«Ich spiele so weiter, als ob es kein Ende gibt»

Nach seiner Krise ist Roger Federer im Welttennis wieder zuvorderst mit dabei. Im Interview erzählt er, was ihn antreibt, was sein gröstes Ziel ist und weshalb er mehr Zeit zu Hause in der Schweiz verbringen möchte.

Roger Federer im Viertelfinal vom Monte Carlo Masters im April 2014. (Bild: Sebastien Nogier)

Nach seiner Krise ist Roger Federer im Welttennis wieder zuvorderst mit dabei. Im Interview erzählt er, was ihn antreibt, was sein gröstes Ziel ist und weshalb er mehr Zeit zu Hause in der Schweiz verbringen möchte.

Am Montag beginnt Wimbledon: Für Federer ist ein Turniersieg sein grösstes Ziel. Nach dem ihn einige Journalisten noch vor wenigen Monaten abgeschrieben hatten, gehört er heute wieder zu den Favoriten. Der Weg zurück war für ihn ein Kampf.

Herr Federer, im letzten Jahr stürzten Sie in die tiefste Krise Ihrer Karriere, verloren früh in Wimbledon. Sogar in der Schweiz rieten Ihnen Freunde und Tennisexperten zum Aufhören, ehe der Mythos Federer ganz und gar beschädigt werde.

Es war eine verdammt harte Zeit. Aber ich habe nie an Rücktritt gedacht. Ich wußte, dass diese Niederlagen und Rückschläge ganz entscheidend mit meiner Rückenverletzung zu tun hatten. Deshalb habe ich auch nicht alles komplett in Frage gestellt. Auch nicht nach dem bitteren Ende in Wimbledon.

Wie geht man mit diesen Frustrationen um, als siegverwöhnter Star? John McEnroe sagte damals, es werde schwer für Sie, weil Sie nicht an diese vielen Niederlagen gewöhnt seien.

Natürlich gerät vieles aus den Fugen. Ich habe viele Abende da gesessen und gegrübelt, ob es mir wohl morgen besser geht, ob die Schmerzen aufhören. Früher hab´ich mich ins Bett gelegt, und am nächsten Tag waren die Schmerzen weg. Nicht aber in dieser Zeit. Es waren viele offene Fragen da.

Sie sagen selbst, dass Sie Tennis auch nach fast zwei Jahrzehnten in der Tretmühle der Tour noch immer mit fast kindlicher Freude genießen. Dass es nie Motivationsprobleme gegeben habe. War das auch letzte Saison so?

Meine Karriere ist wie ein einziger Traum für mich. Das ist und bleibt so. Ich hätte nie mit diesen Erfolgen gerechnet, ich empfinde das wie ein grandioses Geschenk. Aber wie in jedem Berufsleben gibt es Höhen und Tiefen. Und letztes Jahr, das war schon großer Frust. Wenn du dir dauernd Fragen stellst, wenn du Zweifel hast, kannst du diesen Sport nicht genießen. Ich habe gemerkt, dass ich plötzlich in meine eigene Welt versank, auf die Umwelt gelegentlich verschlossen wirkte.

 «Ich habe gemerkt, dass ich plötzlich in meine eigene Welt versank.»

Es gab sogar öffentliches Mitleid für Sie, für jemanden, der zuvor diese Aura der Unangreifbarkeit verbreitet hatte.

Ich weiß, dass viele Fans mit mir gelitten haben. Und dass in manchen Zeitungen sogar schon Nachrufe auf Federer erschienen sind. Aber ich lasse so etwas in schwierigen Phasen nie akut an mich heran, da lese ich nicht eine einzige Zeile über Federer. So muss ich mich auch nicht ärgern über Experten, die mich immer mal wieder abschreiben. Aber gelohnt hat es sich nie für alle diese Hellseher. Ich bin immer wieder stark aus schweren Zeiten zurückgekommen.

Nun sind Sie inzwischen schon fast 33, vierfacher Familienvater – und einer, der sportlich alles erreicht hat, nicht mehr aufs Konto schauen muss.  Was treibt Sie noch, weiter durch die Welt zu reisen? 

Ich fühle mich nicht wie jemand, der in den Ruhestand treten müsste. Klar, ich habe alles gewonnen. Ich habe sogar so viel gewonnen, wie ich mir nie zu erhoffen gewagt hätte. Aber dieses Spiel fasziniert mich heute noch so wie als Teenager, diese tägliche Herausforderung gegen die Besten, gegen die alten Mitstreiter und gegen die jungen Spitzenleute. Das kann mir im Moment noch nichts anderes ersetzen.

Sie haben also noch keine Ahnung, wann und wie Sie aufhören werden?

Nein. Ich setze mir auch keine Marken. Ich spiele so weiter, als ob es kein Ende gibt. Kann sein, dass ich noch drei Jahre spiele. Oder fünf Jahre. Wenn ich jetzt wüßte, dass ich 2015 Schluß machen würde, dann könnte ich jetzt aufhören mit dem Training neben den Turnieren. Dann brauchte ich keinen Langzeitaufbau mehr. Aber jeder, der mich beobachtet, wird wissen: Ich trainiere hart. Sehr hart sogar.

«Ich spiele so weiter, als ob es kein Ende gibt.»

Sie haben sich auch einen Altstar an die Seite geholt, den einst so eleganten Schweden Stefan Edberg. War das etwa eine Antwort auf die Becker/Djokovic-Allianz?

Nein, zeitlich war das eher ein Zufall. Ich hatte schon mit Stefan in Dubai trainiert, da war die Becker-Verpflichtung von Djokovic noch gar nicht klar. Ich bin ein risikofreudiger Typ, der gern was austestet. Und der von sich sagen möchte: Ich habe vieles probiert in meiner Karriere, auch mit interessanten, faszinierenden Menschen. Also warum nicht auch den Input eines Spielers holen, den ich bewundert habe zu seiner Zeit.

 Was gibt Ihnen Edberg, was Federer nicht selbst kann?

Ich sehe das nicht so kalkuliert, so buchhalterisch. Es ist ein schönes Experiment für mich. Ich finde es einfach wunderbar, wenn ich am Tisch mit Stefan sitze und seinen Geschichten zuhören kann. Wir reden über Gott und die Welt, natürlich auch übers Tennis. Manchmal kommt mir das unwirklich vor: Der da gegenüber, das ist Edberg, ein Idol deiner Jugend. Und der ist nur wegen dir da, will, dass du gut spielst. Allein das gibt mir schon ein unheimlich gutes Gefühl, ist wie ein kleines Märchen für mich. Stefan ist ein echter Perfektionist, er will diese Arbeit einfach sehr, sehr gut machen.

War Edberg überrascht, als Sie ihn fragten, ob er als Berater für Sie arbeiten wollte?

Überraschung ist gar kein Ausdruck, es war eher wie ein Schock für ihn. Ich rief ihn Anfang Dezember an, und da ist Stefan fast aus den Schuhen gefallen, als ich ihm erklärte, was ich will. Er brauchte dann auch drei, vier Tage Bedenkzeit, bis er Ja sagte.

Was dachten Sie, als Djokovic Ihr anderes Tennis-Vorbild Becker verpflichtete?

 Ich hab´ mich gefreut für Boris. Es ist eine große Chance für ihn.

 In Beckers Heimat Deutschland wurde das als mittelschwere Sensation betrachtet.

Klar, weil man viel über sein privates Leben kannte und nicht mit diesem Job rechnen durfte. Aber geht man weg von dieser deutschen Sicht, von der Sicht im deutschsprachigen Raum, dann gibt es halt auch ein ganz anderes Becker-Bild. Da kennt man Boris als guten TV-Kommentator, als jemanden, der bestens im Tennis vernetzt ist, der weiß, wie dieses Spiel funktioniert. Da ist er ganz einfach und weiterhin der Champion Becker.

Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm, jetzt, wo er der Trainer eines Ihrer größten Rivalen ist?

Komplett entspannt. Wir halten unser ganz normales Schwätzchen, so wie immer. Ich kenne das aber auch ganz anders. Als Jimmy Connors bei Andy Roddick als Trainer anfing, hat er mich regelrecht geschnitten. Der redete kein Wort mehr mit mir. Und Roddick wurde auch ganz komisch, redete irgendwas von Rivalität und war ganz kurz angebunden.

Lendl, der als erster großer Star von früher in die Tennis-Arena zurückgekehrt war, hat sich inzwischen bei Andy Murray schon wieder verabschiedet.

Kein Drama. Die beiden haben so viel miteinander erreicht. Andy ist Olympiasieger geworden, US Open-Champion. Und dann auch noch Wimbledonsieger. Das ist mal eine Bilanz. Lendl will einfach wieder mehr Zeit für sich und seine eigenen Projekte haben. Das kann ich gut verstehen.

Sie haben sich über die letzten Wochen und Monate wieder in die Weltspitze zurückgespielt. Was ist noch und wieder möglich für Sie?

Ich bin in einer Position, wo ich bei den Topturnieren wieder regelmäßig in Halbfinals und Finals spielen kann. Ich spüre schon ein wenig Stolz, wie ich mich zurückgekämpft habe, ran an den Gipfel. Viele übersehen mein kämpferisches Naturell, diese Härte, die ich auch gegen mich selbst habe. Sie denken, Federer fällt alles einfach nur in den Schoß. Aber so funktioniert das nicht. Gerade in der letzten Winterpause habe ich extrem viel investiert, so hart wie vielleicht noch nie gearbeitet. Sonst stünde ich jetzt nicht wieder vorne.

«Viele übersehen mein kämpferisches Naturell.»

Bleibt ein weiterer Wimbledonsieg für Sie selbst das größte Ziel?

Ganz sicher. Einfach, weil es ein magischer Ort für mich ist. Der Ort, an dem alles angefangen hat. Der Ort, der auch der schönste aller Orte im Tennis ist.

Vorgelegt haben Sie auch fürs eigene Selbstbewußtsein mit dem Sieg in Halle.

Das tut immer gut für den Kopf. Und ich hatte schwere Spiele am Ende, ich musste mich hart durchbeissen. Ideal, um eine gewisse Matchhärte zu bekommen. Danach gehst du einfach mit dem Gefühl nach London: Jetzt kann es losgehen. Anders als im letzten Jahr sehe ich mich auch nicht unter riesigem Druck: Punkte sind kaum zu verteidigen, meine Form ist da, ich bin gesund und frisch. Das ist schon eine andere Welt jetzt für mich.

Sie haben sich schon oft neu erfinden müssen als Spieler. Sonst wären sie im Ansturm der nächsten und übernächsten Generation untergegangen. 

Stillstand war immer Rückschritt für mich. An dem Tag, an dem du dich nicht mehr verbessern willst, solltest du lieber aufhören. Ich kannte nie Motivationsprobleme. Mich muss keiner zum Training oder in den Fitnessraum schleppen. Im Moment spiele ich einfach befreit Tennis. Das Ego ist wieder voll da.

Aber ein anderer Schweizer stahl Ihnen gleichwohl vorübergehend ein wenig die Show – Australian Open-Sieger Stanislas Wawrinka. Ein Problem?

Nein. Nullkommanull. Ich bin Stans größter Fan. Sein Freund. Wenn ich ein Turnier nicht gewinnen kann, dann soll er es gewinnen. So denke ich wirklich. Ich bin froh, dass er nach all den Jahren jetzt so richtig explodiert ist und große Siege feiert. Gemeinsam können wir in diesem Jahr auch den Davis Cup holen, das wäre grossartig.

Sie schon reisen seit einer kleinen Ewigkeit über den Globus, ein Tennis-Nomade. Ist noch keine Sehnsucht da, sesshaft zu werden?

Dieses Abenteurer-Gen ist in uns Tennisspielern halt drin. Das ist uns in Fleisch und Blut übergegangen, dieses Leben aus dem Koffer. Es ist wirklich ein Zirkus. Du schlägst deine Zelte irgendwo auf, du reisst sie ab. Und ziehst weiter. Auch die Familien sind so gepolt auf dieses Leben. Wir reisen gern, und ich käme nie auf die Idee, die Kinder zuhause zu lassen.

Trotzdem hörte man zuletzt, dass Sie mehr Zeit daheim in der Schweiz verbringen wollen.

Das wäre ich schon meinen Kindern schuldig, die hier in die Schule gehen sollen. Aber ich tue es auch aus eigenem Antrieb. Ich finde dieses Land wundervoll. Es hat mir so viel gegeben, so viel ermöglicht. Wann immer ich hier Zeit verbringe, ist es ein Gewinn für mich. Vor zwei Jahren, in der Saison mit den Olympischen Spielen, war ich so viel unterwegs, dass ich irgendwann zum ersten Mal in meinem Tennisleben Heimweh verspürte. Heimweh nach der Schweiz, nach einem festen Ort, nach ein paar Wochen ohne Luftveränderung. Und es war großartig. Ich traf alte Freunde, ich ging zum Skifahren, ich schlief im eigenen Bett, fast zwei Monate. Einfach herrlich.

Viele Kollegen machen nach der Karriere als Trainer weiter. Eine Perspektive für Sie?

Eher Nein. Aber man soll niemals nie sagen. Das habe ich gelernt, im Leben und als Tennisspieler. Ich habe schon den Impuls, etwas zurückgeben zu wollen, junge Talente zu inspirieren. Es geht nicht nur ums Nehmen, Nehmen, Nehmen. Sondern auch ums Geben. Ich war nie einer, der sich verschlossen hat, nicht teilen wollte. Ich würde schon gern im Tennis bleiben wollen, wie auch immer.

Etwa auch auf der Senior Tour, bei den Alten Herren?

Früher hätte ich es ausgeschlossen. Heute nicht. Warum nicht einfach Spaß haben mit alten Kumpels? Heute, bei den Turnieren, ist alles so ernst und angespannt, da kannst du dir den Jux nicht leisten, die Clownerien. Belächeln sollte man diese Tour nicht, da wird noch tolles Tennis geboten. Manchmal mit mehr Zauber als bei uns. 

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