John Clarkson hat Investitionen versprochen und sich damit einen Trainerposten beim spanischen CD Tudelano gekauft. Speziell? Nicht annähernd so wie die restliche Vita des Schotten: Der 60-Jährige verlor sein Leben fast an den Alkohol, raffte sich aber auf und wurde Sozialarbeiter. Es war der Anfang seiner Trainerkarriere. Eine etwas andere Fussball-Geschichte.
«Schotte kauft sich Traineramt» oder «Schotte zahlt, um zu trainieren»: So lauteten im Januar die Schlagzeilen, als John Clarkson, 60, zum neuen Coach des Club Deportivo Tudelano in der nordspanischen Region Navarra avancierte.
Clarkson arbeitete gratis und versprach 150’000 Euro Investitionen, doch nach acht Partien (drei Siege, drei Remis, zwei Niederlagen) gab er Ende letzter Woche überraschend seinen Rücktritt beim Neuntplatzierten der ersten Staffel der dritten spanischen Liga bekannt.
Den Grund erklärte er in seinem charakteristischen Spanglish: «Der Brexit macht mir mucho problema.» Dabei hat Grossbritannien die EU ja noch gar nicht verlassen. Nicht die einzige Kuriosität im abenteuerlichen Leben eines etwas anderen Selfmade-Man.
Gehen Sie viel in die Kirche?
Nein. Aber ich glaube an Gott.
Er hat es letztlich gut mit Ihnen gemeint.
Christen haben mein Leben gerettet, in Israel am Strand des Roten Meeres. Ich hatte einen Bart bis hier (er zeigt auf seine Beine), keine Kleidung und eine Lungenentzündung. Ich schlief am Strand und dachte, ich würde nie wieder aufwachen. In jener Nacht kamen die Missionare. Sie führten ein christliches Hostel, sie versuchten, Juden zum Christentum zu konvertieren. Sie brachten mich von Eilat in den Norden nach Haifa. Und tauften mich im See Genezareth.
Sie waren schwerer Alkoholiker.
Ich erinnere mich, dass ich so tat, als hätte ich mich verändert. Aber da war nichts. Sie kamen aus allen Teilen der Welt, und als sie wieder gingen, verkaufte ich ihre Sachen – um zu trinken. Schliesslich gaben sie mir 50 Dollar und setzten mich in ein Flugzeug zurück nach England. Mit den 50 Dollar betrank ich mich. Ich endete in einem Haus an einem Ort namens Chichester, West Sussex – mit sechs anderen Verrückten.
Wenn der Glaube Sie nicht bekehrte – was dann?
Ich und dieser andere Typ, Bob, wollten zurück nach Israel. In London nahmen wir den Bus. Wir nannten ihn den «Magic Bus». Wir stiegen ein, natürlich betrunken, es kam zu einer Prügelei an Bord, ich verletzte ein paar Leute, und wir landeten im Gefängnis. Ich dachte, wir wären in Jugoslawien. Als sie uns rausliessen, stellten wir fest, dass es Belgien war. Crazy.
Und dann kauften Sie sich – einen Stadtplan?
Wir betranken uns, und von da an erinnere ich mich an gar nichts mehr. Am Morgen wachte ich auf, in einem Hauseingang, es regnete fürchterlich. Ich dachte, ich wäre in Chichester. Und ich suchte die Kathedrale von Chichester, doch ich sah nur französische Schilder und dachte: «Das ist nicht Chichester.» Also ging ich zum Fährhafen, ich hatte gerade noch Geld für ein Ticket, und als ich wieder in England war, bekam ich Besuch von der Polizei. Wann ich meinen Freund zuletzt gesehen hätte? Ich sagte: «Er war mit mir im Pub, danach erinnere ich mich an nichts mehr.» Sie sagten, «er ist ermordet aufgefunden worden, in Holland.» Ich weiss bis heute nicht, wie er dort gelandet ist.
Ein heilsamer Schock.
Dieser Polizist sagte zu mir: «Warum machst du nicht etwas aus deinem Leben, John?» Ich ging direkt zu einem Entzugscenter. Und seit diesem Moment, der etwa 30 Jahre her ist, habe ich keinen Alkohol angerührt. Ich gehe immer noch zu den Anonymen Alkoholikern und werde es für den Rest meines Lebens tun. An dem Punkt, an dem Bobby Baxter starb, bekam ich ein neues Leben.
«In England bekam ich Besuch von der Polizei. Wann ich meinen Freund zuletzt gesehen hätte? Ich sagte: «Er war mit mir im Pub in Belgien, danach erinnere ich mich an nichts mehr.» Sie sagten, «er ist ermordet aufgefunden worden, in Holland.»
Womit füllten Sie es?
Als ich in Israel war, in der nüchternen Phase bei den Christen, stellten sie mich behinderten Menschen im Westjordanland vor. Die hatten kein Licht, nichts. Ich traf die Gruppe L’Arche, und als ich mit der Sauferei klargekommen war, beschloss ich, mit ihnen zu arbeiten. Ich begann für sechs Pfund die Woche. Um mich besser zu fühlen. Um die Schulden abzuzahlen für die ganze Scheisse, die ich in meinem Leben gebaut hatte.
Auch im Fussball. Sie waren mal ein hoffnungsvolles Talent, das mit 15 Jahren bei Arsenal in der Jugend spielte – ehe Sie mit dem Trinken begannen.
Als ich wieder nüchtern war, fing ich mit dem Fussball wieder an. Aber klar, ich war jetzt fett und nicht mehr gut beieinander. Ich drehte mich einmal und … roto. Kaputt. Die Achillessehne. Das war es also mit der Fussballkarriere. Und weil ich so auch nicht arbeiten konnte, schickten mich die Christen weg, damit ich nicht mehr eines ihrer Häuser belegte. Acht Monate später machte ich mich also wieder auf den Weg. Ich arbeitete trotzdem weiter mit Behinderten. Und lernte meine Frau kennen.
Heute besitzen Sie zusammen sieben Pflegeeinrichtungen.
Als wir heirateten, nahmen wir drei Schwerbehinderte bei uns auf. Sie waren sechs Jahre lang Teil unserer Familie. Da hast du keine Zeit, krank zu werden, und wenn du es wirst, musst du dich trotzdem um sie kümmern. Meine Frau arbeitete als Krankenschwester, ich betreute die Behinderten. Sechs Jahre, 24/7. Mit einer Teilzeithilfe. Die Leute denken, du wirst einfach so reich. Nun, einfach so nicht. Es ist harte Arbeit. Wir nahmen auch Kinder auf, für ein paar Wochen. Bauten einen Swimming Pool mit einem speziellen Lastenzug. Zogen in ein grösseres Haus, alle zusammen mit 13 Leuten. Es ist einfach immer weiter gewachsen.
Wie wurden Sie parallel Trainer?
Ich wollte diesen Swimming Pool bauen, weil Behinderte sich im Wasser frei bewegen können. Also fuhr ich zur Firma eines gewissen Malcolm McMichael in einem Ort namens Storrington, und er sagte: «John, wie wäre es, wenn du meinen Club trainierst, und ich gebe dir dafür alles low-cost, alles Material, das du brauchst?» Die Mannschaft stieg auf und gewann drei Finals. Zu den Auswärtsspielen fuhren wir in unserem Behindertenbus. Eine gute Zeit.
Nach weiteren Engagements in der südenglischen Provinz zogen Sie nach an die Costa Blanca nach Spanien. Wegen des Fussballs?
Wir gingen nach Spanien, weil ich verkrüppelt war. Und ich meine das so: verkrüppelt. Arthritis, Operationen am Kopf, drei an der Wirbelsäule, Titan hier, Metall im Rücken. Wir kamen also wegen des Wetters.
Ihre Trainerkarriere ging mit dem Umzug trotzdem erst so richtig los.
Wir kauften dieses Haus in Benissa, und ich hängte dort ein paar Fotos vom Fussball auf, ich als Trainer und so. Dann stellte sich unser Bauentwickler und Makler als Vizepräsident des Fussballclubs von Benissa heraus. Er sagte, du musst mal beim Fussball vorbei kommen. Seine Sekretärin war Deutsche, sie sprach Englisch und übersetzte alles. Das Problem: Sie waren letzter ihrer Liga (der fünften, d. Red.). Eines Tages kam er und sagte: «John, du bist jetzt entrenador.» Ich: «Hä?» Er: «Komm schon.» Die ersten Trainingseinheiten können Sie sich ja vorstellen, ich sprach kein Wort Spanisch, und zwei Spieler machten sich über mich lustig. Also sagte ich: «Du und du, raus, weg, to the calle» (to the = auf / Englisch und Spanischen: calle = Strasse). Sie gingen zum Vorstand und beschwerten sich. Wie auch immer, ich hielt den Club in der Liga. Und im Jahr darauf wurden wir Meister.
Warum blieben Sie nicht dort?
In Benissa kamen einfach keine Zuschauer. Also landete ich bei Crevillent. Die hatten da ein ziemliches Desaster. Der Ex-Präsident war über Nacht abgehauen. Es gab noch zwei Leute, die zahlten, und ich half auch mit Geld aus, wir waren also drei. Im Januar waren wir Tabellenletzter, ich erinnere mich, wie sie mir von der Tribüne zuschrien: «Clarkson, to the calle, la calle…» Doch am Ende der Saison hatte ich fünf, sechs Spieler ausgetauscht, uns fehlte nur ein Punkt zum Aufstieg und wir erreichten das Viertelfinale in der Copa Federación (Pokalwettbewerb für Vereine ab der dritten Liga, d. Red.), so weit war der Verein noch nie gekommen.
«Mit Ontinyent erreichten wir den Klassenerhalt. Aber am Ende der Saison wurde bei meiner Tochter Krebs diagnostiziert. Also musste ich zurück nach Grossbritannien.»
Trotzdem war es wieder nach einem Jahr vorbei.
Crevillent konnte nichts anbieten, weil die Zukunft immer noch unsicher war. Ich ging zu Catarroja, Valencia. Wir gewannen die Meisterschaft in unserer Staffel der vierten Liga. In der letzten Minute des letzten Spiels schossen wir das entscheidende Tor. Aber die Spieler waren seit einem Jahr nicht mehr bezahlt worden. Der Präsident hatte es versprochen und nie getan. Als wir zum Finale des Aufstiegs-Playoff hier ankamen (Gegner war just Tudelano, d. Red.), waren es 40 Grad und zwei, drei Spieler fetzten sich mit dem Präsidenten im Mannschaftsbus. Das war das Ende in Catarroja. Unmöglich. Die Stadt hatte Geld versprochen, versprochen, versprochen – nichts kam. Sie schuldete dem Club 90’000 Euro. Damals war die Krise in Spanien sehr hart.
Sie persönlich schafften es in die dritte Liga.
Bei Ontinyent, und wir erreichten den Klassenerhalt. Aber am Ende der Saison wurde bei meiner Tochter Krebs diagnostiziert. Also musste ich zurück nach Grossbritannien und dem Verein sagen: «Ich kann es nächste Saison nicht machen.»
Eine ähnliche Situation wie jetzt.
Ich wurde später dann überredet, bei Avilés einzusteigen – im Prinzip als Präsident. Das grösste Desaster meines Lebens. Auf alle Einnahmen galt ein Embargo, sie gingen sofort ans Finanzamt. Über eine Million Euro Schulden, alles wurde sofort gepfändet, der Rasen war nicht bezahlt, die Waschfrauen nicht, nichts war bezahlt, absolut nichts. Selbst die Beiträge der Eltern für ihre Kinder in den Jugendteams, ungefähr 20 Teams, waren weg. Ich dachte, das kann unmöglich gehen. Also zahlte ich allen, was ich zu zahlen hatte. Meinen Teil. Ich sagte, ich gehe hier mit weisser Weste raus.
Waren Sie nicht manchmal desillusioniert?
Ich habe eine Menge gesehen. Ich habe zu viel gesehen. Ich habe hier alles gesehen. Korruption, die Sie nicht glauben würden. Spieler, die Geld angeboten bekamen – ich hatte mal einen Fall bei Ontinyent, da kam ein Spieler zwei Wochen vor einer Partie in mein Büro und sagte: «Mister, Mister, ich hatte da einen Anruf.» Der Anrufer bot dem Spieler 20’000 Euro für einen verschuldeten Elfmeter. 20’000 Euro ist eine Menge für so einen Spieler.
Ein Jahresgehalt in Spanien.
Ja, ja. Ich ging an die Presse damit. Am Tag des Spiels komme ich in die Kabine, schaue alle an und denke: Normalerweise ist es der Torwart und die Verteidiger. Ich fragte, wer hat alles diesen Anruf bekommen? Niemand rührte sich. Nach vier Minuten ging der Torwart verletzt vom Feld, nach zwölf Minuten der Linksverteidiger. Ich? Platzverweis, auf die Tribüne. Doch am Ende spielten wir 1:1. Zu wenig für sie.
«Hier ist alles muy bien. Aber der Brexit hat für viele Probleme gesorgt. Mucho problema.»
Ein moralischer Triumph.
Kann man so sagen. Aber bei allem: In Spanien wird fantastisch Fussball gespielt. Ich hatte nur ein Problem, weil ich nie eine Trainerlizenz hatte. Und ohne die kannst du es in Spanien eigentlich vergessen. Jetzt habe ich sie gemacht, die letzten zweieinhalb Jahre. Ich sagte damals, ich wollte nie wieder trainieren, bis ich mich dem Schiedsrichter entgegenstellen kann, wenn er wieder sagt: to the calle.
Und doch ist es jetzt mit Tudelano schon wieder vorbei.
Alles hier war gut, sehr gut, muy bien. Der Kader, die Leute, der Präsident – er war wie mein Bruder. Das Problem sind meine Residenzen in England, die langen Reisen. Meine Frau hat es letzten Monat gemacht. Mit dem Zug von hier nach Madrid. In Madrid mit dem Taxi zum Flughafen. Flug nach London-Stansted. Wieder Taxi zum Bahnhof. Zug nach Newquay in Cornwall. Anderthalb Tage. Normalerweise wäre das kein Problem. Aber der Brexit hat für viele Probleme gesorgt. Mucho problema.
Mit wem?
Mit den Behörden vor Ort. Du musst kämpfen – es ist wie ein Krieg. Jeden Tag, otro problema. Weil wir unser Unternehmen von einer Partnerschaft in eine Firma überführt haben, eine grosse Firma. Das waren die Probleme, nicht der Fussball. Hier gab es keine Probleme mit dem Fussball, nicht mit den Leuten, den Menschen aus Tudela. Meine Frau war happy. Sie können mir glauben – keine Probleme.
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Die Abschiedsmedienkonferenz von John Clarkson: