Gross ist die Krise in Bern

Hire-and-fire-Politik, grosse Töne aus der Chefetage und Vetternwirtschaft führen den Spitzenclub ins Abseits statt an die Tabellenspitze der Super League.

Wenn guter Rat teuer ist: YB-Trainer Christian Gross beim Cup-Aus Winterthur. (Bild: Keystone, Steffen Schmidt)

Hire-and-fire-Politik, grosse Töne aus der Chefetage und Vetternwirtschaft führen den Spitzenclub ins Abseits statt an die Tabellenspitze der Super League.

In Bern herrscht eine fussballerische Spät-November-Depression, die sich am Tag nach dem Ausscheiden im Schweizer Cup in den örtlichen Zeitungen einhellig niederschlug. «Nach jeder Niederlage sehen sich die YB-Verantwortlichen gezwungen zurück zu rudern, und für Geduld zu plädieren», stellte «Der Bund» fest. Und nach der peinlichen Schlappe im Penaltyschiessen beim unterklassigen FC Winterthur lautet die ernüchternde Zwischenbilanz: «Nach neun Punkten Rückstand auf die Tabellenspitze und dem Aus im Cup fällt es indes immer schwerer, überhaupt noch Ziele für diese Saison zu formulieren.“

Das garantierte Titelversprechen

Das kontrastiert scharf mit den grossen Tönen, die in der YB-Chefetage nach der Verpflichtung von Christian Gross als Cheftrainer angeschlagen worden waren. «Gross ist ein Titelversprechen», hatte YB-CEO Ilja Kaenzig damals noch verkündet: «Es gibt keinen, der eine höhere Garantie gibt.» Garantiert war jedoch nur, dass der Trainerwechsel Millionen kostete: Allein dem vorzeitig entlassenen Trainer Vladimir Petkovic musste YB über eine Million auf seinen Weg in die Türkei mitgeben.

Doch der traditionsreiche Club verpasste mit seinem neuen Startrainer gleich das erste Ziel: die Qualifikation zur Europa League. Das geht ins Geld: «Mit Bienvenu wurde ein sehr guter Stürmer aus wirtschaftlichen Gründen verkauft»“, klagte Gross der «Berner Zeitung» Mitte November.

Wie stark sein eigenes Salär als Cheftrainer die finanzielle Situation des Clubs belastet, wurde er dann nicht gefragt. Die YB-Pressestelle winkt ab: «Das gibt kein Club bekannt.»  Es ist davon auszugehen, dass Gross weit über ein Million Franken im Jahr und damit das Doppelte eines guten Stürmers verdient. Zum Vergleich: Ottmar Hitzfeld, Schweizer Nationaltrainer mit ähnlichem Starstatus wie Gross, kassiert knapp zwei Millionen.

Hire-and-fire und Stürmerprobleme

Bei einem Budget von über 30 Millionen Franken hat YB jetzt – siehe Bienvenu – offenbar Finanznöte – und ein akutes Stürmerproblem. Doch die Personalprobleme fingen schon lange vor dem teuren Wechsel von Petkovic zu Gross an. Vor einem Jahr hatte Benno Oertig, Verwaltungsratspräsdient von YB, keck behauptet: «Letzte Saison wurden wir nur  Zweiter, weil ein Ilja Kaenzig fehlte».

Der erfolgreiche YB-Exekutiv-Direktor Stefan Niedermaier war soeben raus geschmissen und durch Kaenzig ersetzt worden. Doch mit Kaenzig wurde YB dann nicht mal Zweiter, sondern Dritter. Umsonst hatte YB-Verwaltungsrat Fritz Bösch zuvor gewarnt: «Niedermaiers Rauswurf ist kontraproduktiv und wirft YB unternehmerisch zurück.»  Bösch hat inzwischen der YB-Führung ebenso frustriert den Rücken gekehrt, wie der frühere SBB-Chef Benedikt Weibel – oder der bekannte Berner Musiker Kuno Lauener (Züri West).

Doch mit dem «Titelversprechen» namens Gross ging die Hire-and-fire-Politik auch auf unterer Ebene weiter: Kaum war der frühere Erfolgscoach des FC Basel in Bern, erfuhr der solide Goalietrainer Peter Kobel aus den Medien, er werde nicht mehr gebraucht – und durch Pascal Zuberbühler ersetzt. Dabei hatte YB nie ein Torhüter-Problem. Es dämmerte den Berner Fans, dass der neue Cheftrainer nur einen Posten für seinen Freund «Zubi» freischaufeln wollte, der in England die Reservebank gewärmt hatte.

Vetternwirtschaft und Cup-Pleite

Auch diese Vetterliwirtschaft kostet Geld. Geld, das jetzt für das Engagement neuer, schneller Stürmer fehlt. Gross fordert: «Ich möchte, dass zwei neue Leute für die Offensive verpflichtet werden.» Dabei droht das Gegenteil: In der Mannschaft ist die Stimmung inzwischen offenbar so, dass Spieler wie Moreno Costanzo, Scott Sutter oder François Affolter auf die nächste Gelegenheit hin Alternativen ins Auge fassen. Sie werden von Gross in der Aufstellung oft übergangen. Und von David Degen, neben Christoph Spycher einer der besten Fussballer im YB-Kader, heisst es, er überlege sich eine Rückkehr nach Basel. Das wird von YB natürlich alles dementiert.

Ebenso, dass Gross als Trainer nun doch «ein Thema» sei. «Mich interessiert es nicht, eine Mannschaft zu betreuen, die in der Schweiz im Optimalfall um Rang 4 spielen kann», hatte er selber der «Berner Zeitung» noch Anfang November zu Protokoll gegeben. Und schon damals hatte Gross eingeräumt: «Wenn die Verantwortlichen der Ansicht sind, ich sei nicht mehr der richtige Mann, dann ist das halt so.»

Derzeit auf Platz 4 in der Super-League-Tabelle geführt und nach der Cup-Pleite vom Sonntag dementieren die YB-Verantwortlichen derlei «Ansichten» weiterhin. Doch selbst unter hartgesottenen Fans greifen sie rasch um sich. Schon nach der YB-Niederlage in Genf am 6. November machte ein knapper Slogan die Runde: «Gross muss weg!»

Die Fans vergessen nur, dass dies gleich wieder Millionen kosten würde – viel Geld, das YB schlicht nicht hat.

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