Borussia Dortmund wollte in der Rückrunde mit frischem Elan das Feld von hinten aufrollen. Nach zwei Spielen ohne eigenen Torerfolg und der 0:1-Heimniederlage gegen Augsburg, die der Ex-Basler Raul Bobadilla besiegelte, steht der BVB dagegen an einem neuen Tiefpunkt.
Es dauerte eine Weile, bis die Leute auf der Südtribüne ihre diffusen Gefühle in eine gemeinsame Botschaft transformiert hatten, und das Ergebnis wirkte ähnlich hilflos, wie die 90 Minuten, die ihnen von den Spielern zuvor geboten worden waren. «Wir wollen euch kämpfen sehen», brüllten die Anhänger des BVB nach dem erschütternden 0:1 gegen den FC Augsburg, aber dieser Klassiker des Stadionfrustes verfehlte den Kern dieses Fussballspiels deutlich.
Geackert hatten die Dortmunder nämlich, 122 zurückgelegte Kilometer sind ein guter Wert, zumal das Team 764 sogenannte intensive Läufe absolvierte – mehr als alle anderen Mannschaften an diesem Bundesliga-Spieltag. Aber um solche Details ging es jetzt längst nicht mehr. Die zornigen Schmähungen der Fans enthielten eine ganz andere Botschaft: Das Verständnis ist aufgeraucht, vorbei ist die Zeit, in der aus alter Dankbarkeit auch Niederlagen mit Gesten des Wohlwollens und der Aufmunterung hingenommen werden.
Schweigeminute vor dem Anpfiff für den verstorbenen Ex-Trainer Udo Lattek. Nach dem Spiel wurde aus Trauer grosse Ratlosigkeit. (Bild: Reuters/INA FASSBENDER)
Seit diesem Abend ist die Atmosphäre in der Fussballstadt Dortmund von einer diffusen Gefühlsmixtur zwischen Wut, Trauer und Angst geprägt. «Nach so einem Spiel müssen Unmutsbekundungen erlaubt sein, keiner von uns hat etwas anderes erwartet, das ist in Ordnung gewesen», sagte Trainer Jürgen Klopp.
Aber der Unmut wird nicht so schnell verfliegen, und das liegt nicht alleine an diesem ernüchternden Ergebnis und dem Verbleib auf dem letzten Tabellenplatz, sondern auch daran, dass diese Spieler und ihr Trainer ein Stück Glaubwürdigkeit verloren haben.
Klopps eher beängstigende Analyse
Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rückrunde seien nach der Winterpause «dramatisch besser» als in der ersten Saisonhälfte, hatte Klopp immer wieder erklärt, schliesslich konnte der Grossteil des Kaders während der Spielpause endlich ungestört an der Physis und an mannschaftstaktischen Details arbeiten.
«Es ist nicht das Gleiche wie in der Vorrunde, weil wir körperlich in einer anderen Verfassung sind», erläuterte Klopp am Mittwochabend dann auch noch einmal. Aber diese Feststellung wirkt im Kontext dieser Woche eher beängstigend als beruhigend auf die Freude des Klubs.
Jürgen Klopp – sieht aus, als ob der Dortmunder Trainer weint, aber so weit ist es noch nicht. (Bild: Keystone/ROLAND WEIHRAUCH)
Denn wenn die Mechanismen des Zusammenspiels jetzt besser funktionieren und die Spieler fit sind, dann liegt das Problem in Bereichen, die kaum greifbar, die nur schwer trainierbar sind. Und wer die Spieler nach dem Spiel durch die Stadiongänge schleichen sah, bekam einen Eindruck von dem Schrecken, den diese Erkenntnis verbreitet. «Die Situation ist krass, ich weiss auch nicht weiter im Moment», sagte Nuri Sahin, dem das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand.
Die Reanimierung funktioniert nicht
Der Trainer Klopp, dieser brillante Motivator, hat schon viele grossartige Dinge vollbracht, an der Herausforderung, ein hoch veranlagtes Ensemble, das den Zugriff auf die eigenen Fähigkeiten verloren hat, zu reanimieren, scheitert er. Zumindest bisher.
Der fussballversierte Philosoph Wolfram Eilenberger im Interview mit der «Zeit» über Jürgen Klopp als Problem des BVB: «Borussia Dortmund ist die Anomalie des Liga.»
«Dass die Nerven eine Rolle spielen in unserer Situation, steht ausser Frage», sagte der 47-Jährige, «das müssen wir in den Griff kriegen.» Wie das in der kurzen Zeit bis zum bedeutsamen Auswärtsspiel beim SC Freiburg am Samstag funktionieren soll, bleibt aber unklar. Zumal die Verunsicherung in der Schlussphase des Spiels noch einmal eine neue Dimension erreichte.
Nachdem Augsburgs Christoph Janker Pierre-Emerick Aubameyang per Notbremse zu Fall gebracht und die rote Karte gesehen hatte, spielten die Dortmunder die letzte Viertelstunde in Überzahl, und diese Minuten wurden für das Publikum zu einer Horrorshow der Kopf-, Hilf- und Konzeptlosigkeit. Groteske Fehlpässe wurde ironisch beklatscht, viele Leute machten sich in trotziger Verzweiflung vor dem Abpfiff auf den Heimweg, obwohl das Spiel hoch spannend war.
Sie verpassten die einzige gute Chance des BVB in der zweiten Hälfte, als Ciro Immobile, der eigentlich ganz gut begonnen hatte, in der Nachspielzeit aus fünf Metern viel zu unplatziert auf die Tormitte köpfte.
Neuer Tiefpunkt des Absturzes
Und so steht diese zweite Halbzeit für einen neuen Tiefpunkt des Dortmunder Absturzes. Nicht nur, dass der BVB nach 50 Minuten eine aberwitzige Fehlerkette produzierte, die dem Ex-Basler Raul Bobadilla den Siegtreffer ermöglichte. Die von Unsicherheit und Versagensängsten geprägte Phase danach zeichnete ein Bild von einer Mannschaft im Untergang.
…und danach feiert Bobadilla sein Tor, wie man es aus der Schweiz kennt. (Bild: Reuters/INA FASSBENDER)
«So ein Gegentor, unsere Situation: Das steckt dann alles im Kopf. Das lähmt, das baut sich immer weiter auf. Jede Aktion, die nicht gelingt, führt dann zur totalen Verkrampfung», beschrieb Nuri Sahin den Prozess des Zerfalls.
Und dass der Trainer dieser erschreckenden Entwicklung offenbar genauso hilflos ausgesetzt ist wie die Spieler, macht die ganze Sache wirklich bedrohlich.
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