Hinter vorgehaltener Hand heisst es: Chaos im WM-Land

Am 4. März sind es noch 100 Tage bis zum Eröffnungsspiel der Fussball-WM in Brasilien. Mancherorts herrschen noch chaotische Zustände, und Josef Blatter zürnt mit den Gastgebern. Der Fifa-Chef sagt aber dennoch im Brustton der Überzeugung, dass die Probleme unter Kontrolle seien.

Workers are pictured inside the Arena da Baixada soccer stadium as it is being built to host matches of the 2014 World Cup in Curitiba, February 17, 2014. The Arena da Baixada is one of five Brazilian stadiums running behind schedule, having missed a Dece (Bild: Reuters/RODOLFO BUHRER)

Am 4. März sind es noch 100 Tage bis zum Eröffnungsspiel der Fussball-WM in Brasilien. Mancherorts herrschen noch chaotische Zustände, und Josef Blatter zürnt mit den Gastgebern. Der Fifa-Chef sagt aber dennoch im Brustton der Überzeugung, dass die Probleme unter Kontrolle seien.

100 Tage vor dem Beginn der Weltmeisterschaft verlieren die Verantwortlichen des Internationalen Fussball-Verbandes (Fifa) die Geduld mit den brasilianischen Organisatoren. Alle Zeitpläne in der Vorbereitung wurden missachtet, noch immer warten einige der zwölf Stadien auf ihre komplette Fertigstellung. Vor allem die Arenen in Curitiba, Manaus und Sao Paulo, in der am 12. Juni das Eröffnungsspiel zwischen Gastgeber Brasilien und Kroatien stattfinden soll, sind massiv in Verzug.

In Sao Paulo, wo ein umstürzender 500-Tonnen-Kran im Januar Teile des Stadiondachs zerstörte und zwei Bauarbeiter in den Tod riss, findet ein Wettlauf mit der Zeit statt. Immer wieder wurde der Termin der Stadionübergabe verschoben, neu gilt der 15. Mai. Die dann verbleibenden vier Wochen sind eigentlich viel zu kurz, um das Innenleben der Arena auf den erforderlichen Standard zu bringen.

Fifa-Präsident Sepp Blatter reagierte ungewöhnlich genervt auf die insgesamt schleppende WM-Vorbereitung, auch weil die Fifa am Ende für die Zustände wird gerade stehen müssen. «Brasilien hat zu spät begriffen, vor welcher Aufgabe es steht. Es ist das Land mit den meisten Verzögerungen, seit ich bei der Fifa bin und das einzige, das so lange Zeit hatte, eine WM zu organisieren: sieben Jahre.»

Der 77-jährige Blatter ist immerhin seit 1975 für den Weltverband tätig und gewieft genug, um nur soviel Öl ins Feuer zu giessen, dass er sich nicht selbst daran verbrennt. Bevor am 4. März der 100-Tage-Countdown bis zum Turnier beginnt, sagte er deshalb: Bis auf ein paar Kleinigkeiten sei alles in Ordnung.

Pfusch am Bau – das Chaos herrscht

Grosse Problemzonen sind auch die Spielorte Manaus, wo die Schweizer Nationalmannschaft am 25. Juni im letzten Vorrundenspiel auf Honduras trifft, und Curitiba. «Wenn es kein Stadion gibt, sind auch keine Spiele möglich», sagt Fifa-Generalsekretär Jerome Valcke. Bei einem Besuch vor vier Wochen spottete Valcke, als er nach den Bauverzögerungen gefragt wurde, dass ja immerhin die Spielfelder vorhanden wären. Doch das Lachen ist den Fifa-Verantwortlichen schon lange vergangen.

«Chaos», das wäre die richtige Umschreibung für die Zustände in vielen Stadien, heisst es bei Fifa-Mitarbeitern.

Pfusch am Bau, das scheint in der Eile in vielen der Arenen das Ergebnis zu sein. «Wir arbeiten unter Bedingungen, wo der Zement noch nicht trocken ist», sagte Valcke am Wochenende. In Cuiaba wurden, kaum wurde das Stadion als fertig bezeichnet, Risse im Fundament festgestellt. Und der schwere Unfall in Sao Paulo war offenbar auf ungenügende Vorarbeiten und Verstösse gegen Sicherheitsrichtlinien zurückzuführen.

TV-Übertragungen sind gefährdet

Fast noch mehr Sorge bereitet der Fifa die mangelnden Innenausstattungen. Denn auch in einigen Arenen, die von aussen gar keinen schlechten Eindruck machen, hinken die Zeitpläne für die Einrichtung mit Sanitäranlagen, Läden und der gesamten Medien-Technik allen Planungen weit hinterher.

Nach aktuellem Stand könnten aus einigen Stadien keine Fernseh-Übertragungen stattfinden, die WM-Spiele in Sao Paulo, Manaus, Curitiba und Cuiaba fänden unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit statt. Die Installation der komplizierten Technik ist besonders aufwändig und erfordert erfahrungsgemäss bis zu einem reibungslosen Betrieb etliche Testläufe – aber dafür wird keine Zeit mehr vorhanden sein.

«Wenn das nicht klappt, wird man sagen, wir sind die schlechtesten Organisatoren und die WM ist das schlechteste Event», fürchtet Valcke. Die Fifa steht bei diesem Punkt besonders unter Druck, denn sie deckt mit den TV-Rechten ihr Jahresbudget von rund einer Milliarde Euro. Allein aus Deutschland fliessen von ARD und ZDF 150 Millionen Euro für die WM-Übertragungen.

Der Ruf Brasiliens und der Fifa steht auf dem Spiel

Die internationalen Firmen, die mit dem Aufbau der Technik in den Stadien beauftragt wurden und schon Notfalltruppen in die WM-Städte entsandt haben, sind teilweise entsetzt über das Niveau der Stromversorgung in den Stadien. «Wir treffen auf Anlagen, wo die Erdung fehlt. Das ist lebensgefährlich. In Deutschland wurde der TÜV solche Anlagen sofort schliessen lassen. In Brasilien stört sich niemand daran», berichtete ein deutscher Techniker.

Nachdem Staatspräsidentin Dilma Rousseff und Sportminister Aldo Rebelo die Organisatoren in den Spielorten gemahnt haben, sie müssten alle Kräfte freisetzen, um eine nationale Blamage zu verhindern, hofft die Fifa zumindest auf Fertigstellungen in letzter Minute. Doch das wird nicht die Infrastruktur an vielen Stellen betreffen.

An fünf Flughäfen der Spielorte wird noch gebaut. In Fortaleza werden die Arbeiten nicht rechtzeitig zu schaffen sein. Der Airport soll nun zur Zeltstadt werden. Eine geplante Strassenbahn von der Stadt zum Stadion wird wohl auch nicht fertig, in anderen Städten sind es Strassen, die während der WM Baustellen bleiben und damit zu Verkehrs-Nadelöhren werden.

Der 14. Juli wird herbeigesehnt – dann ist die WM vorbei

Sportlich mag das 20. WM-Turnier hochklassigen Sport versprechen, doch 100 Tage vor dem Start knirscht es gewaltig im Organisationsapparat. Die Fifa wollte zur Eingrenzung logistischer Probleme nur acht oder zehn WM-Spielorte, aber die Brasilianer bestanden auf zwölf. Inzwischen sehnen viele, die mit der Abwicklung der WM beauftragt sind, den 14. Juli herbei. Dann ist die WM gespielt.

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«Alle Probleme sind unter Kontrolle und es wird in 100 Tagen ein aussergewöhnlich guter Start für ein aussergewöhnliches Turnier werden» – so diktierte es Fifa-Präsident Josef Blatter in einem Interview, das am Montag, 3. März, auf fifa.com veröffentlicht wurde:

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