Bernhard Heusler möchte heute Abend, beim Halbfinal gegen Chelsea, einfach nur Fan sein. Der Präsident des FC Basel spricht über die Europacup-Kampagne, die Vorzüge von Murat Yakin und die Lust auf ein Bier vor dem Spiel.
Bernhard Heusler, mit welchen Gefühlen werden Sie heute Donnerstag ins Stadion kommen?
Ich hoffe, dass ich nicht in einen Alltagstrott verfalle und mich nicht zwingen muss, den Moment zu geniessen. Ich will den Abend möglichst tief in mich aufnehmen.
Was heisst Alltagstrott?
So angespannt und konzentriert zu sein, dass alles wie unter einer Glocke abläuft. Als Bub habe ich im Stadion die Wurst gerochen, den Rasen – all die Dinge, die den Besuch eines Fussballspiels ausmachen, wegen denen wir so eine Liebe zum Spiel entwickelt haben. Ich werde mir vornehmen, einer der 36’000 Fans im Stadion zu sein.
Und welche sportlichen Hoffnungen hegt der Fan Bernhard Heusler?
Ich habe am Wochenende zwei Interviews geben müssen – eines dem «Tagesanzeiger» und eines meinem Sohn. Beide mal wurde zum Schluss die gleiche Frage gestellt: Was ist denn das Ziel in dieser Saison? Schweizer Meister werden, habe ich geantwortet. Und dann hiess es: Ja, aber der Gewinn der Europa League muss doch ein Ziel sein. Aber ich finde, man kann nicht nachträglich das Ziel justieren. Der Gewinn der Europa League war nie das Ziel. Es geht mehr in die Richtung eines Traums. Den wollen wir jetzt alle gemeinsam leben. Und wenn wir am nächsten Morgen sagen: Hey, es ist nicht nur ein Traum gewesen, dann ist das ein schönes Aufwachen.
«Tottenham kam mir schon wie die Eiger-Nordwand vor. Und jetzt geht es noch höher hinaus.»
Das klingt sehr zurückhaltend.
Nein, das soll es nicht sein. Nur weil wir unter den letzten Vier stehen, geben wir kein neues Ziel heraus. Aber wenn man einen Halbfinal spielt, dann will man gewinnen, darüber müssen wir nicht diskutieren. Und wenn man dann im Final ist, sagt man auch nicht: Heute wollen wir ehrenhaft verlieren. Ich habe schon vor dem Tottenham-Match gesagt, dass es mir vorkommt, als ob wir über die Eiger-Nordwand klettern müssten. Und jetzt geht es noch höher hinaus, jetzt türmt sich Chelsea vor uns auf. Der Hügel ist jedenfalls nicht kleiner.
Wie haben Sie den Lauf des FCB durch die K.o.-Runde erlebt?
Vor dem Spiel gegen Dnipro war es das Thema, dass wir unbedingt den einen Punkt holen müssen, damit der Schweizer Meister 2014 direkt in der Champions League ist. Man hat auf ein schönes Ergebnis gehofft, damit die wenigen Leute, die knapp 8000, die zum Heimspiel gekommen sind, für das Rückspiel noch hoffen können. Dann ist es zu einem Flow gekommen, ein Turnierflow, den man von Tennisspielern kennt, die immer in einer K.o.-Situation sind. Da werden Kräfte freigesetzt, die über das einzelne Spiel hinaus gehen.
Was ist Ihnen – mal von den gehaltenen Penaltys Yann Sommers in Sankt Petersburg und gegen Tottenham abgesehen – am stärksten in Erinnerung?
In London ist das Momentum durch Spielsituationen ganz offensichtlich auf unsere Seite gekippt. Nach den ersten Chancen von uns in der Anfangsphase hatten die Tottenham-Verteidiger Respekt vor der Schnelligkeit eines Mohamed Salah, von der Technik eines Marco Streller oder der Schlagkraft eines Valentin Stocker. Nach unserer 2:0-Führung wirkte der Gegner wie gelähmt, und wie unsere Mannschaft nach dem Ausgleich noch zu vier, fünf hundertprozentigen Chancen gekommen ist, das hat mich sehr überzeugt. Schlussendlich haben wir das Momentum in Tottenham nicht einmal maximal genutzt.
Das Momentum blieb auf Basler Seite, selbst in der Zuspitzung des Rückspiels bis zum Elfmeterschiessen.
Das sehe ich anders. Der Sieg in Basel war nicht das Ergebnis eines clever genutzten Momentums, sondern ein Zeugnis grosser Reife und internationaler Erfahrung, die diese Mannschaft besitzt, obwohl sie zum Teil noch sehr jung ist. Ein Aleksandar Dragovic hat trotz seines Alters schon eine gewaltige Anzahl von internationalen Spielen.
«Murat Yakin zeichnet eine enorme Belastbarkeit aus in Situationen, die nicht planbar sind.»
In all diesen dramatischen K.o.-Entscheidungen, auf dem Weg in den Final des Schweizer Cup und parallel dazu in der Meisterschaft – wie haben Sie in den letzten sechs Monaten den neuen Trainer wahrgenommen?
Ich habe jetzt vier Trainer erlebt, jeder hat seine besonderen Qualitäten. Und ich finde, ein Präsident sollte öffentlich nur über die Vorzüge seines Trainers reden. Was Murat Yakin besonders auszeichnet, ist eine enorme Belastbarkeit in Situationen, die nicht planbar sind. Und er strahlt eine grosse Ruhe aus in Situationen, die man nicht ändern kann. Vor dem Match, während dem Match, auf der Reise nach Sankt Petersburg mit der Notlandung, dann, als wir in Russland festgehalten wurden – unter all diesen Umständen schaut eine Mannschaft ganz genau, wie derjenige, der sie führt, wie der Trainer reagiert…
…der während der stundenlangen Wartezeit gemeinsam mit seiner Mutter einen Imbiss verzehrt und dann ein Nickerchen in der Abflughalle macht.
Eben. Wenn der Chef nicht nervös und gereizt tut, dann machen das auch die Spieler nicht. So führt Murat Yakin die Mannschaft auch durch diese ebenso schwierige wie schöne Phase: Man hört kein Lamentieren, er fokussiert immer aufs Positive. Und: Er ist ein Trainer, der sich selbst angreifbar macht.
Wie meinen Sie das?
In der TagesWoche hiess es nach dem ersten Spiel unter dem neuen Trainer: «Bankrotterklärung». Für mich ist er das Beispiel einer Führungsperson, die bereit ist, sich selbst angreifbar zu machen. Im Zentrum der Kritik stand nicht die Mannschaft, nicht unsere vergebenen Chancen oder die schlechte Leistung von X oder Y, sondern allein der Trainer. Er hätte es sich deutlich einfacher machen können…
…dachten wir auch…
Er hätte dieselben spielen lassen können wie eine Woche zuvor gegen Servette, im gleichen System wie Heiko Vogel. Dann hätte er sagen können, das System funktioniert nicht oder einzelne Spieler – und jetzt müssen wir etwas ändern. Aber er hat alles so umgekrempelt, dass es klar war: Wenn es heute schief geht, steht er im Fokus – und nicht die Mannschaft. Das hat mich zum einen sehr überzeugt.
«Mir ist das Herz aufgegangen , als ich Murat Yakin im Training beobachtet habe.»
Und zum anderen?
Kurz darauf, am Morgen des Spiels in Ungarn gegen Videoton, arbeitete er mit der Mannschaft eineinhalb Stunden intensiv auf dem Platz, im Regen. Er führte Spieler am Oberarm in den Raum, sagte ihnen, wo er sie in seinem System sehen will. Das fand auf dem Feld statt und nicht in einem Theorieraum. Es war eine Form von Kommunikation auf dem Platz, die jedes Sprachproblem gelöst hat, eine Kommunikation in der Fussballersprache eben. Mir ist das Herz aufgegangen und ich habe grosse Zuversicht gespürt, als ich das beobachtet habe.
Dazu kommt die grosse Gelassenheit, mit der Murat Yakin den dichten Rhyhtmus der Spiele in den vergangenen drei Monaten managt. Auch eine gewisse Lässigkeit…
…die aber nicht unprofessionell oder oberflächlich wirkt, wie ich finde. Ich habe ihn ja noch als Spieler beim FCB erlebt und ein Jahr später als Trainer bei Concordia. Da hatte er eine komplett andere Einstellung zum Beruf: völlig akribisch. Wir sind morgens um sieben beim Kaffee die Congeli-Spieler durchgegangen, jene, die beim FCB unter Vertrag waren. Zu jedem einzelnen Spieler hatte er ein Dossier und ich dachte: Ist das der Murat, den ich als Spieler kannte, der vor allem von seinem riesigen Talent gelebt hatte?
«Ich erlaube mir zu sagen: Der FCB hat in dieser Saison schon sehr viel gewonnen.»
Und jetzt ist keine Rede mehr von der sehr unpopulären Entscheidung der Clubführung, sich von Heiko Vogel zu trennen.
Diejenigen, die nach der Entscheidung im Oktober Verschwörungstheorien aufgestellt haben, die Integrität der Verantwortlichen attackiert und sich angewidert vom Verein abgewendet haben, werden wohl darauf hoffen, dass der FCB in der Endphase der drei Wettbewerbe keinen Titel gewinnt.
Was muss der FC Basel erreichen, damit es eine erfolgreiche Saison ist? Einen Titel, zwei Titel, noch mehr?
Selbst Murat Yakin sagt das immer wieder: Wir haben noch nichts gemeinsam gewonnen. Ich erlaube mir eine leicht andere Sicht, weil ich mich für den Club als Ganzes verantwortlich fühle und nicht in erster Linie dann, wenn wir einen Pokal in die Höhe stemmen. Und deshalb sage ich: Der FCB hat in dieser Saison Grosses geleistet und schon sehr viel gewonnen. Was wir wieder an Emotionen in dieser Stadt ausgelöst haben, ist enorm, was wir als Club an Beachtung in ganz Europa bewirkt haben auch. Heute schüttelt in Österreich niemand mehr den Kopf darüber, dass Aleksandar Dragovic von Wien nach Basel gewechselt ist. Heute überträgt der ORF live und sendet zehnminütige Vorberichte zum Chelsea-Spiel.
Apropos: Kann dieses Verteidigertalent über den Sommer hinaus gehalten werden?
Was soll ich sagen? Wenn man sieht, auf welchem Niveau er sich etabliert hat, kann man nur feststellen: Der FCB wünscht sich, dass er so lange wie möglich bleibt. Wir haben unsere Argumente und die werden wir in die Waagschale werfen.
Gibt es konkrete Anfragen?
Interesse gibt es immer wieder, aber nichts Konkretes, was berichtenswert wäre. Ich möchte allerdings gar nicht wissen, wie viele Anrufe er und sein Umfeld jeden Tag erhalten.
Herr Heusler, noch mal zum Ausgangspunkt: Ihr Kollege Hans-Joachim Watzke, Chef von Borussia Dortmund, hat in einem «Spiegel»-Interview erzählt, dass er ein Spiel gegen Real Madrid überhaupt nicht geniessen kann und vorher so nervös ist, dass er möglichst allein sein will.
Ja, so geht es mir auch. Das Schweizer Fernsehen wollte mit mir vor dem Zürich-Heimspiel eine Reportage machen und mich Schritt auf Schritt verfolgen. Das machte für mich aber keinen Sinn, und es wäre auch nicht ehrlich gewesen, denn ich hätte telegene Aktionen kreieren müssen. Ich habe den TV-Verantwortlichen Barbara Bigler vorgeschlagen, die als Geschäftsführerin sehr viel zu tun hat mit der eigentlichen Matchorganisation. Der Bericht war entsprechend sehr informativ.
«Ich gehe vor Spielen immer die negativen Szenarien durch. Wahrscheinlich, um mich selbst zu beruhigen.»
Wie sieht der Tag des Club-Präsidenten vor einem Spiel aus?
Er beginnt morgens entweder in der Geschäftsstelle des FCB oder in der Kanzlei. Mittags gibt es bei internationalen Spielen den offiziellen Lunch mit dem Gastclub. Bei einem Abendspiel lege ich gerne noch eine Sitzung auf 16.00 Uhr. Nichts Kompliziertes. Ein Meeting, weil Agenten zu Besuch beim Match sind, zum Beispiel. Zwei Stunden vor dem Anpfiff bin ich oft allein, oder mit Sportdirektor Georg Heitz im Büro. Ab und zu treffe ich noch jemanden aus der Fanszene, der etwas besprechen will. Und dann trinke ich hin und wieder schon mal noch ein Bierchen vor der Hattrick-Bar.
Gegen die Nervosität?
Ja, auch, weil die Zeit manchmal kaum vergeht. Ein Spieler hat mal gesagt, er verstünde gar nicht, warum Fans vor einem Spiel nervös seien. Sie als Pofis stünden doch unter Druck und hätten alleine das Recht, nervös zu sein. Eine erstaunliche Ansicht. In der Stadt gibt es viele Menschen, die vor einem wichtigen Spiel nicht vernünftig arbeiten können – oder besonders motiviert den Montag angehen, wenn der FCB am Wochenende gewonnen hat.
Herr Watzke sagt ausserdem: «Wenn du die Gesamtverantwortung trägst, das ist ein Druck, den ein Aussenstehender nur schwer ermessen kann». Wahrscheinlich finden Sie sich darin auch wieder, oder?
Manchmal schämt man sich fast dafür, wie aufgeregt man vor dem Anpfiff ist. Das kann man auch gar nicht richtig erklären. Eigentlich ist es ein Spiel, das wir betreiben, aber im Vergleich zu einem sonstigen Unternehmensleiter steht für einen Clubpräsidenten am Ende aller Arbeit immer die Leistung eines Dritten. 90 Minuten auf dem Platz wie eine Sahnehaube oben drauf, die du oben auf der Tribüne mit verschränkten Armen verfolgst und wo du erfährst, ob die Vorarbeit eines ganzen Teams in der öffentlichen Wahrnehmung die Wertschätzung erhält, die du dir wünschst. Es gibt ja keinen Club auf der Welt, der absteigt, von dem es heisst, er sei toll geführt und es seien super Verträge gemacht worden.
«Ich wünsche mir ein Fussballfest. Und alles, was darüber hinaus geht, nehmen wir gerne mit.»
Sie spüren also Ohnmacht, weil Sie angewiesen sind auf die elf oder vierzehn Spieler unten auf dem Platz?
Menschen wollen doch Kontrolle über das haben, was sie tun.
Sind Sie vor dem Spiel eigentlich Optimist oder Pessimist? Watzke hat offenbart, dass sein Sportdirektor Michael Zorc über ihn sagt: «Aki, wenn deine Prognosen immer eingetroffen wären, dann wären wir längst in der dritten Liga.»
Dann ist die Rollenverteilung in Dortmund ähnlich wie zwischen mir und Georg Heitz, der eine optimistischere Grundhaltung hat. Und es ist wichtig, solche Menschen um sich zu haben. Ich bin nicht wirklich pessimistisch, schon gar nicht im restlichen Leben, aber ich setze mich vor Spielen immer auch mit den negativen Szenarien auseinander und artikuliere diese. Wahrscheinlich tue ich das, um mich selbst ein bisschen zu beruhigen.
Sie tippen natürlich wie üblich in den vergangenen Jahren nicht. Fragen wir also so: Hat die Mannschaft gegen Chelsea eine weitere Steigerung drin?
Sie muss, wenn sie weiterkommen will. Die letzte Höhe hat sie übersprungen, die Latte hat gewackelt, aber sie ist oben geblieben. Dann sagt man beim Hochsprung: Beim nächsten Sprung reisst er die Latte. Aber erstaunlicherweise hat man schon x-mal erlebt, dass auch die nächste Höhe genommen wird. Dann kommt so etwas wie Glauben dazu, und ich bin sicher: die Mannschaft glaubt daran. Wünschen wir uns ein Fussballfest, und alles, was darüber hinaus geht, nehmen wir gerne.