Frecher Bauer gibt zu forschem Carlsen aufs Dach

Es gibt doch noch etwas anderes als Remis an der Schach-Weltmeisterschaft: In der achten Partie bringt Herausforderer Sergej Karjakin dem Titelverteidiger Magnus Carlsen eine empfindliche Niederlage bei. Der ist sichtlich genervt.

Magnus Carlsen studies the board during round 8 of the World Chess Championship against Sergey Karjakin, in New York, Monday, Nov. 21, 2016. (AP Photo/Richard Drew)

(Bild: Keystone/RICHARD DREW)

Es gibt doch noch etwas anderes als Remis an der Schach-Weltmeisterschaft: In der achten Partie bringt Herausforderer Sergej Karjakin dem Titelverteidiger Magnus Carlsen eine empfindliche Niederlage bei. Der ist sichtlich genervt.

Magnus Carlsen schaut missmutig drein. Der weit in sein Lager vorgestossene schwarze Bauer schlägt dem Schach-Weltmeister aufs Gemüt. Auf dem Feld a2 benötigt er nur noch einen Schritt, um sich zur Dame umzuwandeln. Das kann Carlsen nicht zulassen. Doch wenn er den frechen Bauern schlägt, wird sein König auf dem anderen Flügel mattgesetzt.

Sergej Karjakin hat das sofort erkannt. Sein Rivale bei der Schach-WM in New York kann das Dilemma nicht mehr auflösen und streckt dem Herausforderer nach 52 Zügen als Zeichen des Aufgebens die Hand entgegen. Ein bitterer Verlust nach sieben Remis: Carlsen übertrieb erst seine Gewinnbemühungen wie ein hölzerner Kaffeehaus-Schachspieler – und am Schluss wurde er auch seinem legendären Ruf nicht mehr gerecht, die Endspiel-Phase mit wenigen Figuren auf dem Brett wie eine Maschine perfekt zu beherrschen.

Die 8. Partie, erklärt von Schach-Grossmeister Stefan Kindermann für die «Süddeutsche Zeitung»:

Im verbleibenden Drittel der maximal zwölf Partien muss der 25-Jährige nun angesichts des 3,5:4,5 mehr zeigen, will er an seinem Geburtstag am 30. November wenigstens durch ein 6:6 den Schnellschach-Tiebreak erreichen.

Die Danaergeschenke

«Es kann immer noch alles passieren», versuchte Karjakin anschliessend Ruhe zu bewahren. Doch die Freude stand ihm nach dem erst zweiten Sieg über Carlsen ins Gesicht geschrieben. Der Jubel war gross nach der Aufgabe des haushoch favorisierten Weltranglistenersten – Karjakin kam deshalb sogar zu spät zur Pressekonferenz.

Carlsen sass daher mutterseelenallein auf dem Podium und hing seinen negativen Gedanken nach. Wo waren ihm Patzer unterlaufen in der Zeitnotphase ab dem 30. Zug? Bei jeweils weniger als fünf Minuten verleugnete der Norweger sein wahres Naturell, wollte zaubern und im Mattangriff siegen. Doch Karjakin verspeiste die als Danaergeschenke gedachten Bauern.



Magnus Carlsen, left, and Sergey Karjakin face off during round 8 of the World Chess Championship, in New York, Monday, Nov. 21, 2016. (AP Photo/Richard Drew)

Sergej Karjakin (rechts) bringt den Weltmeister in aussichtslose Lage und gewinnt die erste Partie an der Schach-WM in New York. (Bild: Keystone/RICHARD DREW)

Die Verteidigung organisierte der Russe von der Krim diesmal fern des Optimums. Doch die kleinen Fehler reichten, weil Weiss stets nur einen Zug auf dem schmalen Grat zum Remis finden musste. Carlsen scheiterte: Der weiter und weiter vorrückende a-Bauer flösste ihm Angst ein. Mit einem letzten schwachen Zug öffnete der Weltmeister auch noch kläglich seine Königs-Flanke.

Ein sichtlich genervter Carlsen

Karjakin zögerte lediglich kurz, dann gab der 26-Jährige seinen Trumpf auf a2 preis, um die weisse Dame abzulenken, und wollte mit dem verbliebenen eigenen Bauern, Springer und Dame über den wehrlosen feindlichen Monarchen herfallen. Der Weltmeister erkannte die aussichtslose Lage und gab auf.

Sichtlich genervt starrte Carlsen allein auf dem Podium eine Weile in die Ferne – dann verlor der sonst so geduldige Champion die Contenance, wollte nicht länger auf den Herausforderer warten und rauschte gestikulierend von dannen.

«Es kann noch immer alles passieren», wiederholte Karjakin danach gebetsmühlenartig seine Warnung an sich selbst. Doch die Wahrheit ist: Inzwischen spricht einiges für den jüngsten Grossmeister aller Zeiten, der bereits mit zwölf Jahren und sieben Monaten den «schwarzen Gürtel» des Denksports eroberte.

Carlsen überzeugte in New York bisher nicht, regelmässig vergab er gute Stellungen. Beruhigte sich der Titelverteidiger bisher mit Aussagen wie «Es ist noch nichts passiert», steht er nun gehörig unter Druck in dem Kampf um eine Million Euro Preisgeld. Irgendwie muss er nun gewinnen. Die Zeit der langweiligen Remis ist vorbei.

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Der Zeitplan der WM, 9. Partie: Mi, 23. November 2016, 16 Uhr. – 10. Partie: Do, 24. November 2016, 20 Uhr. – Ruhetag: Fr, 25. November. – 11. Partie: Sa, 26. November. – Ruhetag: So, 27. November 2016. – 12. Partie: Mo, 28. November 2016, 20 Uhr. – Ruhetag: Di, 29. November. – Tie-Break: Mi, 30. November 2016, 20 Uhr.
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