Im Namen der Dose – wie Red Bull den Sport erobert

Andere Marken pappen ihren Namen auf die Kleider von Sportlern. Aber das reicht Red Bull nicht. Der Getränkeriese will in der Vermarktung alles selbst in der Hand haben. Wenn es sein muss, erfindet er eine Sportart gleich selbst.

Felix Baumgartner springt aus der Stratosphäre zur Erde. (Bild: Sven Hoffmann/Red Bull Content Pool)

Andere Marken pappen ihren Namen auf die Kleider von Sportlern. Aber das reicht Red Bull nicht. Der Getränkeriese will in der Vermarktung alles selbst in der Hand haben. Wenn es sein muss, erfindet er eine Sportart gleich selbst.

Indien. Indien wäre doch vielleicht eine Option. Wo, wenn nicht hier in der Abgeschiedenheit der Bergwelt im Norden des Subkontinents kann man noch sicher sein vor den Roten Bullen? Ein befremdliches Krachen und Fauchen liegt in der Luft. Geräusche, die nicht hierhin gehören: auf den Gipfel des Kardung Passes, 5000 Meter über dem Meeresspiegel, die höchste befahrbare Asphaltstrasse der Welt. Hubschrauber kreisen, Kameramänner schreien, und plötzlich kommt er daher gedonnert: Ein dunkelblauer Formel-1-Bolide, auf dem Heckflügel prangen zwei rote Stiere, unverkennbare Markenzeichen von Red Bull.

Völlig abgefahren? Völlig abgedreht. Die spektakulären Szenen sind im Kasten, die einzigartigen Bilder gehen vom nordindischen Kardung Pass aus um die Welt, die Marketingstrategen von Red Bull haben wieder ganze Arbeit geleistet und die Konkurrenz auf die Hörner genommen. So funktioniert das in der energiegeladenen Welt von Red Bull. Die beste Werbung ist immer noch die perfekte Inszenierung.

Red Bull. Immer wieder Red Bull. Wohin der Sportfan auch schaut, über kurz oder lang rennt ihm immer ein Stier über den Weg. Rallye-Weltmeister Sebastien Loeb (Frankreich)? Ein roter Bulle. Ski-Weltcupgesamtsiegerin Lindsey Vonn (USA)? Sternzeichen ­Roter Stier, was sonst. Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel (Deutschland)? Natürlich in der Bull-Position. Die Fussballstars Neymar (Brasilien) und Mario Gomez (Deutschland)? Eh klar. Die coolsten Surfer, die mutigsten Basejumper, die wildesten Kletterer, die angesagtesten BMX-Fahrer? Alle aus dem Bullenstall.

Gab es einen Sport vor Red Bull?

Knapp 500 Sportler, viele die Besten ihrer Zunft, darunter etliche Schweizer, wie die Triathleten Natascha Badmann und Sven Riederer, der Eiskletterer Urs Odermatt oder der Freeskier Elias Ambühl, sind im Namen der Dose im Einsatz. Frage: Hat es vor Red Bull eigentlich schon Sport gegeben?

Die Sportwelt ist lauter, schriller und bunter geworden, seit der Süssgetränk-Erzeuger aus ­Fuschl in Österreich mit dem hauseigenen Slogan «Red Bull verleiht Flügel» die Szene auf den Kopf gestellt hat. Nicht heimlich, und schon gar nicht still und leise. Auffallen um jeden Preis scheint oberstes Gebot zu sein, und Action, Aktionismus und Attraktionen sind die wichtigsten Zutaten. In Sachen Marketing kann kaum jemand dem Energydrink-Riesen das Wasser reichen.

Ein Drittel des Jahresumsatzes wird postwendend wieder in Werbung und Sponsoring investiert, Dietrich Mateschitz, der milliardenschwere Leitbulle des Imperiums, hat seit der Firmengründung im Jahr 1984 Unsummen flüssig gemacht, um seinem Roten Bullen zu weltweiter Berühmtheit zu verhelfen. Und um nebenbei sein Motto zu leben: «Wenn ich etwas will, dann will ich es ganz.»

Auf diesem Feldzug lässt sich auch anhand des Sports der Aufstieg von Red Bull zur Weltmarke verfolgen. In den Pionierjahren, als der taurinhal­tige Energydrink in vielen Ländern noch nicht verkauft werden durfte, pflegte die Firma auch beim Sports­ponsoring ihr wildes, rebellisches Image. Unterstützt wurden in erster Linie Extremsportler, vom Speedskier bis zum Kajakfahrer – ein hauseigener Fuss­ballclub wäre angesichts dieser Marketingstrategie damals noch völlig im Abseits gestanden.

Vom Rebellen zum Mainstream

Heute geht Red Bull mit der Zeit und längst hat im Bullenstall auch der Mainstream Einzug gehalten. Die bunten, wilden Hunde von einst, die von Häusern springen und auf Rädern durchs Unterholz brettern, gibt es zwar immer noch, aber mittlerweile leistet sich der Konzern eigene Formel-1-Rennställe und gleich etliche Fussballmannschaften. Dabei wird aber in allen Bereichen ein Grundsatz strikt verfolgt: Red Bull tritt nicht als einfacher Geldgeber auf, sondern das Unternehmen bestimmt in sämtlichen Bereichen, wo es lang geht.

«Ich bin nicht Roman Abramowitsch. Nichts ist einfacher, als mit ­einem Sack voller Geld shoppen zu gehen», gewährt Dietrich Mateschitz Einblicke in die Firmenphilosophie. «Wir wollen aber nicht nur auf dem Heckflügel von Ferrari oder auf dem Trikot von Chelsea stehen. Es passt nicht zu unserer Philosophie, dass wir nur mit einem Logo irgendwo präsent sind. Die Roten Bullen müssen spielen. Die Roten Bullen müssen rennfahren.»

Leidenschaft für Motorsport

Wenn die Reifen qualmen und die Motoren dröhnen, dann ist der Big Boss und Big Spender in seinem Element. Dietrich Mateschitz ist ein deklarierter Benzinbruder, der 67-Jährige hat ein Faible für schnelle Autos und flotte Flugzeuge, die er im Hangar 7, einem futuristischen Gebäude auf dem Flughafengelände von Salzburg, der Öffentlichkeit zur Schau stellt.

Diese Leidenschaft für den Motorsport ist wohl auch dafür verantwortlich, dass Red Bull Racing binnen kürzester Zeit sämtliche Traditionsteams der Formel 1 überholt hat und mit Sebastian Vettel den besten Piloten der Gegenwart stellt. Pures Glück oder reiner Zufall? Weder noch. Der Konzern pumpt 200 Millionen Euro jährlich in die Formel 1 und unterhält seit Jahren eine Nachwuchsakademie für angehende Rennfahrer.

Auf den zweifachen Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel wurde Red Bull bereits im Alter von 16 Jahren aufmerksam. Der zweite Firmenrennstall Toro Rosso passt da als Ausbildungsstätte für Formel-1-Piloten perfekt in die Strategie. Und selbstverständlich reklamiert das Unternehmen die hübschesten Boxenluder, die trendigsten Motorhomes und die fettesten Formel-1-Partys für sich.

Nachhilfe für Fussball-Muffel

Lange Zeit galt bei Red Bull die Devise: Finger weg vom Mannschaftssport! Doch mittlerweile sind die Bullen auch hier am Ball. Das Unternehmen führt Akademien in Brasilien und Ghana und will die amerikanischen Fussball-Muffel mit den Bulls aus New York (mit Thierry Henry) für Viererkette, Abseitsfalle und Corner begeistern.

Seit 2005 versucht zudem der Red-Bull-Werksclub von Salzburg aus, Fussball-Europa aus den Angeln zu heben. Der Erfolg fiel trotz enormer finanzieller Einsätze und prominenter Namen auf der Trainerbank (Giovanni Trapattoni, Lothar Matthäus, Huub Stevens) bescheiden aus. Das scheint auch Boss Mateschitz inzwischen begriffen zu haben, grosse Hoffnungen werden nun in den Firmenverein in Leipzig gesetzt, der über kurz oder lang die Salzburger Träume verwirklichen soll – eher über lang.

Fans und Uefa als Problemfelder

Der FC Rasenball Leipzig, der irgendwann einmal international für Furore sorgen soll, sitzt vorerst freilich noch in der Regionalliga Nord fest, der vierthöchsten deutschen Liga. Anders als in Österreich darf Red Bull in Deutschland nicht offiziell als Clubeigner auftreten, weshalb der Verein nun offiziell Rasenball Leipzig heisst.

Allerdings droht in ferner Zukunft weiteres Ungemach: Da der europäische Fussballverband (Uefa) aus Angst vor Manipulation und Wettbewerbsverzerrung in seinen internationalen Bewerben nicht mehrere Vereine duldet, die den gleichen Besitzer haben, wird nur ein Verein aus dem Hause Red Bull europäisch vertreten sein dürfen.

Ein weiteres Dilemma: Die klassischen Fussballfans haben so ihre Probleme mit dem Konzept von Red Bull. In Salzburg etwa wurde seinerzeit der Traditionsverein Austria radikal umgekrempelt: neue Vereinsfarben, neues Emblem. Die Folge: Die Fans kehrten dem Club den Rücken, sie bekannten sich zu den Wurzeln und folgten dem Traditionsverein in die 5. Liga. Mittlerweile herrscht bei Spielen von Austria Salzburg, der es in die 3. Liga geschafft hat, eine bessere Atmosphäre als bei Partien in der sterilen Bullenarena.

Die Erfindung neuer Sportarten

Formel 1 und Fussball, Stars und Spektakel – das ist nur eine Marketingstrategie, die der Getränkeriese im Sport verfolgt. Die findigen Pioniere aus dem Hause Red Bull haben in den letzten Jahren eigens neue aufregende Sportdisziplinen erschaffen, die perfekt in die Unternehmensphilosophie passen und den Zeitgeist widerspiegeln, in dem das Alltägliche nur mehr Schnee von gestern ist.

Beim «Red Bull Crashed Ice» etwa müssen sich vier Eisläufer Seite an Seite im Kampf Mann gegen Mann behaupten. Beim «Red Bull Cliff Diving» springen die besten Klippenspringer der Welt aus über 20 Metern Höhe in die Fluten und sollen mit Salti und Schrauben die Punkterichter überzeugen. Beim «Red Bull Air Race», einem Projekt, das derzeit wegen strategischer Probleme auf Eis liegt, jagen ­Piloten ihre Flugzeuge durch einen Hindernisparcours. Dazu gibt es längst eigene Wettbewerbe für Fussballkünstler («Red Bull Street Style»), Parcours-Artisten, Breakdancer, Skateboarder und Freeskier.

Da trifft es sich perfekt, dass das Unternehmen heute auch einen eigenen Fernsehsender besitzt, der die hauseigenen Protagonisten ins rechte Kameralicht rückt. Der medienscheue Dietrich Mateschitz, von dem kaum Ton- oder Fernsehaufnahmen existieren, hat in den vergangenen Jahren ein mittelgrosses Medienimperium aufgebaut.

Das «Red Bulletin», eine Monatszeitung in Hochglanzqualität erscheint heute von Neuseeland bis England, «Servus TV» liefert spektakuläre Bilder in HD-Qualität und setzt die Red-Bull-Stars perfekt in Szene. Dazu hat der Konzern die besten Sport- und ­Actionfotografen der Welt engagiert, um ja keinen Schnappschuss zu verpassen. Ein Luxus, der seinen Preis hat, aber mit vollen Dosen ist auch leicht stinken.

Todesfälle von Red-Bull-Sportlern, die auf der Jagd nach spektakulären Aufnahmen und dem ultimativen Kick ihr Leben lassen, stören das perfekte Bild, verkommen aber zu Kollateral­schäden. So verunglückte vor zwei Jahren der Schweizer Basejumper Ueli ­Gegenschatz, als er sich zu Werbezwecken von einem Hochhaus in Oerlikon stürzte. Das erste Opfer in der Red Bull-Firmengeschichte, die reich an riskanten Manövern und fragwürdigen Stunts war. «Wir hatten mehr Glück als Verstand», musste denn auch Firmenchef Mateschitz eingestehen.

Doch das nächste Abenteuer wartet bereits. Red Bull ist längst immer und überall. Heutzutage verfolgt einen der Rote Bulle sogar bis in die Strato­sphäre. Noch in diesem Jahr will der österreichische Extremsportler Felix Baumgartner aus 36’000 Metern Höhe abspringen und als erster Mensch der Welt im freien Fall die Schallmauer durchbrechen. Er vertraut bei diesem Jungfernflug auf die moderne Technik, die das Unternehmen grosszügig mitfinanziert Aber womöglich reicht ja auch schon die richtige Dosis aus der rich­tigen Dose: Red Bull verleiht ja bekanntlich Flügel.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30.03.12

Nächster Artikel