Die Australian Open erweisen sich als ein Turnier, an dem Roger Federer wieder gross angreifen könnte – mit altem Biss und einwandfreiem Spiel. Ob der Erfolgsspieler zurück ist, wird sich spätestens gegen Andy Murray zeigen.
Bei den Australian Open haben die Fernsehmacher neuerdings auch eine stationäre Kamera direkt an der Tribünenloge installiert – dort, wo Trainer, Familie und Freunde der weltbesten Tennisprofis sitzen. Jede Gefühlsregung, ob ekstatischer Jubel oder Blicke des Entsetzens, soll eingefangen werden.
Am Montagabend machte den TV-Voyeuren allerdings Roger Federers langjähriger Wegbegleiter, der Schweizer Davis Cup-Coach Severin Lüthi, einen Strich durch die Rechnung, als er kurzerhand ein Handtuch über das Spionageobjekt hängte – anders als bei der Verhüllung einer Radarfalle ging der Retter von ein bisschen mehr Privatsphäre natürlich straffrei aus.
Viel spekulieren musste man allerdings nicht, was sich in Federers Spielerbox im Achtelfinale der Australian Open gegen den französischen Puncher Jo-Wilfried Tsonga tat. Mit der besten Centre Court-Leistung der letzten Monate, bei der er messerscharfe Präzision und perfekt inszenierte Offensivlust kombinierte, wirkte Federer wie ein runderneuerter Tennis-Ästhet – willens und in der Lage, bei diesem ersten Grand Slam-Turnier der Saison 2014 sogar den langen Weg zum Titel zu Ende gehen zu können.
Angriff, Attacke, Aggressivität
In alter Kraft und Herrlichkeit faszinierte Federer auch seinen neuen Chefberater Stefan Edberg, vor allem, weil er über weite Strecken des 6:3, 7:5, 6:4-Triumphzugs das vertraute Erfolgsmodell des schwedischen Altmeisters kopierte: Angriff, Attacke, Aggressivität. Nicht bedingungslos, sondern planvoll und durchdacht.
41 Mal stürmte der erstaunlich reformwillige Federer in dieser Partie ans Netz und machte 34 Mal den Punkt, in einer Choreographie, die an längst vergangene Tenniszeiten bei einem der vier Majors erinnerte. «Ich habe diktiert, dem Spiel meinen Stempel aufgedrückt», sagte der 32-jährige, dem bei seinem dynamischen Vorwärtsdrang auch der schnellere Bodenbelag half.
In der zweiten Saisonhälfte des Jahres 2013 hatte Federer aus anderen Gründen im Fokus der Tennisbeobachter gestanden – nämlich als Mann, der irgendwie seine Magie, seine Aura und seine Siegschläge verloren hatte. Die Magie des langjährigen Erfolgsspielers war weg, und so stand er, übrigens genau so wie sein Viertelfinalgegner am Mittwoch, Andy Murray, im sportlichen Schatten der Rivalität zweier Alphatiere namens Novak Djokovic und Rafael Nadal.
Die stritten sich um die grossen Titel und Trophäen, während Federer gegen den Absturz aus dem engeren Führungszirkel und zwischenzeitlich sogar aus den Top Ten rackerte. Murray, der Wimbledonsieger, trat im Spätsommer und Herbst gar nicht mehr in Erscheinung nach seiner Rückenverletzung, ungewiss schien seine Perspektive für das neue Jahr nach den langen Fehlzeiten.
«Stets reif für einen grossen Pott»
Nun aber feiern sie ziemlich genau ein Jahr nach ihrem Halbfinalduell (Murray gewann in fünf Sätzen) ein erstes Wiedersehen genau hier in Melbourne – im Machtkampf zweier äusserst prominenter Comebackfiguren. «Ich hatte sowieso nie den Fehler gemacht, Roger irgendwie abzuschreiben», sagt Murray, «wenn er fit ist, ist er für jeden eine Bedrohung. Und stets reif für einen der grossen Pötte.»
Federer, inzwischen die Nummer 6 der Weltrangliste, spielt tatsächlich in Melbourne ohne körperliche Sorgen auf, frei von den ewigen Selbstzweifeln, die ihn letztes Jahr plagten und peinigten. «Wenn du dich auf deinen Körper verlassen kannst, wenn du dich fit und gesund fühlst, geht alles so viel leichter», sagt der Baselbieter, der sich gleich in der Startphase der Saison in eine aussichtsreiche Position gebracht hat.
Nicht zuletzt, weil ihn auch der Ehrgeiz gepackt hatte, es all den Skeptikern und Kassandra-Rufern zu zeigen, die ihn als ernstzunehmenden Mitbewerber im Spitzenrevier der Profis abgeschrieben hatten. «Ich bin immer noch bereit, alles Mögliche und Nötige für den Erfolg zu tun», sagt Federer, «dazu zählt auch die Hilfestellung, der Ratschlag, der von einem Mann wie Stefan Edberg kommt.
Der ungebremste «Fedberg-Express»
Keiner hat die beiden Gentlemen Federer und Edberg bisher auch nur ein wenig bremsen können – das Duo, das schnell den Spitznamen «Fedberg-Express» abbekam. Und wie ein Hochgeschwindigkeitszug wirkt dieser Tage auch Federers Spiel, rasant, dynamisch und manchmal überwältigend schnell. Verdattert sah da sogar einer wie der angriffslustige Tsonga aus, der sich in 112 Minuten bloss einen erfolglosen Breakball gegen den 17-maligen Grand Slam-Champion erspielte.
Auch gegen Murray will Federer seiner Offensivstrategie treu bleiben, wenn auch in leicht abgeschwächter Dosis – schliesslich ist der Schotte noch ein anderes Kaliber als der taktisch oft naive Tsonga. Im Hintergrund läuft dabei auch ein Parallelkampf der alten Meisterspieler Edberg und Lendl, der beratenden Köpfe. Federer jedenfalls hat wieder die Freude am Spiel, auch an diesen ganz grossen Duellen auf ganz grosser Bühne – und niemand weiss, wer das noch alles zu spüren bekommt in Melbourne.