Ein Möhlemer im Europa-League-Endspiel: Heute Abend (20.45 Uhr, SRF2 live) kann Ivan Rakitic seiner Karriere die vorläufige Krone aufsetzen. Mit dem FC Sevilla trifft er in Turin auf Benfica Lissabon. Einst vom FC Basel in die grosse Welt gezogen, sollen sich inzwischen Barcelona und Real Madrid für den kroatischen Nationalspieler interessieren.
Sevilla hat wilde Partys hinter sich: Es war die Woche der Feria, einer Art spanischem Oktoberfest mit viel Folklore und langen Nächten. Die Sause der Sevillistas ist seit Sonntagabend vorbei, doch die nächste Traditionsveranstaltung steht bevor.
So lässt sich ein Europa-League-Endspiel aus Sicht dieses Vereins ja fast bezeichnen. 2006 und 2007 gewann Sevilla den damals noch unter Bezeichnung Uefa-Cup geführten Wettbewerb. Die Andalusier fühlen sich wohl im Biotop von Europas kleinerem Pokal und dafür verzichten sie auch mal auf eine Stange Geld.
Vor gut zwei Wochen hätte die Mannschaft mit einem Sieg beim direkten Konkurrenten Athletic Bilbao einen Champions-League-Platz erobern können, doch Trainer Unai Emery schonte seine Stammkräfte lieber für das Halbfinalrückspiel in Valencia schonte. Nach einem 2:0 im Hinspiel lag Sevilla dort dann 0:3 zurück, ehe ein Kopfball von Stéphane M’bia in der vierten Minute der Nachspielzeit den Finaleinzug rettete.
Sevillas weiter Weg und Benfica Final-Fluch
Wer die Europa League ehrt, der wird von ihr belohnt – so sehen sie das in Sevilla, wo sie bereits im Achtelfinale ein Elfmeterschiessen gegen den Lokalrivalen Betis überlebten und als Tabellen-Neunter der Vorsaison überhaupt nur deshalb dabei sind, weil die besser platzierten Málaga und Rayo Vallecano keine Lizenz für den Europapokal erhielten. «Das ist unser Wettbewerb, der uns unser Prestige gegeben hat», sagt Präsident José Castro, «und deshalb begeistern wir uns für ihn seit dem ersten Spiel.»
18 Partien nach dem Einstieg am 1. August gegen Mladost Podgorica steigt jetzt also der grosse Final in Turin gegen ein leicht favorisiertes Benfica. Das ist jedoch personell gehandicapt mit drei gesperrten Stammspielern und psychologisch mit dem «Guttmann-Fluch» aus sieben verlorenen Europacup-Endspielen nacheinander begleitet. «Wir wollen, dass der Pokal nach Hause zurückkommt», sagt Ivan Rakitic: «nach Sevilla».
Ivan Rakitic – Captain, Herz und Seele
Gelingt das, wird es viel mit dem Mann aus Möhlin zu tun haben, dem einstigen Wunderkind des FC Basel und besten Neuling der Schweizer Super League in der Saison 2006/07. Damals spielte der Sohn kroatischer Eltern noch für die Schweizer Jugendauswahlen und erzielte in seiner ersten vollen Spielzeit elf Tore. Sieben Jahre, einen umstrittenen Verbandswechsel und eine mässig erfolgreiche Station bei Schalke 04 später konnte er diese Marke in der laufenden Saison erstmals überbieten. Zwölf Mal traf er in der Liga, dreimal in der Europa League, dazu kommen insgesamt 18 Torvorlagen.
Bei Sevilla ist er Rakitic inzwischen Captain, Herz und Seele der Mannschaft. Insbesondere diese Saison hat er sich den Ruf eines der besten Mittelfeldspielers der Primera División erworben, er soll unter anderem den FC Barcelona interessieren und bei Real Madrid soweit oben auf der Einkaufsliste stehen, dass die Zeitungen bereits von einer bevorstehenden Einigung schreiben. Sein Vertrag in Sevilla läuft 2015 aus, die Ausstiegsklausel allerdings beläuft sich auf 40 Millionen Euro.
Spielmacher und Problemlöser
Der 25-jährige Rakitic ist so begehrt, weil es im Mittelfeld wenig gibt, das ihn vor unlösbare Probleme stellen würde. Er kann als Spielmacher vor der Abwehr eingesetzt werden wie als Mann hinter den Spitzen, er kann die Nebenleute organisieren wie entscheidende Pässe spielen, den Ballbesitz wahren wie das Spiel öffnen, das Tempo verlangsamen und verschärfen, er ist fast immer anspielbereit und weiss meistens einen Ausweg.
Zu seinen Spezialitäten zählen ausserdem gefährliche Standards sowie die im modernen Fussball so gefragte Fähigkeit, die Räume zwischen den Abwehrlinien zu bespielen und damit das gegnerische Verteidigungssystem zu deaktivieren.
Barcelona soll Interesse haben, Real Madrid auch: Ivan Rakitic. (Bild: Reuters/Marcelo del Pozo)
Im Januar 2011 kam er für 2,5 Millionen Euro zu Sevilla und nach einem eher blassen Beginn – «vor zwei Jahren wollten die Fans mich noch verkaufen» – wirkt Rakitic inzwischen manchmal fast ein bisschen überpräsent: dann läuft zu viel über ihn und die Mannschaft steht und fällt zu sehr mit seiner Tagesform.
In Sevilla zur Persönlichkeit gereift
Diese Schlüsselrolle schuldet sich auch dem Umstand, dass er der Stabilitätsfaktor einer Übergangsepoche ist. Der langjährige Präsident Jose María del Nido wanderte vor einigen Monaten wegen Korruption ins Gefängnis, die Mannschaft wurde im Sommer nach einem schleichenden Absturz über die letzten Jahre generalüberholt. 16 Spieler gingen, etwa die Nationalspieler Jesús Navas und Álvaro Negredo. 13 neue wurden gekauft. Darunter Volltreffer wie der kolumbianische Angreifer Carlos Bacca, aber auch relative Enttäuschungen wie der von Chelsea ausgeliehene Marko Marin.
Doch alle überstrahlt Rakitic. In Sevilla ist er nicht nur auf dem Spielfeld gereift, er fand auch sein privates Glück. Er heiratete eine Sevillanerin und wurde Vater. Spanisch spricht er mit andalusischem Akzent. Wegen dieser Verbindung hoffen die Fans immer noch, dass er Real, Barcelona und all den anderen vielleicht absagt, denn womöglich gilt am Ende gilt für seine Karriere ja dasselbe wie für seinen Club Sevilla in Europas Wettbewerben: Lieber König bei den Kleinen als Mitläufer bei den Grossen.
Und ganz abgesehen von den aktuellen Avancen gibt es da immer noch einen anderen Verein, der gegen eine einstige Rückkehr nichts einzuwenden hätte: den FC Basel.