Grosser Wurf oder Schuss ins Knie?

Mit einer weitreichenden Änderung des Materials startet der Ski-Weltcup an diesem Wochenende in die neue Saison. Die Kritiker kommen aus dem Lager der Rennläufer, deren Gesundheit eigentlich mit der Reform geschützt werden soll.

Startschuss in die neuen Wintersaison: Am Wochenende geht der Skiweltcup in Sölden los. (Bild: imago sportfotodienst)

Mit einer weitreichenden Änderung des Materials startet der Ski-Weltcup an diesem Wochenende in die neue Saison. Die Kritiker kommen aus dem Lager der Rennläufer, deren Gesundheit eigentlich mit der Reform geschützt werden soll.

Irgendwie schade, dass Didier Cuche bereits seine Ski-Rente angetreten hat. Kein Rennläufer wäre besser dafür geeignet, das neue Material auf Herz und Nieren, vor allem aber auf seine Flugeigenschaften zu überprüfen. Der Ski-Entertainer aus dem Jura, der nach jedem (gelungenen) Rennen seine Ski spektakulär durch den Zielraum hat schleudern lassen.

Ein Kunststück, das Didier Cuche für diesen Winter wohl neu hätte einstudieren müssen. Denn über den Sommer haben sich die Ski der Weltcup-Stars verändert, zwar nicht radikal, aber doch sicht- und spürbar, wie alle Rennläufer bereits nach den ersten Tests in Übersee unisono versicherten.

Deutlich länger und etwas schmäler

Beim Weltcup-Auftakt am Wochenende auf dem Rettenbachferner im Tiroler Ötztal (Frauen-Riesenslalom am Samstag, Männer-Riesenslalom am Sonntag; beide Rennen in SF2 um 9.20 und 12.35 Uhr) erfolgen nun auch die offiziellen Jungfernfahrten auf dem neuen Material. Markanteste Veränderung: Die Ski sind deutlich länger geworden, dazu auch noch schmäler.

Die Frauen müssen ab sofort im Riesentorlauf Latten mit einer Minimal-Länge von 188 Zentimetern fahren (statt bisher 180 cm), bei den Männern wurde die erlaubte Mindestlänge gleich um zehn Zentimeter von 185 auf 195 cm nach oben geschraubt. Das zwingt die Athleten zu grösseren Kurvenraden und verringert zugleich den Druck auf die Gelenke. Auch in der Abfahrt und im Super G sind kurze Ski out, lediglich im Slalom bleibt alles beim Alten.

Das Resultat einer Gesundheitsdebatte

Der Material-Reform liegt eine jahrelange Sicherheitsdebatte zu Grunde. Es gibt im Weltcup-Zirkus kaum noch einen Läufer, der in seiner Karriere noch nie auf dem OP-Tisch gelegen ist, vor allem die Zahl der schweren Knie-Verletzungen ist seit dem Carving-Stil in die Höhe geschnellt. Die deutlich kürzeren und breiteren Carving-Ski hatten es den Läufern erlaubt, immer engere Kurvenradien und extremere Schräglagen zu fahren.

Die Ski-Fans konnten sich durch diese technische Entwicklung zwar über spektakulärere Fahrten freuen, der menschliche Bänderapparat im Knie konnte dem Fortschritt aber nicht standhalten. Das belegt auch eine Studie des «Oslo Sports Trauma Research Center», das im Auftrag des Internationalen Skiverbandes (FIS) die Verletzungen der vergangenen sechs Weltcup-Winter analysierte. Ergebnis: Bei 38,6 Prozent der Verletzungen handelt es sich um schwere Knieverletzungen. «Ausserdem ist der Prozentsatz mit 30 bis 40 Prozent verletzter Rennläufer pro Saison ohnehin eindeutig viel zu hoch», sagt FIS-Renndirektor Günter Hujara.

Die Kritik an der Refom: Die Pisten sind schuld

Bei den Läufern stiess das neue Material-Regelwerk nicht nur auf Gegenliebe. Vor allem die Stars der Szene, die in der Vergangenheit mit den alten Ski von Sieg zu Sieg gefahren sind, halten die Reform für verpfuscht und übereilt. Als einer der grössten Kritiker gilt der US-Amerikaner Ted Ligety, die Nummer 1 im Riesentorlauf-Weltcup.

Der US-Amerikaner hält die Änderungen für einen Schuss ins Knie und präsentierte via Twitter ein Protest-Shirt mit dem FIS-Logo und dem Aufdruck DIS – «Destroying International Skiing». Hauptargument der Kritiker: Nicht die Ski wären an den vielen Verletzungen schuld, sondern vielmehr die oft pickelharten Pisten.

Eine Frage der Kraft

Eines hat die Material-Reform freilich bereits bewirkt: Selten zuvor haben sich die Athleten so intensiv und akribisch auf einen Winter vorbereitet wie in diesem Sommer. Die Tests haben bereits eine Erkenntnis zutage gebracht: «Man braucht jetzt viel mehr Kraft, um die Skier um die Kurve zu bewegen», erklärt der österreichische Weltcup-Gesamtsieger Marcel Hirscher.

Didier Cuche, das personifizierte Kraft-Paket, hat seine Karriere vielleicht doch zu früh beendet.

Wie sich die Ski im Weltcup verändern

  2011 2011
Frauen, Riesenslalom
Skilänge 180 Zentimeter 188 Zentimeter
Kurvenradius 23 Meter 30 Meter
Männer, Riesenslalom
Skilänge 185 Zentimeter 195 Zentimeter
Kurvenradius 27 Meter 35 Meter

Artikelgeschichte

Beitrag zur Verletzungs-Studie des Oslo Sports Trauma Research Center

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