Allen Spekulationen zum Trotz meldet sich Gregor Schlierenzauer bereit für die 64. Vierschanzentournee, die am Dienstag beginnt. Der beste Skispringer der Weltcupgeschichte durchlebt ein Formtief, hofft aber darauf, dass es ihm ein bisschen ergehen möge wie seinem Vorbild Roger Federer.
Es ist nicht so, dass Gregor Schlierenzauer es nicht gewohnt wäre, im Mittelpunkt zu stehen. Auf ihn und sein Leben sind die Scheinwerfer gerichtet seit er 2006 im zarten Alter von 16 Jahren seinen ersten Weltcupsieg gefeiert hat. Doch die Schlagzeilen, die er zuletzt über sich lesen musste, waren dann selbst ihm zu viel.
Traditionell wird die Tournee in Oberstdorf eröffnet, diesmal am Dienstag, 29. Dezember. Die weiteren Termine:
1. Januar: Garmisch-Partenkirchen
3. Januar: Innsbruck
6. Januar: Bischofshofen
» Die Webseite der Tournee
Von Depressionen und einem Burnout war da die Rede, manche Medien wähnten den österreichischen Skisprungstar in medizinischer Behandlung, andere verkündeten gar schon das vorzeitige Saisonende.
Angesichts der vielen Spekulationen sah sich Gregor Schlierenzauer nun zu einer öffentlichen Erklärung gezwungen. «Das ist alles völlig aus der Luft gegriffen», entgegnete der Tiroler diese Woche auf seiner Webpage und kündigte die Teilnahme an der Vierschanzentournee an, nachdem er sich zuletzt eine mehrwöchige Auszeit genommen hatte.
«Irgendwann kann man die Dinge nicht mehr schönreden»
Es war eine ganz bewusste Entscheidung, einmal aus der Schanzenwelt auszubrechen und sich neu zu orientieren. Denn das Sportlerleben des besten Skispringers der Weltcupgeschichte hatte in den vergangenen Monaten zusehends eine Wendung in die falsche Richtung genommen. Verpufft ist der Elan der Anfangsjahre, verloren gegangen die Dominanz früherer Winter, verflogen sind die Leichtigkeit, Unbekümmertheit und Freude, die ihn lange ausgezeichnet hatten.
«Irgendwann mag man die Dinge nicht mehr schönreden. Ich möchte Abstand gewinnen, um die Müdigkeit aus dem Kopf zu bringen. Ich brauche Abstand, das soll helfen, den Knoten zu lösen», gestand Schlierenzauer, nachdem er einen – für seine Verhältnisse – Fehlstart in den Winter hingelegt und keine Top-Ten-Platzierung fertiggebracht hatte.
Hauptwohnsitz auf Wolke sieben
Streng genommen war schon die vergangene Saison ziemlich ernüchternd und enttäuschend verlaufen. Ein Weltcupsieg, eine WM-Medaille, dazu einmal noch im Weltcup auf dem Podest, Gesamtrang zehn – das sind die Daten, die sein Flugschreiber für die Saison 2014/15 auswirft. Auf den ersten Blick eine schwache Ausbeute für einen Skispringer, der es bisher in seiner Karriere gewohnt war, in anderen Sphären zu schweben, dem die Titel und Triumphe nur so zugeflogen sind und der seinen Hauptwohnsitz auf Wolke sieben hatte.
Nur zur Erinnerung: Gregor Schlierenzauer – das ist der Skispringer, der so viele Weltcupbewerbe (53) gewonnen hat, wie kein Schanzen-Athlet vor ihm. Das ist jener junge Mann, der mit seinen 25 Jahren in seinem Trophäenschrank bereits elf Goldmedaillen (WM, Olympia) hängen hat, in seiner Laufbahn im Schnitt in fast jedem zweiten Weltcupbewerb auf dem Siegespodest gelandet ist und der allein in der Saison 2008/09 stolze 13 Siege feiern konnte.
Gregor Schlierenzauer, das ist vor allem jener Sportler, der seit seinem Weltcupdebüt vor knapp zehn Jahren Kosenamen wie «Wunderkind», «Überflieger», «Schanzengott» oder «Superadler» verpasst bekommen hat.
Die Freude über einen zweiten Platz
Man möchte eigentlich meinen, dass so einer nach dem vergangenen Winter stinksauer auf sich und die Skisprung-Welt ist und von den schwärzesten Stunden seiner glänzenden Karriere spricht. Aber mit dem Abstand von einigen Monaten sagt Gregor Schlierenzauer «In Wahrheit war das eine der wichtigsten Saisons für mich.»
The Art of Ski Jumping with Gregor Schlierenzauer von SportsMag
Die WM-Silbermedaille auf der Grossschanze von Falun, die wie aus heiterem Himmel kam, war für den Stubaier eine ganz besondere Trophäe. «Weil sie mir in Wahrheit kaum wer zugetraut hat», erinnert sich Schlierenzauer, «über diese Medaille habe ich mich mehr gefreut, als über viele meiner Siege.»
Hermann Maiers Weltcup-Marke im Visier
Der Höhenflieger wirkt dieser Tage geerdet, wie noch nie zuvor in seiner erfolgreichen Karriere. Und der beste Skispringer der Weltcupgeschichte erweckt auch den Anschein, dass sich durch die schwierigen, weil turbulenten vergangenen beiden Winter in seiner Werteskala einiges verschoben hat. «Klar ist es geil von Sieg zu Sieg zu springen. Aber im Endeffekt haben diese einfachen Siege nicht den Schweiss, der zum Sport dazugehört. Nur wenn du für einen Erfolg viel Schweiss vergiesst, dann bist du innerlich zufrieden.»
Innerlich zufrieden, mit sich und dem österreichischen Skisprung-Team im Reinen – so springt es sich definitiv leichter, versichert Gregor Schlierenzauer. «Mit vollen Hosen kann man aber auch leicht stinken. Ich bin ja in einer Luxussituation.»
Sieht man einmal vom olympischen Einzel-Gold und dem Skiflugweltrekord ab, hat der Tiroler bereits alles gewonnen, was es auf Sprungschanzen zu gewinnen gibt. Was aber nicht bedeutet, dass er keine Meilensteine mehr setzen will. Sein Prestigeprojekt für diesen Winter heisst «Mission 54», die in Wahrheit aber eigentlich «Mission 55 heissen» müsste.
54 Weltcupsiege hat ein gewisser Hermann Maier zu Buche stehen, damit ist der berühmte «Herminator» der erfolgreichste Wintersportler Österreichs in der Weltcuphistorie. Schlierenzauer hält derzeit bei 53 Erfolgen. «Mit einem wie Hermann Maier gleichzuziehen oder ihn gar zu toppen, wäre eine Ehre», sagt der Skispringer, der noch einen weiteren Rekord im Visier hat. Seit der Saison 2006/07, seiner ersten kompletten Saison im Weltcup, hat Schlierenzauer noch in jedem Winter zumindest einen Sieg feiern können – das ist zuvor noch keinem anderen Adler gelungen.
Warum Roger Federer sein Vorbild ist
In dieser Hinsicht ähnelt Schlierenzauer einem seiner grössten Idole: Roger Federer. Wer sich mit dem österreichischen Skispringer länger unterhält, der bekommt früher oder später zwangsläufig den Namen des Schweizer Tennisstars zu hören, der dem 25-Jährigen als Vorbild dient.
Schlierenzauer ist fasziniert von Athleten, die nicht in die Kategorie One-Hit-Wonder fallen, sondern über einen langen Zeitraum ihre Klasse unter Beweis stellen. «Roger Federer steht bei mir sehr weit oben, weil er einfach brutal konstant ist und trotz aller Erfolge am Boden geblieben ist. Das ist ein Riesenvorbild für mich», gesteht Schlierenzauer.
All die Erfolge haben den Stubaier freilich auch nachdenklich gemacht. Schlierenzauer stört, dass in ihm oft nur der Perfektionist und Ehrgeizling gesehen wird. Ihn nervt, dass bei ihm bereits von einer Flaute oder Krise gesprochen wird, wenn er einmal nicht in den Top 5 landet («ich bin auch nur ein Mensch und keine Maschine»).
Auch deshalb baut er vor dem Tourneestart schon einmal vor und schiebt die Favoritenrolle und den Druck von sich. «Ich bin mir bewusst, dass ich aktuell kein Siegspringer bin. Man darf von mir im Moment keine Wunderdinge erwarten.»
__
» Der schnelle Überblick über die Schanzentournee bei Wikipedia