Granit Xhaka: «Uns kann niemand etwas vorwerfen»

Das emotionsbeladene Duell gegen Albanien ist vorüber, und Xherdan Shaqiri findet: «Das muss ich nicht jede Woche haben.» Die Punkte nehmen die glücklicheren Schweizer mit, die damit die Tür zum Achtelfinal aufgestossen haben. Jetzt müssen sie am Mittwoch gegen Rumänien nur noch mehr als 20 Minuten guten Fussball bieten.

epa05357364 Swiss midfielder Granit Xhaka (L) hugs his brother Albania's midfielder Taulant Xhaka after the UEFA EURO 2016 group A preliminary round match between Albania and Switzerland at Stade Bollaert-Delelis in Lens Agglomeration, France, 11 June 2016.....(RESTRICTIONS APPLY: For editorial news reporting purposes only. Not used for commercial or marketing purposes without prior written approval of UEFA. Images must appear as still images and must not emulate match action video footage. Photographs published in online publications (whether via the Internet or otherwise) shall have an interval of at least 20 seconds between the posting.) EPA/JEAN CHRISTOPHE BOTT EDITORIAL USE ONLY

(Bild: Keystone/JEAN CHRISTOPHE BOTT)

Das emotionsbeladene Duell gegen Albanien ist vorüber, und Xherdan Shaqiri findet: «Das muss ich nicht jede Woche haben.» Die Punkte nehmen die glücklicheren Schweizer mit, die damit die Tür zum Achtelfinal aufgestossen haben. Jetzt müssen sie am Mittwoch gegen Rumänien nur noch mehr als 20 Minuten guten Fussball bieten.

Mit einem Grinsen im Gesicht wie ein Honigkuchenpferd kam Xherdan Shaqiri aus der Kabine, unter dem Arm ein Täschchen, das fast so gross wie seine Waden ist. Er flachste noch den in Lens viel gefragten Yann Sommer von der Seite an, dann atmete er tief durch und meinte: «Das muss ich nicht jede Woche haben.» 

Ein halbes Jahr lang, seit der Auslosung dieser Endrunde, hat Schweizer wie Albaner dieses Duell begleitet. Der Bruderkampf hat die Xhakas verfolgt, und jetzt war es endlich vorüber. «Es ist viel geschrieben worden, von links, von rechts, von allen Seiten ist man angesprochen worden, sogar am Tag vor dem Spiel noch. Ich habe mein Handy ausgeschaltet», schildert Shaqiri, «es war viel Stress für uns alle.»

» Wales krönt seine EM-Premier mit 2:1-Sieg gegen die Slowakei

» England kassiert späten Ausgleich gegen Russland

» Erneut schwere Fan-Krawalle in Südfrankreich

Ein Nebengleis, das offenbar mehr mentale Ressourcen beanspruchte, als sich das Aussenstehende ausmalen können. Ein Spiel, das zu einer Nervenprobe wurde, und das, obwohl der Schweiz das frühe Führungstor entgegenkam und noch vor dem Seitenwechsel zusätzlich der Platzverweis für Lorik Cana, den Helden und Symbolfigur des albanischen Fussballwunders.

Chancen nicht genutzt, Gegner aufgebaut

So gut die erste halbe Stunde der Schweizer war, die ersten 20 Minuten sogar ausgezeichnet, so merkwürdig entglitt ihnen der Faden. Einen «Schock» nennt Vladimir Petkovic den Platzverweis, einer mit doppelter Wirkung. Denn auf das Schweizer Spiel wirkte er sich negativ aus, wohingegen die Albaner, je länger sie den Kopf über Wasser hielten, Kraft und Solidarität aus ihrer numerischen Unterlegenheit zu schöpfen schienen.

«Wir haben ihnen den Glauben zurückgegeben, weil wir unsere Chancen nicht genutzt haben», analysierte Breel Embolo, der nach einer Stunde für den völlig abgetauchten Admir Mehmedi eingewechselt wurde.

Die Passverteilung im Schweizer Team:



Die Passverteilung im Schweizer Team beim 1:0 gegen Albanien.

(Bild: uefa.org)

Als Haris Seferovic seine vierte Grosschance hatte liegen lassen, beklagten die Albaner erst einen verweigerten Foulpenalty (Lichtsteiner gegen Lenjani) und dann Shkelzen Gashis vergebenen Moment, zum gefeierten Einwechselspieler zu werden.

«Die Schweiz kann froh sein, einen solchen Goalie zu haben»

Stattdessen schwang sich Yann Sommer zum Mann des Spiel auf. Schon nach einer halben Stunde hatte hatte er gegen Armando Sadiku den Ausgleich mit einem Big Save verhindert. Dann reagierte der Ex-Basler Sommer gegen den blendend freigespielten Ex-Basler Gashi in der 87. Minute mit einer Parade, für die an dieser Europameisterschaft nur ein Prädikat gefunden wurde: Weltklasse. 

Aus Gashi, der während seiner Basler Zeit noch als Schweiger in Erscheinung getreten war und nun mit den Colorado Rapids in der MLS seinen, wie er sagt, «American dream» lebt, sprudelte es geradezu. «Den muss ich machen, das müssen wir nicht diksutieren», sagte er zu seiner Chance, «beim einen oder anderen Torhüter wäre der Ball vielleicht reingegangen.»



Football Soccer - Albania v Switzerland - EURO 2016 - Group A - Stade Bollaert-Delelis, Lens, France - 11/6/16 Switzerland's goalkeeper Yann Sommer makes a save. REUTERS/John Sibley

Prädikat Weltklasse: Yann Sommers Parade gegen den frei vor ihm auftauchenden Shkelzen Gashi. (Bild: Reuters/JOHN SIBLEY)

Nicht aber bei Yann Sommer. Nach einer Saison mit Borussia Mönchengladbach, in der er auch das eine oder andere Gegentor kassierte, das man vielleicht verhindern kann, ist er in Lens sofort in Turniermodus gekommen und war ein starker Rückhalt hinter einer Abwehr, in der vor allem Johan Djourou wackelte.

Komplimente prasselten von allen Seiten auf Sommer ein. Nationaltrainer Petkovic schrieb seiner Nummer 1 «viel Charisma» zu. Breel Embolo erinnerte daran, dass er zwei Jahre lang mit Sommer beim FC Basel trainiert hat: «Ich kenne seine Qualitäten. Er ist sackstark.» Und der entzauberte Gashi findet: «Die Schweiz kann froh sein, einen solchen Goalie zu haben.»

Granit Xhakas 129 Pässe

Nur die Uefa fand einen anderen «Man of the Match». Granit Xhaka. Dafür gab es zum einen die Erklärung, dass der jüngere der beiden Xhaka-Brüder 129 Pässe gespielt hatte. Und damit neben grossen Mittelfeldstrategen wie Andrea Pirlo und Xavi Alonso erst der dritte Spieler ist, für den bei einer EM-Endrunde mehr als 125 Pässe in einer Partie gezählt worden sind.

» Das Geld ist gut angelegt – die englische Zeitung «The Mirror» nimmt Arsenal-Transfer Granit Xhaka in Lens genauer unter die Lupe 

In der Tat war Granit Xhaka der Lenker des Schweizer Spiels – zumindest, so lange seine Kräfte reichten. Dafür, dass auch er mehr und mehr abbaute, führte er eine Erkältung ins Feld, die ihm zwei Tage vor dem Spiel zu schaffen gemacht hatte.

Neuerdings nennt man Xhaka den 45-Millionen-Mann, wenn denn diese Summe für den Transfer von Gladbach zu Arsenal den Tatsachen entspricht. Aber das interessiert ihn nicht. «Ob das eine Million oder mehrere Millionen kostet – der Preis belastet mich überhaupt nicht.»

Mutter Xhaka löst den Zwiespalt salomonisch

Schwerer zu tragen hatten er und sein Bruder an diesem Aufeinandertreffen auf dem Fussballplatz. Der eine im Schweizer Trikot, Taulant Xhaka im albanischen. Mutter Eli hatte den nicht einfach zu moderierenden inneren Zwiespalt wie eine Mutter gelöst: salomonisch mit einem schwarzroten T-Shirt, auf dem je zur Hälfte der albanische Doppeladler und das Schweizer Kreuz aufgedruckt war.



Leonita, left, the girlfriend of Swiss midfielder Granit Xhaka, cheers with the mother and the father of the soccer player during the UEFA EURO 2016 group A preliminary round soccer match between Albania and Switzerland, at the Stadium Bollaert-Delelis, in Lens, France, Saturday, June 11, 2016. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)

Bei Mutter Eli Xhaka schlagen zwei Herzen in der Brust. Rechts Vater Ragip, links Leonita Lekaj, die Freundin von Granit Xhaka. (Bild: Keystone/JEAN-CHRISTOPHE BOTT)

In der sehr lauten Atmosphäre des Stade Bollaert-Delelis, dominiert von den in Überzahl vertretenen Skipetaren, spielte Taulant Xhaka am Anstosspunkt den ersten Ball im ersten Spiel einer albanischen Nationalelf an einer Endrunde. Granit langte in der dritten Minute das erste Mal herzhaft gegen Amir Abrashi zu, und jede Ballberührung der Schweizer mit albanischen oder kosovarischen Wurzeln wurde mit gellenden, aber nicht feindseligen Pfiffen begleitet.

Auch aus Granit Xhaka sprach hinterher einige Erleichterung darüber, dass es vorbei war, dieses hochstilisierte Duell. «Wir haben uns professionell verhalten, wir sind in die Zweikämpfe gegangen und es kann uns niemand etwas vorwerfen», meinte er, «jetzt bin ich glücklich, ein bisschen glücklicher als Taulant.»

«Wir haben uns nichts geschenkt»

Mit dem hatten sich die Wege im zentralen Mittelfeld weniger gekreuzt als angenommen, was auch an der Rolle Granits lag, der sich oft nach hinten links zurückfallen liess, um von dort das Schweizer Spiel aufzubauen. In der elften Minute prallten sie dann doch am Schweizer Strafraum aufeinander, und in der 18. Minute grätsche Granit seinen Bruder den Ball vom Fuss. Viel mehr war da jedoch nicht.



Football Soccer - Albania v Switzerland - EURO 2016 - Group A - Stade Bollaert-Delelis, Lens, France - 11/6/16 Switzerland's Granit Xhaka in action with Albania's Taulant Xhaka REUTERS/Carl Recine Livepic

Das erste Bruderduell der EM-Geschichte: Taulant und Granit Xhaka im Stade Bollaert-Delelis von Lens. (Bild: Reuters/Carl Recine)

Taulant war es auch , für den der erste albanische Abschluss notiert wurde, knapp an Sommers Tor vorbei (26. Minute). Nach einer Stunde war die Luft raus, machte er Platz für den offensiveren Ergys Kaçe, und nach dem Spiel wollte Taulant Xhaka eigentlich gar nicht gross Auskunft geben. Immerhin soviel wollte er zum Bruderduell festgehalten wissen: «Wir haben uns nichts geschenkt.»

Bevor die beiden Mannschaften vor die offiziell 33’805 Menschen traten, hatte Granit im Kabinengang proaktiv jeden albanischen Nationalspieler mit einer Umarmung begrüsst, seinen Bruder selbstredend auch. Während der gemeinsamen 61 Minuten auf dem Platz wurde dann kein Wort gewechselt, wie Taulant berichtete. Der hatte an der Niederlage zu kauen: «Bei einer EM darf man solche Fehler nicht machen. Aber für mich überwiegt dennoch das Positive.»

Petkovic warnt vor Überheblichkeit

So sehen sie das auch im Schweizer Lager. Die zweite, unbefriedigende Hälfte der Partie, wurde weitgehend ausgeblendet. «Wir hätten den Sack früher zumachen müssen, dass ist der einzige Vorwurf, den wir uns machen können», sagt Granit Xhaka. Captain Stephan Lichtsteiner, dessen Beitrag zum Geschehen äusserst überschaubar blieb, reklamiert für sein Team, mit einem «extrem grossen Druck» fertig geworden zu sein.

Abgesehen vom 2:0 vor acht Jahren gegen Portugal in einem für beide Teams bedeutungslosen letzten Gruppenspiel, hat die Schweiz bei ihrer vierten EM-Endrundenteilnahme somit den ersten wertvollen Sieg im zehnten Anlauf geschafft.

Am Mittwoch kann im Pariser Parc des Princes gegen Rumänien mit einem Sieg schon der nächste grosse Schritt gemacht werden: die vorzeitige Qualifikation für die Achtelfinals. Vladimir Petkovic wird bis dahin den Mahner geben. Noch einmal sollte die Schweiz den Gegner nicht so einladen, wie sie das den unter dem Strich doch limitierten Albanern zugestanden hat. «Wir dürfen nicht überheblich sein», ist die Botschaft Petkovics.

Der hat im 20. Spiel als Schweizer Nationaltrainer ein kapitales Spiel gewonnen, eines, das zum einen die Überschrift trug: Gewinnen, egal wie. Zum anderen demonstrierte seine Mannschaft zum wiederholten Mal ihr Talent zu schlampen. Sehr gute 20 Minuten allein könnten schon gegen Rumänien zu wenig sein. Immerhin wird es ein Spiel werden, in dem die Köpfe nicht belagert sind von anderen Themen. Es wird für einmal nur um Fussball gehen.

 

 

liveticker

fixtures

table

calendar
 

Nächster Artikel