«Jetzt ist Alex Frei für uns gestorben»

Am Donnerstag werden im Joggeli wieder Fernsehbilder nach den strengen Vorgaben der Uefa produziert. Dazu ein Bericht aus dem Produktionswagen des Schweizer Fernsehens, aufgezeichnet beim Europa-League-Heimspiel des FC Basel gegen Zenit St. Petersburg.

An employee of the tv production center zurich Inc. (tpcag) works in an outside broadcast truck before the international friendly between the Swiss national football team and Germany in the St. Jakob-Park stadium in Basle, Switzerland, pictured on March 2 (Bild: Keystone/Martin Ruetschi)

Am Donnerstag werden im Joggeli wieder Fernsehbilder nach den strengen Vorgaben der Uefa produziert. Wenn der FC Basel im Viertelfinalrückspiel der Europa League Tottenham Hotspur empfängt, produziert das SRF im Auftrag und nach Regeln des europäischen Fussballverbandes. Die TagesWoche hat den Machern beim Heimspiel des FCB gegen Zenit St. Petersburg über die Schultern geschaut. Ein Bericht aus dem Produktionswagen des SRF.

Die Nahaufnahme eines Flitzers ist für die Fernsehmacher tabu – Basels Assistenztrainer Marco Walker ausgenommen, obwohl dieser zu jeder Jahreszeit Bein zeigt. «Der trägt immer kurze Hosen, der Walker», sagt der Regisseur Beni Giger. Er sitzt vor unzähligen Bildschirmen im Übertragungswagen und wendet sich gleich wieder dem Europa-League-Achtelfinalspiel des FC Basel gegen Zenit St. Petersburg zu: «Gut, vergessen wir den Walker.»

Dass ein Flitzer nur in der Totalen gezeigt werden darf, wird von der Uefa vorgegeben. Die Fernsehmacher haben sich an das Regelbuch der Uefa zu halten, die Auftraggeberin der TV-Produktion ist. Das Regelwerk ist dick wie die Bibel und stellt unter anderem sicher, dass den Interessen von Einzelnen oder Gruppen keine Plattform geboten wird.

Die zehn…tausend Gebote der Uefa

Politische Transparente im Fanblock werden so nicht über den Äther gelassen und pyrotechnische Exzesse dürfen nur kurz gezeigt werden – damit der Zuschauer eine Erklärung eines eventuellen Spielunterbruchs geliefert bekommt. Die einzelnen Pyromanen werden nie gezeigt.

Die Schnelligkeit der Ereignisse spielt der Fernsehproduktion dabei zuweilen einen Streich. Botschaften, die ein Spieler unter seinem Vereinstextil trägt und beim Jubeln entblösst, sind beispielsweise schwierig zu verhindern. So geschehen an der Euro 2012, als Dänemarks Nicklas Bendtner seine kommerzialisierte Unterhose präsentierte.

Horrormomente für die Fernsehmacher

Nicht immer geht es in den Entscheidungen des Regisseurs um Bagatellen wie die Unterhose eines Fussballers. Beni Giger erzählt von den schlimmsten Momenten für die Fernsehmacher: Vor etwas mehr als einem Jahr verstarb der kanadische Skicrosser Nick Zoricic, nachdem er kurz vor dem Ziel des Wettkampfes in Grindelwald in die Fangnetze gesprungen war.

Giger, damals ebenfalls der produzierende Regisseur, entschied sich, sofort die Zuschauer zu zeigen, dann die Gewinner des eben beendeten Laufes, eine kurze Wiederholung des Unfalls und danach wieder die Zuschauer. Eine Grossaufnahme des Gestürzten wurde nicht gezeigt.

«Einer meiner Kameramänner hatte die Aufgabe, mit seiner Kamera auf Zoricic zu bleiben», sagt Giger. «Wir hofften auf ein entwarnendes Zeichen des Verunfallten, um dieses umgehend zeigen zu können.» Das Zeichen kam nicht.

Verzerrte Darstellung der Ereignisse

Das Bild des Sterbenden wurde nicht gezeigt – auch wenn dies das zentrale Ereignis im Zielraum war. Was damals aus ethischen Gründen entschieden wurde, wird bei der Produktion eines Fussballspiels aus anderen Motiven immer wieder gemacht: Das Geschehen im Stadion wird zuweilen verzerrt abgebildet.

Als Zenits Trainer Luciano Spalletti seine ausgestreckten Zeigefinger so an seine Schläfen führt, dass er einem teufelsähnlichen Wesen gleicht, wird die Szene erst dann eingespielt, als sie auch zum Spiel passt. Auch da werden Erinnerungen wach an die Euro 2012. Damals zeigte das Fernsehen während des Spiels Deutschland–Holland eine Szene des Bundestrainers Löw mit einem Balljungen, obschon sich diese bereits vor dem Anpfiff zugetragen hatte.

Was wann gezeigt wird, obliegt dem Regisseur, dessen Worte die einzigen sind, die im Übertragungswagen unter den Tribünen des St.-Jakob-Parks zu hören sind. Alle anderen Anwesenden sprechen nur dann, wenn sie dazu aufgefordert werden. Die Konzentration ist spürbar. 13 Kameras müssen koordiniert werden, die unter anderem auf das ganze Spielfeld, die Abseitspositionen, die Trainerbank oder einzelne Spieler gerichtet sind.

«Das Gelenk ist futsch»

Eine dieser Kameras erlaubt dem Regisseur eine medizinische Ferndiagnose zu David Degens Fuss: «Das Gelenk ist futsch», sagt Giger und fordert von seinen Mitarbeitern die entsprechende Kameraeinstellung: «Gebt mir bitte das Fussgelenk – so nah wie möglich.» Zu Hause an den Bildschirmen erscheint nun das Bild des Fusses, der an diesem Abend keinen Ball mehr treten wird.

Damit der Zuschauer zu Hause einen getretenen Ball nicht nur sieht, sondern auch hört, sind rund um das Spielfeld elf Mikrophone positioniert. Ein Produktionsmitarbeiter ist nur damit beschäftigt, die Schimpftiraden der Trainer, die Pfiffe der Schiedsrichter oder die Schreie der sterbenden Schwäne im Strafraum für die Zuschauer hörbar zu machen.

Alex Frei – vom Karfreitag zum Ostersonntag

Alex Frei ist während des Spiels immer wieder ein Thema. Vom Einlaufen des scheidenden Stürmers verlangt Beni Giger mehrere Nahaufnahmen, bis der Spielverlauf darauf hindeutet, dass Frei wohl nicht sofort eingewechselt wird. Sofort lässt Giger von ihm ab: «Jetzt ist Alex Frei für uns gestorben.» Er sollte sich täuschen.

Denn in der 79. Minute kommt er doch noch aufs Feld und verwandelt in der Nachspielzeit den Elfmeter zum 2:0 Endstand. Es ist die emotionale Auferstehung des Alex Frei.

Am Donnerstag wird Alex Frei auf europäischem Niveau ein letztes Mal von den Kameras eingefangen. Zumindest als Spieler – in seiner neuen Tätigkeit als Sportchef des FC Luzern dürfte das dicke TV-Regelbuch der Uefa so schnell nicht mehr auf Alex Frei angewendet werden.

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