Joachim Löw: Das högschte der Gefühle

Er kommt aus dem Tal der Trainer: Joachim Löw steht mit der deutschen Nationalmannschaft im WM-Final von Rio de Janeiro vor der Vollendung eines langen Weges.

Germany's coach Joachim Loew smiles during the team's 2014 World Cup quarter-finals against France at the Maracana stadium in Rio de Janeiro July 4, 2014. REUTERS/Kai Pfaffenbach (BRAZIL - Tags: HEADSHOT SOCCER SPORT WORLD CUP) (Bild: Reuters/KAI PFAFFENBACH)

Er kommt aus dem Tal der Trainer: Joachim Löw steht mit der deutschen Nationalmannschaft im WM-Final von Rio de Janeiro vor der Vollendung eines langen Weges.

Eigentlich gehört Christian Streich ebenfalls dazu. Trotz kleiner geografischer Unschärfe, denn wer wie der Trainer des SC Freiburg aus Märkt-Eimeldingen stammt, der ist ein Markgräfler und kein Wiesentäler. So wie Ottmar Hitzfeld und Joachim Löw.

Aus dem Tal der Trainer: Die Region hat eine erstaunliche Dichte an berühmten Fussballlehrern hervorgebracht. Und Urs Siegenthaler (66), den gebürtigen Basler, muss man unbedingt dazu zählen. Denn der Ex-Profi und Ex-Trainer aus grauen Vorzeiten des FC Basel hat nicht nur einst als Trainer-Ausbilder an der Hochschule für Sport in Magglingen seinen Einfluss auf Joachim Löw gehabt, sondern gilt in seiner Funktion als Chefscout als einer der wichtigsten Souffleure des Bundestrainers.

Der Bundestrainer und sein Souffleur: Joachim Löw mit Urs Siegenthaler am Strand von Santo Andre.

Der Bundestrainer und sein Souffleur: Joachim Löw mit Urs Siegenthaler am Strand von Santo Andre. (Bild: Reuters) (Bild: Reuters/ARND WIEGMANN)

Was die vier über den Fussball hinaus verbindet, ist ihr Dialekt, der bei Löw sehr schwarzwälderisch klingt, bei Streich (49) zutiefst alemannisch und der bei Hitzfeld vom Baseldytsch gestreift ist.

Löw ist auf dem Sandplatz des Buchenbrandstadions in Schönau grossgeworden, am oberen Ende des Wiesentals, dort, wo der Südschwarzwald vom einst von Textilindustrie geprägten Teil in den touristischen übergeht. Hitzfeld kickte am unteren Ende des Tales, beim TuS Stetten, ehe er über seine erste Profistation beim FC Basel in die grosse weite Fussballwelt auszog, die sich letztlich auf Dortmund und München beschränkte. Wo er jedoch alles gewann, was man als Clubtrainer gewinnen kann. Und das zum Teil mehrfach.

Löws beeindruckende Bilanz – auch ohne Titel

Für den 65-jährigen Hitzfeld ist im WM-Achtelfinal gegen Argentinien und nach der hauchdünnen Niederlage mit der Schweizer Nationalmannschaft die grosse Trainerlaufbahn mit einem achtbaren Schlussakkord zu Ende gegangen. Kein Exploit zwar bei der finalen Herausforderung, dafür eine opulente Extrabeilage seines Vertragspartners «Blick» zum Abschied («Danke, Ottmar!»).

Ein Titel fehlt noch: Joachim Löw. (Bild: Reuters)

Er spielt mit der von Manager Oliver Bierhoff durch und durch gestylten Nationalmannschaft einen Fussball, der nichts mehr mit den Rumpelfüsslern früherer Generationen zu tun hat und die nicht mehr an Mythen des deutschen Fussballs wie Willen, unerschütterlichen Glauben und der furchteinflössenden Kraft von Panzerdivisionen gemessen wird.

Längst fällt es selbst den Schweizern schwer, den Fussball der Deutschen nicht zu mögen. Diese Weltmeisterschaft und der irrwitzige Halbfinal gegen Brasilien haben ihr Übriges dazu getan. Statt jogo bonito heisst es jetzt Jogi bonito.

Daheim in Schönau: Remmidemmi mit 250 Leuten

In Löws Heimat werden sie diesen Finalsonntag mit jener vornehmen Zurückhaltung begehen, wie sie das immer in den vergangenen Jahren getan haben. Über der Durchgangsstrasse des 2300-Seelen-Städtchens haben sie ein Transparent gespannt: «Viel Glück» wünscht man ihm da für die WM. Mehr Aufregung würde auch gar nicht zu Joachim Löw passen.

WM-Fieber in Schönau – oder halt das, was das Städtchen im Scharzwald so an Fieber zu bieten hat.

WM-Fieber in Schönau – oder halt das, was das Städtchen im Scharzwald so an Fieber zu bieten hat. (Bild: dorfgeschwaetz.de)

Einer seiner Brüder führt das Vereinslokal des FC Schönau und wird am Endspielabend vielleicht ein paar Gäste mehr als sonst begrüssen dürfen. «Remmidemmi wie in der Grossstadt» herrscht dann, sagt Wolfgang Keller augenzwinkernd, «aber nur mit 250 Leuten.» Ein zweiter Bruder, früher selbst einmal Zweitliga-Profi, lebt und arbeitet in Basel.

Nichts Grosses, berichtet die «Badische Zeitung», plant die Stadt Schönau für ihre berühmteste Persönlichkeit, den Sohn eines Ofensetzers. Mit den sparsam vergebenen Ehrenbürgerschaften ist es auch so eine Sache: Dafür, heisst es aus dem Rathaus, müsse man «eine Leistung vollbracht haben».

Mal brotlos schön, mal nicht schön genug

«Brutal verändert», hat sich der Joachim Löw, seit er zum «Bundes-Jogi» wurde. «Zu seinem Vorteil», wie sein früher Wegbegleiter, der heute 69-jährige Wolfgang Keller, das mal beschrieben hat: «Seine Gesten, seine Rhetorik sind anders, aber es wirkt auf mich nicht gekünstelt.» Im Hintergrund lässt sich Löw vom Ludwigsburger Roland Eitel beraten, zu dessen Klienten auch Jürgen Klinsmann zählt.

Aus dem etwas biederen Joachim Löw, der in Au-Wittnau, einer kleinen Gemeinde ein paar Höhenmeter über Freiburg im Breisgau lebt, ist ein smarter Bundestrainer geworden. Er kann sich den Seidenschal umwerfen, das Hemd einen Knopf weiter öffnen oder wie ein begossener Pudel im Regen von Recife stehen – er macht eine gute Figur.

Mal spielt die deutsche Nationalmannschaft für die Kritiker zu brotlos schön, mal nicht schön genug.

Aber so ein Bundestrainer hat es unter 80 Millionen Trainern nicht immer einfach. Nach dem Zittersieg gegen Algerien und vor dem Viertelfinal gegen Frankreich waren die Abdankungsforderungen der deutschen Medien bereits vorformuliert. Mal spielt diese Nationalmannschaft zu brotlos schön, dann nicht schön genug. Und für einen Titelgewinn halten seine Kritiker Joachim Löw sowieso nicht fähig.

Joachim Löw mit Luiz Felipe Scolari im Arm nach dem Halbfinal-Drama. (Bild: Reuters)

Joachim Löw mit Luiz Felipe Scolari im Arm nach dem Halbfinal-Drama. (Bild: Reuters) (Bild: Reuters/MARCOS BRINDICCI)

Der Mann, so hatte es zwischendurch den Anschein, kann es keinem mehr recht machen.

«Der fremde Deutsche» hat der «Spiegel» diese Woche geschrieben über Joachim Löw, «der konstanteste, modernste und ansehnlichste Bundestrainer der Geschichte». Das deutsche Volk aber verstehe ihn nicht und sehne sich danach, dass die Welt so einfach ist wie früher.

Eigentlich, so das Nachrichtenmagazin, müsse man Joachim Löw «für die Verdienste um sein Land auf den Knien danken». Seine Kritiker aber, listet der «Spiegel» (online nicht verfügbar) auf, mäkeln: «Er trägt die Uhr auf der falschen Seite. Er hat die Haare gefärbt. Die Pullover mit dem V-Ausschnitt. Es liegt an der Nivea-Werbung. Die Stimme. Die Stimme passt nicht zu Erscheinung. Diese Espresso-Trinkerei. Er ist stur, er ist arrogant, er ist hinderwäldlerisch. Er kann sich nicht entscheiden. Hansi Flick. Oliver Bierhoff. Vier Innenverteidiger.»

Und weiter in der Litanei: «Er hat Angsthasenfussball gegen Spanien gespielt. Er hat Angsthasenfussball gegen Italien gespielt. Die Mercedes-Werbung. Das 4:4 gegen Schweden. Er hängt zu sehr an Klose. Er bringt Klose zu selten. Götze, Özil, Kroos. Er ist emotionslos. Er coacht nicht. Er spielt zu sehr wie Spanien. Er sieht von weitem aus wie ein Lego-Männchen. Er spielt zu wenig wie Spanien. Er mag Dortmund nicht.»

Und, und, und.

Der Jogi-Fussball

Löws Vertrag beim DFB läuft bis 2016, aber man ist sich gar nicht mehr so sicher, ob Löw überhaupt so lange mag.

Das kolossale 7:1 gegen Brasilien hat die Wahrnehmung verschoben. Die Berliner «taz», dem Umschalt- und Kombinationsfussball von Löw gegenüber seit jeher aufgeschlossen, schreibt: «Der Mann, der angeblich nicht coachen kann, hat einen mutigen Mix aus Strategie, Balance, Eleganz und Spektakel auf den Platz gebracht.» Insofern definiere der «Jogi-Fussball» diese WM: «Das muss man nun allerdings auch noch dem Gegner im Finale klarmachen.»

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