Jetzt muss eigentlich nur noch Haris Seferovic das Tor treffen 

Nach der Qualifikation zur Fussball-Weltmeisterschaft 2018 und den Pfiffen gegen Haris Seferovic stellt sich nur noch die Frage, wo das Limit dieser Schweizer Nationalmannschaft liegt: Vorrunde, Achtelfinal, Final? Eine Nachbetrachtung und ein Blick voraus.

Schweizer Freude im St.-Jakob-Park: Remo Freuler, Denis Zakaria, Manuel Akanji, Granit Xhaka, Valon Behrami und Ricardo Rodriguez (von links) feiern die WM-Teilnahme. (Bild: Keystone/Jean-Christophe Bott)

Eines vorweg: Natürlich waren die Pfiffe gegen Haris Seferovic nicht schön und sie waren auch nicht fair. Aber seit wann verlangt man von einem Fussballpublikum, sich anständig und fair zu verhalten? 

Oder muss man mit dem Kauf einer Eintrittskarte automatisch zum Fan einer Mannschaft oder eines einzelnen Spielers werden? Und wenn es die Nationalmannschaft ist, dann sowieso? Oder kann man seinen Unmut ausdrücken in einem Spiel der Emotionen und in der aufgeladenen Atmosphäre eines mit 36’000 Zuschauern vollgepackten Stadions?

Begleitet von gellenden Pfiffen verlässt Haris Seferovic für Breel Embolo das Feld.

Das ist Marco Streller so ergangen und Alex Frei auch. Beides Basler, die den Grossteil ihrer Karriere polarisierende Wirkung auf das Publikum in der Schweiz gehabt haben. 

Der eine wurde in St. Gallen ausgepfiffen, trat zurück und kam auf gutes Zureden von Ottmar Hitzfeld zurück. Der andere musste die schmerzhaften Pfiffe sogar auf seiner Heimbühne über sich ergehen lassen.

Jetzt hat es Seferovic getroffen, der am Sonntagabend schuftete wie alle anderen auch, aber halt gleichzeitig auch den personifizierten Chancentod gab. Schweizer Stürmer müssen eben ein besonders dickes Fell haben.

Die Schmähungen im St.-Jakob-Park waren gerade abgeklungen, der letzte nervenaufreibende Moment von Ricardo Rodriguez mit einer spektakulären Rettungsaktion auf der Torlinie vorüber, als der letzte Pfiff ertönte – jener von Schiedsrichter Felix Brych. Er machte das Nullzunull gegen Nordirland amtlich und damit die WM-Teilnahme der Schweiz. Die vierte in Folge, was für ein kleines Fussballland wie die Schweiz eine sehr stolze Reihe bedeutet.

https://www.srf.ch/play/tv/sport-clip/video/zusammenfassung-schweiz-nordirland?id=edc60dd2-5cf2-4a9a-9692-dd85d5e51e8b&startTime=111.600501

Und das nach einer Playoffpartie, in der die Schweizer nordirischer spielten als das Original. In dem sie mehr leiden mussten, als man das nach dem Hinspiel in Belfast hatte vermuten dürfen. Weil die Nordiren im peitschenden Regen und auf der Ackerfurche des St.-Jakob-Parks aus jeder vergebenen Schweizer Chance (und von denen gab es à gogo, beileibe nicht nur für Haris Seferovic) mehr Hoffnung zu schöpfen schienen: Glauben an den Lucky Punch – oder an etwas in der Art wie jenen Elfmeterpfiff von Belfast, die Fehlentscheidung, die nun bedauerlicherweise dieses Playoff entschieden hat.

Führt die Schweiz nach der EM 2016 nun an der WM 2018 in Russland zu einem zweiten grossen Turnier: Vladimir Petkovic (Mitte).

«Wir hätten mehr verdient gehabt», meinte ein zerknirschter Michael O’Neill nach dem aufopfernden Comeback, das seine Mannschaft zur Überraschung vieler geliefert hatte. Die Schweizer können für sich reklamieren, über beide Spiele hinweg die knapp bessere Mannschaft gewesen zu sein. Viel gefehlt hat den Nordiren aber nicht, um eine Verlängerung zu erzwingen.

Ein Viertelfinal – nur noch daran wird die Schweizer Nationalmannschaft gemessen.

Yann Sommer, der so gar nicht sommerartig an der letzten Flanke vorbei gegriffen hatte, wusste schon, warum er von «der grossen Last» sprach, die da mit dem Schlusspfiff von ihm und den Mitspielern gefallen ist. Ein Scheitern, nach zehn Siegen (und einer Niederlage) in der Ausscheidung hätte plötzlich vieles in Frage gestellt, was nun gefeiert wird: Eine bereits zur «goldenen Generation» stilisierten Mannschaft, die im Juni kommenden Jahres nach Russland reist, um zu demonstrieren, dass sie wirklich über die spielerischen und mentalen Ressourcen verfügt, den nächsten Schritt zu machen – die Viertelfinals eines grossen Turniers zu erreichen.

Nur noch daran wird diese Schweizer Auswahl gemessen. Das war schon bei der WM 2014 in Brasilien (Achtelfinal-Aus in der Verlängerung gegen Argentinien) oder bei der EM 2016 (Endstation Achtelfinal im Elfmeterschiessen gegen Polen) so. Die aktuelle Kampagne unterstreicht jedoch, an welch seidenem Faden schon eine Qualifikation zu einer Endrunde noch jedes Mal hängt.

Der Dank der Spieler an die Fans – also jene, die nicht gepfiffen haben.

Diese WM-Teilnahme garantiert der Schweiz bereits 9,5 Millionen Franken allein aus dem Topf der Fifa-Einnahmen. Das ist eine Summe, die es dem Schweizerischen Fussballverband erlaubt, Vorreiter in der Nische Ausbildung zu sein, oder, wie es SFV-Präsident Peter Gilliéron ausdrückt: «Die Qualifikation für eine WM-Endrunde ist nie ein Selbstläufer. Sie ist immer das Total dessen, was beim SFV in all seinen Abteilungen aus den vorhanden Möglichkeiten gemacht werden kann.»

Diese Art Zukunftsicherung spielte am Sonntagabend im St.-Jakob-Park natürlich nur eine nachgeordnete Rolle. Die Spieler träumen von mehr. Xherdan Shaqiri weiss zwar noch gar nicht, auf wen die Schweiz in Russland treffen wird in der Vorrunde (Auslosung am 1. Dezember), findet aber: «Wir wollen versuchen, mehr zu erreichen als ein Achtelfinal.»

«Wir wollen es an der WM in Russland besser machen und setzen uns keine Limiten.»

Nationaltrainer Vladimir Petkovic

Shaqiri ist eines der Beispiele für die Spieler dieser Generation, die ihr Selbstbewusstsein eher unschweizerisch vor sich hertragen. Spieler einer Auswahl mit einem Trainer, die auf der Folie der politischen Debatte um Migration und Abschottung stellvertretend für Integration stehen. Mit allen immer wieder hervorzuckenden Reflexen von Ressentiments. Oder mit Pfiffen gegen Haris Seferovic.

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Wenn am 14. Juni 2018 in Moskau die grosse WM-Sause beginnt, kann die Entwicklung dieser Schweizer Nationalmannschaft weitergehen. Vladimir Petkovic, der sich als umsichtiger Moderator erwiesen hat («Meine Philosophie ist es, nie etwas zu überstürzen»), sagt: «Wir wollen es besser machen.»

Die meisten seiner Spieler stehen in der Blütezeit ihrer Karrieren, einige werden in Russland ihr letztes Hurra erleben wie Stephan Lichtsteiner oder Valon Behrami, neue drängen nach wie Manuel Akanji oder Steven Zuber. Die Stammkräfte haben eine oder sogar zwei Weltmeisterschaften schon erlebt. «Das Unmögliche möglich machen», will Petkovic, «und dabei setzen wir uns keine Limiten.» Dafür muss eigentlich nur noch Haris Seferovic das Tor treffen.

https://tageswoche.ch/sport/manuel-akanji-mit-innerer-ruhe-zum-schnellen-aufstieg/

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