur Freude seines Beraters Stefan Edberg mit einer gelungenen Netzattacke. Von diesem 1:1-Satzausgleich an entwickelte sich ein anderes Spiel auf der Hauptwiese Wimbledons – mit Federer als dem Spieler, der weithin diktierte, Tempo und Takt vorgab, die Big Points machte, frischer und drahtiger wirkte. Und mit Wawrinka, dessen Körpersprache auf einmal nicht mehr den Glauben ausdrückte, zum dritten Mal im 16. Match gegen Federer gewinnen zu können und zu wollen.
Ein Spiel ohne Verlierer
Wawrinka reagierte nur noch, wo er zuvor selbst regiert hatte auf dem Centre Court. Federer verschaffte sich dann mit jeweils einem Break im dritten und vierten Satz die nötigen Vorteile, doch ganz am Ende wurde es noch einmal kribbelig für ihn, den Publikumsliebling der Fans. Vier Matchbälle wehrte Wawrinka mit Bravour und grossem Widerstandswillen ab, doch beim fünften Siegpunkt konnte er dann doch nicht mehr den Triumph des «ewigen Wimbledon-Gärtners» (Daily Mail) Federer verhindern, des Mannes, der nun sage und schreibe 35 Mal in ein Grand Slam-Halbfinale vorgestossen ist.
Am Ende, als die Hackordnung zwischen Rasenmeister Federer und Herausforderer Wawrinka in Wimbledon beim Alten geblieben war, umarmten sie sich beide – nach diesem historisch vielleicht einmaligen, mitreissenden und packenden Viertelfinalduell. Es gab einen Sieger. Und einen zweiten Sieger. Und keinen Verlierer.