Aus finanzieller Sicht muss Bayern München die Champions League nicht regelmässig erobern – vom eigenen Selbstverständnis her schon.
Ein wenig Aufregung gehört immer dazu. Das ist der FC Bayern München sich schuldig. Ein Club, der mehr ist als nur ein Verein. Ein Unterhaltungsbetrieb, der mehr bietet als Showbusiness. Eine Institution, die zu einem deutschen Markenbegriff geworden ist und die den eigenen Mehrwert zum Programm erhoben hat.
Eigentlich ist alles ganz einfach und deshalb manchmal so schwer. «Wir müssen immer gewinnen beim FC Bayern», sagt der deutsche Nationalspieler Thomas Müller und beschreibt so den von Jahr zu Jahr erneuerten Dauerauftrag der Mannschaft. Eine fortgesetzte Erfolgsgeschichte als Vereinskontinuum, das ist die anspruchsvolle Grundvoraussetzung, die in diesem Verein die Profis auf dem Platz und die Profis hinter den Kulissen ständig in Atem hält.
Nicht immer werden dabei Wünsche wahr und Pläne Realität. Deshalb wird die besonders ambitionierte Mission dieses Jahres auch schon mal mit leisen Zweifeln befrachtet. Deutscher Meister sollen die Bayern nach dem, wie sie hoffen, Dortmunder Interregnum der vergangenen Spielzeit wieder werden und Pokalgewinner noch dazu, ehe sie auch beim Höhepunkt der Saison die Hauptrolle spielen wollen: Champions-League-Gewinner am 19. Mai in der Münchner Allianz-Arena, das wäre für den Club und die Mannschaft von Trainer Jupp Heynckes das Nonplusultra.Doch die Wege zum Ziel muten beschwerlich an.
Alles oder nichts – wie immer
In der europäischen Königsklasse fühlen sich die Bayern bei allem Respekt vor dem FC Basel noch am ehesten gewappnet, das Achtelfinalduell mit dem Schweizer Meister zu bestehen. In der Bundesliga aber ist Dortmund fürs Erste schon wieder am Rekordmeister (22 Titel) vorbeigezogen, und im DFB-Pokal droht dem Rekordcupgewinner (15 Titel) eine hammerharte Halbfinalbegegnung bei der frisch erstarkten Mönchengladbacher Borussia.
Mit anderen Worten: Es geht wieder einmal um alles oder nichts für einen der fünf führenden europäischen Vereine, in dessen Pokalvitrine sich die Trophäen nur so stauen. Wie sie ihren alle Jahre wieder langen Marsch durch die drei Wettbewerbe mit Krönungsaussicht angehen, verdeutlichen drei Worte, die schon an der Kragenweite der Spieler und auf der Homepage des von über 170 000 Mitgliedern treu begleiteten Clubs als ewige Bayern-Botschaft abzulesen sind: «Mia san mia.»
Dieses spezifisch bayerische Selbstbewusstsein verkörpert seit Jahren vor allem ein Schwabe: der Ulmer Uli Hoeness, am 5. Januar zu seinem 60. Geburtstag zum bayerischen Ehrenbürger erhoben. Hoeness lebt und leidet seit über vierzig Jahren mit seinem FC Bayern, dem er als Spieler (1970 bis 1979), als Manager (1979 bis 2009) und als Präsident (seit 2009) stets zu Diensten war.
Schulden kennen die Bayern nur vom Hörensagen
Der Anführer der selbsternannten «Abteilung Attacke» hat den Kurs des Clubs einmal mit dem Satz beschrieben, «ich bin immer meinen Weg gegangen, nicht links und nicht rechts». Diese bajuwarische Mentalität, sich treu zu bleiben, selbst Massstäbe zu setzen, sich von anderen nicht beeindrucken zu lassen, hat wesentlich zur Prägung dieses Clubs beigetragen, der anders als renommierte Konkurrenz wie Real Madrid, der FC Barcelona, Manchester United oder die AC Milan das Wort Schulden nur vom Hörensagen kennt.
Okay, ein paar Verbindlichkeiten müssen auch die Bayern noch abtragen, damit sich ihr am 30. Mai 2005 eröffnetes und seitdem ständig ausverkauftes Stadion im Norden der Stadt noch besser rentiert. Die Arena hat 346 Millionen Euro gekostet; 170 Millionen Euro plus Zinsen sind schon getilgt. Damit liegen die Münchner schon weit vor ihrem Zeitplan. Bis 2015 sollen die Kosten für das Endspielstadion der diesjährigen Champions-League-Kampagne vollends getilgt sein.
Wer zuletzt Jahresumsätze von über 300 Millionen Euro stolz vermeldet, über eine Eigenkapitalquote von 65 Prozent verfügt, wer seine Bilanzen seit 19 Jahren en suite mit Gewinn abschliesst und das von Hoeness zur Legende gemachte «Festgeldkonto» – im Gegensatz zu den Schuldenmillionen der Konkurrenz – zum Ablauf des Geschäftsjahres 2010/11 mit 129,1 Millionen Euro prall gefüllt hat, wer also mit lauter erfreulichen Geschäftsziffern aufwarten kann, der muss nicht zwingend die Champions League alle Jahre wieder erobern.
Kein Dagobert Duck
Dennoch sind die Bayern kein knausriger Club, der das Geld à la Dagobert Duck hortet. Karl Hopfner, als stellvertretender Vorsitzender der von Karl-Heinz Rummenigge angeführten FC Bayern München AG der Finanzfachmann des deutschen Parade-Clubs, sagt: «Wir sind schon öfters ins Risiko gegangen. Die unternehmerische Leidenschaft war aber immer gepaart mit Vernunft.»
Hopfner hat wie die ehmaligen Nationalspieler Rummenigge und Hoeness, der auch sehr erfolgreich eine Nürnberger Wurstfabrik leitet, das Münchner Erfolgsprinzip verinnerlicht: «Der sportliche Erfolg zieht den wirtschaftlichen Erfolg nach sich, nicht umgekehrt.»
44 Millionen Euro haben die Münchner zu Saisonbeginn in neue Kräfte wie den vom FC Schalke 04 gekommenen Nationaltorwart Manuel Neuer, wie den von Manchester City verpflichteten deutschen Nationalspieler Jérôme Boateng und den vom CFC Genua 1993 in die Bundesliga zurückgeholten brasilianischen Verteidiger Rafinha investiert.
Ausgaben, mit denen die in der vergangenen Saison poröse Defensive verstärkt werden sollte, nachdem in den Jahren davor Offensivstars wie die Flügelflitzer Arjen Robben und Franck Ribéry sowie der wuchtige Mittelstürmer Mario Gomez für viel Geld verpflichtet worden sind.
Wahre Kontinuität an der Spitze
Noch aber wirkt die Defensive der Bayern nicht gegen jeden Ansturm gefestigt, noch offenbart der Angriff Schwächen, wenn Trainer Jupp Heynckes wieder einmal aus lauter Stars die richtige Mannschaft bilden soll. Zuletzt wurde Robben, an seinen besten Tagen ein unwiderstehlicher Wirbelwind auf der rechten Seite, zur Münchner Bankreserve – und schaute, weil mit einem starken Ego gesegnet, mürrisch drein. Wer aber bei Bayern spielt, muss in dieser Ansammlung hochkarätig bewerteter Profis mit solchen Widrigkeiten rechnen.
Wahre Kontinuität beweist der Club vor allem an der Spitze seines Fussball-Unternehmes: Hoeness ist schon ewig da, Rummenigge und Hopfner auch seit Jahrzehnten, und über allem schwebt der Geist des zu seiner aktiven Libero-Zeit genialen «Kaisers» Franz Beckenbauer, der seinen Präsidententhron 2009 für Hoeness räumte, aber immer noch als letzte Instanz gilt.
Für jüngere Führungskräfte ist es nicht leicht
Da hat es eine vergleichsweise junge Bayern-Grösse wie der Manager Christian Nerlinger nicht leicht, an Profil zuzulegen. Doch auch er ist in diesem Club mit 480 Angestellten aufgewachsen, der sich immer noch wie eine Grossfamilie definiert. Von Fall zu Fall spricht Nerlinger schon so wie die Granden der Bayern.
«Die Schwachstellen, die wir haben», sagte er vor Beginn der Bundesliga-Rückrunde, «wünschen sich sehr viele andere.» Da wusste er noch nicht, dass sein FC Bayern aus den drei ersten Spielen nur vier Punkte holen und damit hinter Dortmund auf Platz zwei zurückfallen würde. Eine Momentaufnahme, gewiss, aber eine, die dem notorischen Sieger aus dem deutschen Süden überhaupt nicht gefällt.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.02.12