Eine warme Brise vom Schwarzen Meer, eine grosse, unfertige Baustelle und kein Zweifel, dass von Freitag an eine perfekte Olympia-Inszenierung beginnt – ein erster Augenschein in Sotschi.
Der erste Eindruck bringt den Besucher der Winterspiele unverzüglich auf die Palme. Im Angesicht der vielen tropischen Bäume, für die Sotschi ein echter Garten Eden zu sein scheint, wachsen zwangsläufig die ersten Zweifel. Wäre die luftige Leinenhose vielleicht nicht doch angemessener gewesen, als die dicke Daunenjacke? Und ist diese Stadt am Schwarzen Meer möglicherweise nicht doch besser für Sommerspiele geeignet?
Es fällt dem schneeverwöhnten Mitteleuropäer schwer, mit Olympischen Winterspielen in solch subtropischen Gefilden richtig warm zu werden. Sotschi liegt auf dem gleichen Breitengrad wie Nizza oder Venedig, aber niemand wäre je auf die Idee gekommen, dort Winter-Olympia durchzuführen. Nicht einmal Silvio Berlusconi zu seinen besten Zeiten.
15 Grad plus am Schwarzen Meer
In Sotschi werden das Klima und die Jahreszeiten schlichtweg ignoriert. 15 Grad Plus hatte es zu Wochenbeginn, und die ersten Sonnenanbeter flanierten bereits am Küstenstreifen. Nicht gerade der perfekte und würdige Rahmen für das Kräftemessen der besten Wintersportler der Welt.
Sotschi und die olympischen Austragungsstätten: Im Olympia-Park in der Nähe der Stadt am Schwarzen Meer und in Krasnaja Poljana sowie umliegenden Dörfern in den Bergen. Mit einem Zoom und einem Klick lässt sich in Erfahrung bringen, was wo stattfindet:
Der perfekt inszenierte Winterzauber
Trotzdem, oder gerade deswegen, legen sich die Russen in den Stunden vor der Eröffnung mächtig ins Zeug, um wenigstens einen Hauch Winterzauber zu verbreiten. Der Schneepflug, der demonstrativ die apere Asphaltstrasse räumt, wirkt dabei so deplatziert wie ein Eisbär in der Wüste. Die Christbäume, die in den vielen staubigen, schmutzigen Grau-Zonen rund um Krasnaja Poljana aufgestellt wurden, können ebenfalls keine heimelige Stimmung verbreiten.
Und auch wenn die russischen Organisatoren an der Sprungschanze den Kunstschnee aus allen Rohren schiessen – wenige Tage vor der Eröffnung der Winterspiele stehen die Zeichen der Natur eher auf Mattenspringen.
Spätestens ab Freitag wollen Sotschi, Russland und Wladimir Putin die perfekten Olympischen Winterspiele inszenieren. Doch derzeit fühlt sich der Besucher noch eher wie in einem falschen Film. Sotschi, die Heimat der teuersten Olympischen Spiele der Geschichte, wirkt wenige Tage vor der Eröffnung nicht wie der Nabel der Sportwelt, sondern gleicht eher einer Grossbaustelle.
Unfertige Hotels, Irrfahrten durch den Kaukasus
Gefühlsmässig jeder zweite Bagger von Russland nimmt die Olympia-Region auf die Schaufel, und angesichts der vielen unvollendeten Strassen, der menschenleeren Hotelsilhouetten und all dem Geröll und Schutt, der an vielen Ecken und Enden herum liegt, kann man sich des Eindrucks nicht verwehren: In Sotschi hat man sich möglicherweise im Termin geirrt.
Die ersten Olympia-Besucher erlebten jedenfalls bereits ihre braunen Wunder. Aus vielen Wasserleitungen im Mountain Cluster in den Bergen rund um Krasnaja Poljana tropfte an den ersten Tagen eine graubraune Brühe. Und das war noch das geringste Übel angesichts etlicher Hotelburgen, die nicht rechtzeitig fertig geworden sind.
Vor allem etliche internationalen Journalisten mussten aus- oder umquartiert werden. Andere Olympia-Teilnehmer wussten derweil von Odysseen durch den Kaukasus zu berichten. Australische Sportler wurden sieben Stunden durch die Gegend kutschiert, bis der überforderte Busfahrer endlich das Quartier gefunden hatte.
Und dabei haben die Russen den Sicherheitsgurt bislang noch gar nicht einmal so eng um die Olympischen Spiele geschnallt, wie angesichts der Terrorwarnungen erwartet und befürchtet. Wer einmal in Sotschi gelandet ist, der kann sich relativ frei bewegen. Die grossen Kontrollen – unter anderem mit Nacktscanner – gibt es bereits am Flughafen in Moskau. In der Olympiastadt selbst sind die Uniformierten zwar allgegenwärtig, aber sie hielten sich an den ersten Tagen noch diskret im Hintergrund.
Die perfekte Inszenierung
Genauso wie es die russischen Olympia-Organisatoren wollen. Und genauso wie es der Olympia-Konsument auch über die Bildschirme vermittelt bekommen wird. In einem sind sich alle einig, Athleten wie langjährige Olympia-Beobachter: Die Spiele in Sotschi werden im TV makellos erscheinen, und beim Blick hinter die Kulissen wird das eine oder andere Mal ein Auge zugedrückt.
Der neue IOC-Präsident Thomas Bach, selbst medienwirksam und natürlich nur vorübergehend im Athletendorf in einer bescheidenen Kemenate untergebracht, reagierte auf die Anfangspannen jedenfalls äussert gelassen: «Das ist vor den Spielen immer so.»