Mit Stanislas Wawrinka und Roger Federer sind erstmals zwei Schweizer im gleichen Jahr für die ATP-World-Tour-Finals qualifiziert. Für den Status einer Tennisnation fehlt es der Schweiz aber an der Breite und am Erfolg im Davis-Cup. Eine Einordnung.
Stanislas Wawrinka krönt seine ausgezeichnete Saison und wird in London bei den ATP-World-Tour-Finals dabei sein. Es ist Wawrinkas erste Qualifikation für die inoffizielle Tennisweltmeisterschaft, bei der am Ende des Jahres die besten acht Spieler der Weltrangliste teilnehmen. Dafür reichte dem Lausanner ein Sieg am Dienstag gegen den Spanier Nicolas Almagro beim Masters-1000-Turnier in Paris-Bercy.
Der Westschweizer, der erstmals in seiner Karriere das Tennisjahr in den Top Ten beenden wird, ist der dritte Schweizer, der sich eine Teilnahme an den ATP-Finals sichert. Der erste war 1988 Jakob Hlasek, der zweite Roger Federer im Jahr 2002.
Federer, der sich in Paris-Bercy am Freitag mit einem Sieg gegen Juan Martin Del Potro für die Finalniederlage an den Swiss Indoors revanchierte, wird ebenfalls in London antreten. Für seine zwölfte Teilnahme qualifizierte er sich nach der schwierigen Saison mit nur einem Titel (Halle) und der schmerzhaften Zweitrundenniederlage in Wimbledon ungewohnt spät. Das tut der Tatsache aber keinen Abbruch, dass der Münchensteiner das Turnier seit 2002 nicht mehr verpasst hat – nur Ivan Lendl hat ebenfalls zwölf Mal in Folge daran teilgenommen.
Schweizer Premiere
Eine Premiere ist die Qualifikation der beiden Schweizer Topspieler für das hiesige Tennis: Noch nie waren zwei Schweizer im gleichen Jahr an den ATP-Finals vertreten. Die Schweiz ist die zwölfte Nation, der dieses Kunststück gelingt (siehe Grafik «Spieler an den ATP-World-Tour-Finals»).
Die doppelte Vertretung zeigt, dass die Schweiz an der Tennis-Weltspitze ausgezeichnet aufgestellt ist. In der Betrachtung der Top-500 der Weltrangliste zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Von den sechs Nationen, die an den ATP-World-Tour-Finals mit von der Partie sind, verfügt die Schweiz über die wenigsten Top-500-Spieler, nämlich deren neun. Vor allem Frankreich, Spanien und Argentinien sind der Schweiz in absoluten Zahlen weit voraus.
In den Top-200 ist neben Federer und Wawrinka gerade mal noch ein Schweizer klassiert: Marco Chiudinelli auf Platz 199.
Der Schweiz fehlt ein Sieg im Davis Cup
Eine ähnliche Verteilung innerhalb der Top-500 weist Serbien auf. Die Osteuropäer, die mit Novak Djokovic einen der besten Spieler der letzten Jahre in ihren Reihen wissen, haben der Schweiz allerdings etwas voraus: den Sieg im Davis-Cup im Jahr 2010.
Zwar stand die Schweiz 1992 im Final des Nationenwettbewerbs – im Jahr, als Marc Rosset in Barcelona Olympiasieger im Einzel wurde –, gewonnen hat die Schweiz die «hässlichste Salatschüssel der Welt» (so der geläufige Begriff des Davis-Cup-Pokals) aber noch nicht.
Dabei könnten die Bedingungen für eine erfolgreiche Davis-Cup-Kampagne mit Federer und Wawrinka als herausragenden Einzelspielern eigentlich nicht besser sein. Ganz zu schweigen davon, dass die beiden mit dem Olympiasieg 2008 in Peking auch ihre Klasse im Doppel bewiesen haben. Sie schlugen dabei unter anderem die Gebrüder Mike und Bob Bryan – die vermeintlich beste Doppelpaarung der Welt.
Federer ist dem Davis Cup gegenüber reserviert
Jetzt, wo beide beim Turnier der besten acht mit dabei sind, scheint die Ausgangslage für künftige Davis-Cup-Taten besser denn je. Scheint, denn die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass immer mehr Top-Spieler den Davis-Cup nicht bestreiten: Seit 1995 hat nur noch Spanien den Davis-Cup in einem Jahr gewonnen, in dem zwei Spieler für die ATP-Finals qualifiziert waren.
Die Unsicherheit darüber, wann und vor allem wo die jeweiligen Davis-Cup-Paarungen ausgetragen werden, ist den besten Professionals zu gross. Der Nationenwettbewerb ist mit dem engen Turnierkalender der ATP schwerlich vereinbar: Federer hat sich immer wieder zurückhaltend bezüglich einer Davis-Cup-Teilnahme geäussert, legte den Fokus auf seine Einzelkarriere und war in den letzten Jahren eigentlich nur immer dann dabei, wenn es um den Verbleib in der Weltgruppe ging.
Wawrinka, in Abwesenheit Federers die klare Nummer 1 im Schweizer Davis-Cup-Team, hat sich in der Vergangenheit ohne Wenn und Aber für die Länderspiele zur Verfügung gestellt. Sollte ihm 2014 eine ähnlich gute Saison gelingen wie in diesem Jahr, oder gar eine bessere, müsste sich aber auch der Lausanner die Frage stellen, ob er seine Saisonplanung nicht eher hinsichtlich der ATP-Turniere optimieren soll.
In diesem Fall wäre eine doppelte Schweizer Vertretung an den ATP-World-Tour-Finals auch 2014 möglich und würde den Schein einer grossen Tennisnation Schweiz weiterhin wahren.
Resultate, Viertelfinals
Stanislas Wawrinka SUI–Novak Djokovic SRB 1:6, 4:6
Programm, Halbfinal
u.a.: Roger Federer SUI–Novak Djokovic SRB; Samstag, nicht vor 14.30 Uhr; live auf SRF2