Vor wenigen Monaten sprachen zwei angeschlagene Spieler über ein Showmatch. Nun lassen Roger Federer und Rafael Nadal das grösste Duell des zeitgenössischen Tennis im Final der Australian Open wiederaufleben.
Im vergangenen Herbst besuchte Roger Federer auf Mallorca den Tennis-Unternehmer Rafael Nadal. Federer war Ehrengast bei der Eröffnung der Nadal-Akademie, einer imponierenden Ausbildungsstätte für ambitionierte Talente. Es war auch ein leicht sentimentales Wiedersehen von zwei Superstars in der Krise.
Federer gerade mitten in einer sechsmonatigen Verletzungsauszeit, Nadal mal wieder auf Comeback-Mission – kein Wunder, dass sich der Maestro und der «Stier von Manacor» ehrlich fragten, ob sie jemals wieder in einem grossen Match auf dem Platz stehen würden. «Wir haben gesagt: Lass uns wenigstens mal wieder ein Showmatch machen», erinnert sich Nadal an jenen sonnigen Tag auf seiner Heimatinsel. Es war der 19. Oktober.
Doch wenn zwei verrückte Australian-Open-Wochen am Sonntagabend (Sonntagmorgen, 9.30 Uhr Schweizer Zeit) im Finale der Männer ihre rauschende Schluss-Aufführung erleben werden, dann stehen sich in der ausverkauften Rod-Laver-Arena von Melbourne die wohl grössten Racket-Rivalen dieses Jahrhunderts gegenüber.
» Die Federer-Nadal-Rivalität in epischer Betrachtung bei Wikipedia
Nadal gegen Federer, da geht es keineswegs um harmloses Vergnügen in einem Showmatch. Es geht im ewig grünen Klassiker zwischen dem perfekten Stilisten und dem Ausnahme-Fighter noch einmal um einen Grand-Slam-Titel. Um Nummer 18 für Federer. Oder um Nummer 15 für Nadal.
Extremsport auf allerhöchstem Niveau
Jener Nadal, der nach jahrelanger Verletzungspein von Experten und Fans fast schon abgeschrieben war, folgte Federer am Freitag in einer seiner legendären Kraftanstrengungen ins Endspiel nach, machte das herbeigesehnte Rendezvous mit Federer perfekt.
Welch ein Sieg, welch ein Drama, welch ein Marathon aber war es: Vier Stunden und 56 Minuten brauchte der 30-jährige, um den fünf Jahre jüngeren Bulgaren Grigor Dimitrow mit 6:3, 5:7, 7:6 (7:4), 6:7 (4:7) und 6:4 in einem der grössten Australian-Open-Matches aller Zeiten niederzuringen. «Ich bin sehr müde, aber auch sehr glücklich», sagte Nadal nach dem auszehrenden Marathonsieg, der ihn erstmals seit den French Open 2014 wieder in ein Major-Finale brachte.
Welche Auswirkungen dieser knapp fünf Stunden währende Extremsport auf allerhöchstem Niveau hatte, war die naheliegende Frage. Vor acht Jahren hatte Nadal einmal einen ähnlichen Halbfinal-Klassiker gegen seinen Landsmann Fernando Verdasco gewonnen, auch damals ging die Partie erst weit nach Mitternacht zu Ende. Alle rechneten mit einem Einbruch von Nadal, zwei Tage später im Endspiel gegen einen gewissen Roger Federer.
Doch Nadal erwischte alle Untergangspropheten auf dem falschen Fuss – mit dem Pokal im Gepäck verliess er Melbourne. «Ich hoffe, dass ich mich bis zum Sonntag erholen kann», sagte der Spanier, «ich will gerüstet sein für dieses Match.» Schon am Donnerstag hatte Federer, der Gewinner des innerschweizerischen Duells gegen Stan Wawrinka, angekündigt, er werde in diesem Endspiel «absolut alles rauslassen, auch wenn ich danach fünf Monate nicht mehr laufen kann.»
«Ich hätte nicht viel gewettet auf mich»
Ganz gleich, was noch passieren wird in diesem Nostalgie-Finale, bei diesem Zurück-in-die-Zukunft-Drehbuch der Australian Open 2017 haben Federer und Nadal, die beiden Hauptdarsteller, alle im Wanderzirkus schon mal auf dem falschen Fuss erwischt. Nicht zuletzt auch sich selbst.
«Ich hätte nicht viel gewettet auf mich», sagte Nadal kopfschüttelnd nach dem Finaleinzug, der ihm ebenso unwirklich und bestaunenswert vorkam wie Federer 24 Stunden zuvor. «Schlicht der Wahnsinn» sei die 35. Auflage des Giganten-Kampfs, dieser Showdown von Melbourne, gab TV-Mann Boris Becker zu Protokoll: «Diese Story hätte man sich nicht besser ausdenken können.»
Immerhin schon drei Jahre liegt das letzte Grand-Slam-Duell des Duos zurück, das sich in der ersten Dekade dieses Jahrhunderts die grossen Titel und die Macht im Welttennis aufgeteilt hatte: 2014 bei den Australian Open siegte Nadal in drei Sätzen in der Vorschlussrunde. Auch der Titel beim letzten Grand-Slam-Finalfight ging an den Mallorquiner, 2011 bei den French Open.
Überhaupt hat Federer gegen keinen anderen Weggefährten eine schlechtere Bilanz als gegen Nadal, 11:23 lautet der Vergleich aus seiner Sicht. Aber das zähle «überhaupt nicht», meinte Nadal Freitagnacht, «wir starten am Punkt Null. Es wird hoffentlich eine tolle Erfahrung.»
Der Traum vom späten Grand-Slam
Gegen Dimitrow erlebte Nadal einen stilistischen, wohl auch dramaturgischen Vorgeschmack, was ihn am Sonntag erwartet. Der Bulgare trägt nicht zu Unrecht den Spitznamen «Baby-Fed», er gleicht in vielen Aktionen dem grossen Meister, aber bisher fehlte ihm oft die Zähigkeit und der Punch, die Federer auch auszeichnen.
Doch in diesem Duell mit Nadal kündigte er sich trotz seiner unglücklichen Niederlage wie nie zuvor als kommender Champion an, leistete bis zur allerletzten Sekunde erbitterte Gegenwehr. Bei einer 4:3-Führung im fünften Satz und 40:15 hatte er zwei Breakbälle zum wegweisenden 5:3, aber in jenem Moment der Bedrängnis zeigte Nadal das Big-Point-Tennis alter Tage. Nervenstark glich er zum 4:4 aus, nahm dem geschockten Gegner den Aufschlag zum 5:4 ab – und servierte das Spiel nach Hause.
Sein Traum von spätem Grand-Slam-Ruhm lebt weiter. So wie der von Federer, dem Freund und grössten Gegner.