Er gilt als Architekt der Europacup-Triumphe des Clubs, der am Donnerstag in Basel zum Achtelfinal der Europa League gastiert: Ramón Rodríguez Verdejo, früherer Torhüter des FC Sevilla und seit 2000 Sportdirektor. Im exklusiven Interview mit der TagesWoche erklärt der 47-Jährige das Erfolgsmodell, den Sevillismo und warum alle Welt ihn nur Monchi nennt.
Barcelona hat Messi, Real Madrid hat Ronaldo – und Sevilla hat Monchi. «Niemand ist unersetzlich, aber wenn es bei uns einer wäre, dann er», sagt sein Präsident José Castro. Als Sportdirektor formte Ramón Rodríguez Verdejo – genannt Monchi – seit dem Jahr 2000 aus dem bankrotten Zweitligisten Sevilla Fútbol Club den vierfachen Champion der Europa League.
Von Dani Alves bis Ivan Rakitic; unzählige Beispiele belegen sein Transfergespür, das in Spanien als einmalig gilt und regelmässig die Grossclubs auf den Plan ruft. Doch der 47-Jährige sagte sowohl Real Madrid wie auch dem FC Barcelona ab. Monchi möchte nirgendwo anders arbeiten als beim Club seines Lebens, bei dem er kürzlich bis 2020 verlängerte.
Die Spiele verfolgt er immer noch auf der normalen Tribüne und sagt: «Letztlich bin ich mehr Fan als Sportdirektor.» TagesWoche-Mitarbeiter Florian Haupt traf Monchi im Vorfeld des Achtelfinal-Hinspiels in Basel zum ausführlichen Gespräch.
» Eintrag über Ramón Rodríguez Verdejo (Monchi) bei Wikipedia
Señor Verdejo, wie wird man als Ramón zum Monchi?
Die Abkürzung ist bekannt in Spanien, wenn auch nicht ganz so gebräuchlich wie Paco für Francisco oder Pepe für José. Sie können sich darauf verlassen: Alle Monchis, Monchos oder Monchus sind Ramóns. Schon meine Mutter hat mich so genannt. Ich hatte Monchi sogar auf dem Trikot stehen.
Sie waren Torwart bei Sevilla. Einer Ihrer Teamkollegen war damals Diego Armando Maradona.
In der Saison 1992/93, ja. Ein Traum, der Wirklichkeit wurde – die Kabine mit dem besten Spieler der Welt zu teilen. Die Erinnerung ist ein grosser Schatz.
Gibt es eine Anekdote aus jener Zeit?
Diego und ich verstanden uns sehr gut. Eines Tages betrachtete er meine Armbanduhr und fragte, ob es eine gute Uhr sei. Ich sagte, es sei eine Fälschung. Kurze Zeit später schenkte er mir eine echte. Im Umgang mit den Teamkollegen war Diego eine Eins. Vollkommen zugänglich und nicht ansatzweise angeberisch. Dabei war er Maradona! Und ich war Ersatztorwart. Aber unser Verhältnis war exzellent.
Was war Sevilla damals für ein Club?
Sevilla war ein Wollen und nicht Können. Ein Verein, der sich ambitionierte Ziele steckte. Grosse Spieler waren da: Zamorano, Suker, Simeone, Maradona. Auch Trainer wie Bilardo oder Aragonés. Aber letztlich wurden die Dinge nie wirklich gut gemacht. Wir waren nicht in der Lage, eine Mannschaft zu formen, mit der wir um Titel gespielt hätten. Wir schafften nur einmal die Qualifikation für den Europapokal. Es war ein ständiges Auf und Ab.
2000 wurden Sie Sportdirektor. Hätte Ihnen damals jemand gesagt, dass Sevilla 15 Jahre später Rekordtitelträger der Europa League (bis 2009: Uefa-Cup) sein würde…
…hätte ich ihm geantwortet, dass er spinnt.
Welche Bedingungen fanden Sie vor?
Schlechte, sehr schlechte. Wir waren in der zweiten Liga und wirtschaftlich näher am Abgrund als an allem anderen. Damals wäre ich nicht mal in der Lage gewesen, von dem zu träumen, was wir später alles erreichen sollten.
Was taten Sie als Erstes?
Eine Abteilung zusammenstellen, denn die gab es vorher nicht. Natürlich eine viel bescheidenere als heute, da wir 16 Personen sind. Dann schaute ich mir andere Clubs an, um zu verstehen, was sie richtig machten. Mir war klar, dass wir auf eine gute Marke zählen konnten, den Sevilla Fútbol Club – ein Verein mit grossartiger Stadt, tollem Stadion und treuen Fans. Sportlich aber hatten wir noch nichts erreicht. Wir nahmen uns vor, einen Schritt nach dem anderen zu machen und jeden Schritt zu konsolidieren. Behutsam zu wachsen, nicht mehr das Unmögliche zu versuchen.
Mit dieser Generation gewann Sevilla nicht nur den spanischen Pokal und wäre um ein Haar spanischer Meister geworden – es begann mit den Titeln 2006 und 2007 vor allem die Liebesbeziehung zum Uefa-Cup, der heutigen Europa League.
Wir leben einen Traum und den müssen wir geniessen. Alles ging sehr schnell, aber manchmal sollten wir auch innehalten und zu geniessen versuchen, was wir da erreichen.
Verfolgten Sie deshalb das letzte Europa-League-Finale in Warschau gegen Dnipropetrowsk inmitten der Sevilla-Fans?
Ich schaue mir die Spiele immer inmitten der Fans, auf einer normalen Tribüne an. Ich bin an diesem Punkt ein bisschen sonderbar. Ich bin kein Logentier; dort muss man immer eine gewisse Haltung bewahren. Ich gucke lieber mit der Familie, den Freunden, ich möchte die Tore feiern, meine Freude herausschreien, meine Sitznachbarn umarmen. Letztlich bin ich wesentlich mehr Sevillista als Sportdirektor. Ich weiss nicht, ob das gut oder schlecht ist, aber es ist die Realität.
Bei welchem Tor haben Sie am lautesten geschrien?
Wahrscheinlich bei dem von Torwart Palop in Donezk auf dem Weg zu unserem zweiten Uefa-Cup-Sieg (Achtelfinale 2007, Anm. d. Red). Die Nachspielzeit lief, wir waren praktisch ausgeschieden. Dass der Torwart dann trifft – das ist nicht normal. Ähnlich gefeiert habe ich allenfalls noch das Tor letzte Saison bei Zenit (Viertelfinale, Anm. d. Red.). Wir hatten in Sevilla 2:1 gewonnen, lagen in St. Petersburg 1:2 zurück und litten entsetzlich. In den letzten fünf Minuten traf Gameiro. Ich war mit meiner Frau und meinen zwei Söhnen da. Die beiden und ich sprangen herum wie verrückt.
Das besagte Tor in Donezk, erzielt von Andrés Palop Cervera (im Zusammenschnitt ab 3:20):
Solche Tore tragen zu der Aura bei, die Sevilla in der Europa League umgibt. Wie auch jenes von Stephen M’bia in der 94. Minute des Halbfinals 2014 gegen Valencia, das zuvor den FC Basel eliminiert hatte. Oder wie die gewonnenen Elfmeterschiessen in den Finals 2007 gegen Espanyol Barcelona und 2014 gegen Benfica Lissabon.
Ich denke, das kommt vom Selbstvertrauen. Damit ist es einfacher, unmögliche Dinge zu erreichen. Tore wie von M’bia, Palop oder Gameiro mögen unmöglich erscheinen – aber wenn du daran glaubst, hast du grössere Chancen.
Spüren Sie den Effekt auch bei den Gegnern in der Europa League? Die müssen Sevilla ja allmählich für unbesiegbar halten.
Sagen wir mal, dass wir uns Respekt erarbeitet haben, und das ist nie verkehrt. Aber jetzt muss es weiter gehen. Das ist etwas, dass dieser Club in seinen Genen hat: immer ambitioniert sein, sich nicht zufrieden geben. Die Europa League in dieser Saison ist für uns genauso wichtig wie die erste von 2006. Nur weil wir jetzt vier Titel haben, werden wir nicht nachlassen. Unsere Motivation bleibt die gleiche.
Wie läuft der interne Prozess bei einem Transfer?
Bei uns gibt es drei Seiten. Der Präsident gibt den wirtschaftlichen Rahmen vor. Der Trainer das technische Profil: beispielsweise dass er einen Linksverteidiger will, der schnell und angriffsstark ist. Wir von der Sportdirektion kleben dann gewissermassen die Namen drauf. Wir erarbeiten eine Liste mit Spielern, die finanzierbar sind und den Bedürfnissen des Trainers entsprechen.
Und die letzte Entscheidung?
Die wird im Konsens gefällt, aber das Gewicht der Sportdirektion ist gross. Ich versuche, sie mit dem Trainer abzusprechen. Aber manchmal kennt der Trainer den Spieler nicht. Als der Míster vor zwei Jahren einen defensiven Mittelfeldmann verlangte, gross und stark, und ich ihm dann von Krychowiak erzählte, (lacht) nun, da fühlte er sich ein bisschen ertappt, denn er wusste nicht, wer das ist. Kurzum, wenn es um einen Spieler geht, den der Trainer kennt, dann versuche ich immer, seinen Weg mitzugehen. Wenn er ihn nicht kennt, dann muss er mir vertrauen. Ich habe das Glück, dass meine Trainer der Sportdirektion immer sehr vertraut haben. Auch diese Rückendeckung ist wichtig.
Welche Bedeutung hat der Schweizer Spielermarkt in Ihrer Arbeit? Die deutsche Bundesliga ist voll von Schweizer Profis. In Spanien spielt derzeit keiner.
Der Schweizer Markt ist natürlich relevant. Wir haben einen Beauftragten für den Schweizer Fussball, wir verfolgen ihn sehr intensiv. Wir waren auch schon gelegentlich dort wegen möglichen Transfers, aber es ist nicht leicht, denn es stimmt schon: Der deutsche Markt hat grosse Bedeutung für den Schweizer Fussball, und klar, die Bundesliga ist wirtschaftlich sehr stark. Trotzdem, wir reisen regelmässig in die Schweiz. Unser Experte war auch beim letzten Spiel des FC Basel gegen Saint-Etienne.
Wie praktisch, am Tag danach wurden Sie gegeneinander gelost. Was hat Ihr Mitarbeiter denn erzählt über den FC Basel?
Dass es eine gute Mannschaft ist. Eine Mannschaft, die sowohl physisch wie technisch auf der Höhe ist. Eine Mannschaft mit einer guten Mischung aus Routiniers und Youngstern. Eine Mannschaft, gegen die schwer zu spielen ist, weil sie taktisch sehr gut ausgearbeitet wirkt. Und eine Mannschaft mit bedeutenden Einzelspielern wie Delgado, wie Zuffi, wie Xhaka, wie Embolo, auch wenn er im Hinspiel nicht dabei sein kann. Dazu die Erfahrung von Leuten wie Samuel und Janko. Eine Mannschaft, gegen die wir 100 Prozent bringen müssen, um eine Runde weiter zu kommen.
Freuen Sie sich, schon einmal den Finalrasen betreten zu können?
Ja. Eine neue Erfahrung für uns, gegen den späteren Finalgastgeber haben wir noch nie gespielt. Und eine schöne Sache, die Stadt kennenzulernen. Hoffentlich dürfen wir im Mai noch mal wiederkommen.
Artikelgeschichte
Hommage an einen Torhüter: Sammelbilder mit Ramón Rodríguez Verdejo als Torhüter des Sevilla Fútbol Club von 1990 bis 1999.