Halte durch, Basel, halte durch!

Das 2:1 des FC Basel gegen Manchester United – eine Nacht, in der nicht nur Sporthistorie geschrieben wurde. Für einen Moment war Marco Streller auf Twitter in den Top Ten Topics – weltweit.

Mit Löwenmut und grosser Solidarität: Alex Frei (oben) und Marco Streller feiern ein sporthistorisches Ergebnis. (Bild: freshfocus)

Das 2:1 des FC Basel gegen Manchester United – eine Nacht, in der nicht nur Sporthistorie geschrieben wurde.

Piers Morgan muss man nicht auf Anhieb sympathisch finden. Als junger Mann hat er sich beim Revolverblatt «The Sun» verdingt, mit 28 Jahren war er der jüngste Chefredakteur von «News of the World», dem grössten Revolverblatt überhaupt. Aber Piers Morgan ist Fan des FC Basel, zumindest für eine kurze Weile am 7. Dezember, so um die Mittagszeit in den USA.

Man könnte auch sagen: Piers Morgan hat es doch noch zu etwas gebracht. Im Januar hat der 46-jährige Engländer auf CNN den Sendeplatz des berühmtesten Fragestellers mit Hosenträgern, Larry King, übernommen. Also ist Morgan an diesem 7. Dezember in der Anflugschneise auf Chicago quasi auf dem Weg zur Arbeit. «Boom! Was für ein Kerl. Marco Streller – jetzt mein liebster Spieler auf der ganzen Welt», lässt Morgan seine Follower auf Twitter wissen, als es ein paar Zeitzonen weiter östlich im St.-Jakob-Park bei Manchester United einschlägt.

Strellers linker Fuss

Streller. Der Captain des FC Basel, über den sich die Fussball-Schweiz in diesem Herbst so wundert, von dem die Zeitungen schwärmen, den sie plötzlich als besten Streller aller Zeiten entdecken. Man fragt sich: Wo haben die Leute die letzten zweieinhalb Jahre hingeschaut? So lange schon geniesst Basel nämlich diesen Streller in der Post-Gross-Ära. Und Volleyabnahmen mit einem gesegneten linken Fuss.

Gegen 20.55 Uhr MEZ stösst das Wort «Streller» unter über 100 Millionen Microbloggern weltweit in die Top Ten vor. Dort hält Twitter die grössten Zuwachsraten einzelner Begriffe für einen Moment fest.

Für Piers Morgan aus dem kleinen Dörfchen Newick in Sussex, unweit der Kanalküste, ist es der Zeitpunkt, seine ganze herzliche Abscheu für alles, was aus Manchester kommt, auszuleben. «Bleibt gelassen», wendet er sich maliziös an die Fans der United unter seinen immerhin 1,6 Millionen Followern, «es ist ja nicht so, dass ich euch nicht gewarnt hätte.»

Mit einem Grossen angelegt

Nun kann man nur schwer abschätzen, ob Piers Morgan auch nur eine ungefähre Ahnung davon hat, was sich 7000 Kilometer entfernt von ihm abspielte. Dass sich da eine kleine, aber leidenschaftliche Fussballstadt mit einem Hochkaräter anlegt. Dass schon mit dem 3:3 zehn Wochen zuvor im Old Trafford etwas geschafft worden war, was weit über die Biegung des Rheins hinaus Beachtung fand. Dass sich da ein Club klug aufgestellt hat und die Mannschaft von einem Trainer-No-Name ebenso geschickt aufgestellt wird. Für jemanden wie Piers Morgan, der früher hinter irgendwelchen Prominenten herumspioniert hat und mit Unappetitlichkeiten Auflage gebolzt hat, sind das eher Peanuts.

Aber wenn es taugt, um gegen Manchester zu geifern – nun gut. Die Halbzeit in Basel ist schon rum, als Morgan nach der Landung in Chicago zwitschert: «Minus vier Grad hier. Also ungefähr die Temperatur, die in 40 Minuten in der Kabine von ManU herrschen wird.» Dass Manchester City gleichzeitig scheitert, passt ihm gut in den Kram. Dabei kann Morgan keine Vorstellung davon haben, was in Basel vor sich geht. David hat Goliath getroffen, und es ist die Phase, in der Manchester dem Ausgleich ein paar Mal sehr nahe kommt. Vor einem Publikum, das eine merkwürdige Kulisse abgibt für das Spektakel.

Gefangen in der Hoffnung

Im ManU-Sektor tut sich schon lange nichts mehr, das kennt man inzwischen von englischen Fans. Die wurden im Zuge der Enthooliganisierung in den letzten 20 Jahren einmal rundum ausgetauscht. So, wie es sich jetzt in der Schweizer Sicherheitsdebatte ein paar Leute auch vorstellen.

Der Rest im mit 36 000 Zuschauern vollbesetzten St.-Jakob-Park ist zweigeteilt. Die Muttenzerkurve klingt wie immer, sie singt unentwegt und damit auch ein wenig gegen die Furcht vor dem 1:1 an. Der Grossteil der Leute jedoch scheint wie gebannt. Gefangen in der Hoffnung, dass dieses grosse Manchester zum richtigen Zeitpunkt in Basel aufgetaucht ist. Dass die winzige Durststrecke des englischen Rekordmeisters, des Vorjahresfinalisten in der Champions League, des übergros­sen Gegners, sich noch für diesen einen Europacupabend fortsetzen möge.

In der Hoffnung und Überzeugung aber auch, dass dieser FC Basel in seiner vielleicht einmaligen Zusammensetzung, mit all den Alten und den Jungen, die aus der Region stammen, mit seinem über Nacht zum gefeierten Mann emporgestiegenen Cheftrainer Heiko Vogel, dass dieser FC Basel auch bereit ist für eine neue Heldentat.

Roter Strich im Kalender

Es werden viele im Stadion sein, die auch am 12. November 2002 dabei waren und sich nach dem 3:3 gegen den FC Liverpool und dem Aufstieg in die Zwischenrunde der Champions League einen dicken roten Strich in den Kalender gemacht haben. Mit der Fussnote: Das war so schön, das kommt so schnell nicht wieder. Nicht für einen Club aus der Schweiz.

Es hat ja auch lange genug gedauert, bis es so weit war. Vergessen geht dabei manchmal, dass der FCB seit über einem Jahrzehnt ununterbrochen international spielt. Nach einer solchen Bilanz würde sich mancher mit grossem Namen aus einer grossen Liga die Finger schlecken. Aber die Europa League finden halt auch in Basel viele schon nicht mehr sexy genug.

Es muss schon wieder so ein Showdown wie gegen Manchester United sein. Und dann sitzen sie also da, die meisten rotblauen Fans, und wissen gar nicht mehr wohin mit ihrer Aufregung. Das 1:0 reicht, aber das nächste Tor für Manchester lässt den grossen Traum platzen. Das verdichtet sich im Stadion zu einer zähneklappernden Atmosphäre mit einem Herzstillstandmoment. Als Markus Steinhöfer sich mit seinem Befreiungsversuch an die Lattenunterkante des eigenen Tores so gut wie unsterblich macht im Gedächtnis des FCB. Und Piers Morgan twittert: «Halte durch, Basel, halte durch!» Ahnt er doch, dass in Basel gerade Sportgeschichte geschrieben wird?

Der Moment des Finisseurs

Der FC Basel jedenfalls wird belohnt für seinen Löwenmut, für die grosse Solidarität auf dem Platz. Xherdan Shaqiri: grossartig, die Reifeprüfung für einen jungen Mann mit blendenden Zukunftsperspektiven. Bereitet das 1:0 vor und auch das 2:0 für Alex Frei. Der ist in den 83 Minuten zuvor nicht zu sehen, aber immer dann zur Stelle, wenn es den grossen Finisseur braucht. Den Stürmer mit der unvergleichlichen Geste im entscheidenden Augenblick. «Come on Basel, make my night», schreit Piers Morgan per Twitter.

Warum sich Morgan selbst in einem seiner Bücher als «britisches Grossmaul» bezeichnet? Weil die TV-Plaudertasche, als die United und City endgültig raus sind aus der Champions League, noch mal richtig zu Hochform aufläuft. «Weiss jemand, ob es Direktflüge von Chicago nach Manchester gibt heute Nacht? Habe gehört, da soll ne riesige Party in der Stadt abgehen …»
Nun, da hätte er sich besser auf den Weg nach Basel machen sollen, vielleicht hätte es an Johnny Freemans Tresen gerade noch so für ein letztes Bier gereicht – lange genug wird in der «Bodega zum Strauss» am Barfüsserplatz jedenfalls gefeiert.

Morgan hätte sich viele Male das Lied anhören dürfen, dass die Fans für Markus Steinhöfer gefunden haben, und das Bonmot erzählen lassen können aus einem von fast einer halben Million Tweets dieser Nacht zum FC Basel: «Sohn: Papi, Barça hat ManU geschlagen! – Vater: Nein, mein Junge, es war Basel. Sie haben einfach Barças Farben getragen, um ihnen einen Schreck einzujagen.» Das hätte Piers Morgan gefallen, aber wie es sich für ein Grossmaul gehört, hat er das letzte Wort: «Morgen allerseits», lästert er Richtung England, «denkt ihr, die United- und City-Spieler haben all die jüngsten ‹Wir müssen raus aus dem Euro›-Schlagzeilen gelesen – und das schlicht missverstanden?»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30/12/11

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