Mit immensen Investitionen in Schladming und die Ski-WM wollen sich die Österreicher ihrer Grösse im Wintersport versichern. Jetzt fehlen eigentlich nur noch ein paar Goldmedaillengewinner. Eine Inaugenscheinnahme im Ennstal.
Es gibt einfach kein Entrinnen. Widerstand zwecklos. So sehr man sich auch bemühen mag, so tief man in die Trickkiste greift – wer dieser Tage in Schladming einen Bogen um die Ski-Weltmeisterschaft machen möchte, der ist zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Über kurz oder lang hoppelt irgendwo «Hopsi» über den Weg, ein Plüschhase, der es zum WM-Maskottchen gebracht hat.
Silvan Zurbriggen hat sich in der interen Ausscheidung als vierter Schweizer neben Patrick Küng, Carlo Janka und Didier Défago für die WM-Abfahrt von Samstag (11.00 Uhr) qualifiziert. Zurbriggen beendete das zweite Training als Siebter, 73 Hundertstel hinter dem Schnellsten, Überraschungsmann Steve Roger aus Frankreich. Die verkürzte Übungsfahrt führte zu einer ordentlichen Polemik im Fahrerlager.
Das WM-Programm
Oder aber man wird einem langen Bimmel-Zug überrollt, der pausenlos zwischen Planai-Zielstadion und der Fanmeile verkehrt. Die knallgrünen Kuhglocken, die hier die meisten Ski-Fans um den Hals baumeln haben, sind noch kilometerweit zu hören.
Schladming zeigt Flagge
Kaum ein Haus in der 4400-Einwohner-Gemeinde im steirischen Ennstal, das nicht Flagge zeigt, kein Winkel, in dem es nicht nach Weltmeisterschaft riecht. Es gibt eine eigene WM-Bank und eine Hall of Fame für ehemalige Weltmeister und andere Würdenträger; die Post lädt die Fans ein: «Werden Sie WM-Maskottchen», der Optiker daneben kürt das «Brillengesicht der WM».
Es gibt selbstverständlich eigene WM-Briefmarken, einen speziellen WM-Sekt und sogar der Kirche ist der Skisport heilig. Jeden Abend wird zum Sportgottesdienst gebeten. «Wir sind Papst» hat Deutschland einst Benedikt XVI begrüsst, in Schladming heisst das Motto unbescheiden: «Wir sind Ski-WM.»
Der Segen für ein Bauerndorf
Der Skisport ist ein echter Segen für die einst ärmliche Gemeinde im steirischen Ennstal. Erst durch die Weltcup-Bewerbe in den 70er Jahren und die Weltmeisterschaft 1982 wurde der Ort wachgeküsst. Ohne die erste Ski-WM, so die Einschätzung des österreichischen Ski-Präsidenten Peter Schröcksnadel, wäre Schladming immer noch ein «unansehnlicher Bergbauernort».
Stattdessen präsentiert sich Schladming heute als Ski-Metropole von Welt. Man ist zwar keineswegs so mondän wie Kitzbühel, auch nicht so schick wie Lech oder St. Anton, aber die Gäste und Prominenten kommen dennoch gerne und in Scharen in die Steiermark. Arnold Schwarzenegger ist Stammgast und liess es sich auch nicht nehmen, bei der Eröffnung als Stargast aufzutreten.
290 Millionen für radikales Facelifting
Schladming hat sich im letzten Jahr noch einmal einem radikalen Facelifting unterzogen. 290 Millionen Euro wurden in die Infrastruktur investiert, auch deshalb liegt die Latte hoch. «Wir wollen die beste WM abliefern», predigt ÖSV-Chef Schröcksnadel seit Monaten.
Zumindest der Auftakt verlief einmal eher holprig als glatt. Erst wurde Österreich bei der provinziellen Eröffnungsfeier als Land der Schuhplattler und Lederhosenträger präsentiert, auch die Verschiebungs-Posse rund um den Frauen-Super-G war keine Werbung für den Skisport und die Weltmeisterschaft, dazu der schwere Sturz von Superstar Lindsey Vonn, und zu schlechter letzt bleiben auch noch die erhofften und geforderten Medaillen für die Gastgeber aus. Bereits nach zwei Rennen haben einige österreichische Medien die Ski-Krise ausgerufen und schreiben von einer Flop-WM.
Klischeepflege und Hoffnungsträger
«Tut mir jetzt bloss nicht alles schlechtreden», appelliert Schröcksnadel an die Nation. Er lässt weder die Kritik an der klischeehaften Eröffnungszeremonie gelten («Wir haben eben unsere Klischees, und die haben wir auch zu verkaufen. Die Leute sehen uns mit Lipizzanern, Oper und Schuhplattlern») noch kann er die latente Unruhe verstehen. «Man stellt sich sicher einen anderen Start vor, aber die sechs bis acht Medaillen, die ich gefordert habe, werden wir wohl hoffentlich zusammenkriegen.»
Weltcup-Leader und Publikumsliebling Marcel Hirscher gilt dabei als der grösste Hoffnungsträger auf Heimsiege, Triumphfahrten und die erwarteten Freudenfeste in der Fanzone, bei der bislang lediglich DJ Ötzi mit seinem nervigen «Heeeeeeeeeeeeeeeey Baby» für Stimmung sorgen konnte.
Die Hirscher-Affäre
Ein Facebook-Eintrag des Local Hero zeigt, welche Ausmasse die Hysterie und österreichische Sehnsucht nach Erfolgen bereits angenommen hat. Nach dem Super G hatte Hirscher, der als Starter stets nur für Riesenslalom und Slalom vorgesehen war, via Social Media dem US-Sieger Ted Ligety mit den Worten gratuliert. «Ich hätte mir gewünscht, diesen Lauf ebenfalls absolvieren zu dürfen.»
Und schon war die grosse österreichische Facebook-Affäre perfekt. Als verspätete Forderung nach einem Startplatz im Super G wurde das Posting gedeutet, als Seitenhieb an die ÖSV-Cheftrainer, zumal Hirscher ja auch noch in erster Linie von seinem eigenen Vater betreut wird.
Am Ende sah sich der 23-Jährige sogar zu einer offiziellen Presseaussendung gezwungen, bei der er sich für seinen Facebook-Eintrag rechtfertigte. «Ich bin Racer und würde am liebsten jedes Rennen fahren. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass in mein Posting so viel hineininterpretiert wird.»
Darben in der Königsdisziplin
All diese Nebengeräusche erleichtern den österreichischen Athleten ihre Medaillenjagd nicht. Das Land erwartet seit jeher von seinen Ski-Helden Erfolge am laufenden Band, und bei einer Heim-Weltmeisterschaft erst recht. Dabei vergessen viele erfolgsverwöhnte Österreicher, dass in der jüngeren Vergangenheit vor allem die rot-weiss-roten Herren der Ski-Schöpfung den Triumphen regelmässig hinterher fahren.
An der vergangenen WM in Garmisch (2011) hatte es kein Gold gegeben, von den Olympischen Spielen 2010 in Vancouver waren die Nachfolger der Hermann Maiers und Stefan Eberharters ohne eine einzige Medaille nach Hause gekommen. Ein Erfolg am Samstag in der Königsdisziplin, der Abfahrt, könnte für die langersehnte Trendwende sorgen. Denn nichts lieben die Österreicher mehr als Helden in der Abfahrt.
Dort, wo die Sieger sind
Verbandsboss Schröcksnadel baut jedoch schon mal vor. «Die Weltmeisterschaft ist aber auch nicht verpatzt, wenn wir in der Abfahrt nicht gewinnen», erklärt der 71-Jährige, in dessen Ära die grössten österreichischen Ski-Erfolge fallen. «Wenn der Marcel Hirscher am Ende siegt, ist es super. Darum haben wir auch Chancen bis zum letzten Tag. Nur: Diesen Druck wollen wir dem Marcel Hirscher eigentlich nicht auferlegen.»
Sprachs und räumte noch schnell einmal mit einem Klischee auf. «Man sagt immer: Wenn die Ausländer gewinnen, dann ist es interessanter und für den Tourismus wichtiger.» Dieser These kann der Big-Boss, der mehrere Skigebiete besitzt und sein Geld im Tourismus verdient, nichts abgewinnen. «Das ist der grösste Blödsinn überhaupt. Denn wenn wir Österreicher nicht gewinnen, dann haben wir keine Kompetenz mehr im Skisport. Die Leute fahren dorthin, wo die Sieger sind. Und darum müssen wir gewinnen.»
Immerhin: In der Kombination der Frauen am Freitag schaute für Nicole Hosp als Dritte eine erste Bronzemedaille heraus.