Klar glänzte Portugal bei Birkir Bjarnasons Ausgleich nicht mit allerbester Abwehrarbeit. Aber diesen Treffer muss man trotzdem erst mal erzielen. Den isländischen Kommentator versetzt das 1:1 Islands gegen den Gruppenfavoriten jedenfalls in höchste Ekstase.
Cristiano Ronaldo lächelte am Ende der portugiesischen Nationalhymne und nickte ein paar Mal, als ob er sagen wollte: Diesmal wird es endlich mein Turnier. Am Ende des Abends war es freilich erst mal das Turnier von Halldorsson, Sigthorsson oder Bödvarsson. Und von Birkir Bjarnason. Vor allem von Birkir Bjarnason.
Der Spieler des FC Basel schoss in der 50. Minute das erste Tor in der Turniergeschichte Islands. Für die Auswahl einer Nation von gut 300’000 Einwohnern, die am Dienstag in Saint-Étienne nicht nur Fussballgeschichte schrieb als kleinster EM-Teilnehmer aller Zeiten, sondern auf Anhieb für die bisher grösste Sensation der Ausgabe 2016 sorgte. 1:1 gegen Portugal, ein kleines Märchen.
» Interview mit Torschütze Birkir Bjarnason: «Es ist ein Privileg, diesen Treffer erzielt zu haben.»
Klar, in der Qualifikation waren schon zwei Siege gegen die Niederlande gelungen. Beide Male übrigens mit Bjarnason in einer Hauptrolle – er holte pro Spiel jeweils einen Elfmeter heraus. Island qualifizierte sich sogar souverän, debütiert also nicht mal nur wegen der Erweiterung auf 24 Mannschaften. Und natürlich, es gibt immer auch Erklärungen – der Masterplan, den sie vor einiger Zeit für den Fussball auf der Vulkaninsel entwarfen, die vielen guten Coaches, die beheizbaren Spielfelder. Aber im Ernst – 300’000 Leute? Gegen Portugal?
So cool muss man diese Flanke erst mal verwandeln
Während die Isländer einen Punkt feiern, muss Basels Stürmer Marc Janko bei der 0:2-Niederlage gegen Ungarn einen Rückschlag verarbeiten.
Im engen, stimmungsvollen Stade Geoffrey-Guichard wurde Ronaldo schon sein erstes Dribbling nach wenigen Sekunden vom kernigen Kapitän Aron Gunarsson abgegrätscht – gleich Grund zum Jubeln für die rund 8000 isländischen Fans, die locker eine neue Rekordquote aufstellten für EM-Touristen pro Einwohner. Beinahe hätten sie schon in der 3. Minute das historische erste Tor des Neulings feiern können. Gylfi Sigurdsson, ihr bester Fussballer, kam nach einer schnellen Balleroberung auf halblinks allein zum Schuss, doch Rui Patricio parierte stark im kurzen Eck.
Der Rest des Spiels war im Wesentlichen ein portugiesischer Monolog. Die Seleção kombinierte flüssig und brachte es schon bis zur Halbzeit auf zwölf Torschüsse und die Führung durch Nani. «Wir haben nicht brillant gespielt, aber auf gehobenem mittleren Niveau», formulierte Trainer Fernando Santos.
Doch Portugals Vortrag wurde eben auch immer mal von isländischen Kontern unterbrochen. Wie in der 50. Minute: Flanke von Johann Gudmunsson aufs lange Eck, wo Bjarnason frei steht. So cool volley verwandeln wie der Basler Mittelfeldspieler muss man dann trotzdem erst mal.
Die Ekstase des isländischen Kommentators verstehen wir auch ohne Sprachkenntnisse:
BIRKIR BJARNASON!
1-1#EMÍsland pic.twitter.com/Ugbg3XCees— Síminn (@siminn) 14. Juni 2016
«Er ist ein ganz entspannter Typ», sagte Innenverteidiger Kari Arnason über seinen langhaarigen Mitspieler. «Aber im Spiel schaltet er sich an wie ein Duracell-Hase. Er ist so wichtig für diese Mannschaft, mit seinem Arbeitsethos und seiner Ruhe am Ball, dazu ist er immer torgefährlich. Ein absoluter Schlüsselspieler für uns, auf demselben Level wie Sigurdsson.»
Während Portugals Trainer Fernando Santos entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlug, waren Islands Fans nach dem Ausgleich endgültig im Rausch. Schon vorher hatten sie sich ihren Spass gemacht, und sei es über gelegentliche Fehler von Ronaldo oder Pepe. «Einen effizienten Schauspieler» und «einen weiteren, der in Hollywood arbeiten könnte» – so hatte einer von Islands zwei Trainern, der Schwede Lars Lagerbäck, das Duo von Real Madrid vor ein paar Tagen eingedenk mancher Einlage im jüngsten Champions-League-Finale bezeichnet.
«Ronaldo ist einfach nur ein schlechter Verlierer»
Ronaldo und Island – das passt nicht so recht zusammen. Im hektischen Anrennen der Portugiesen vergab der dreifache Weltfussballer mit einem Kopfball aus fünf Metern gegen den starken Halldorsson im Tor die grösste Chance und mit einem Freistoss in die Mauer auch die letzte.
Frustriert flüchtete er sich später in eine beleidigte Arroganz: «So, wie sie gefeiert haben, dachte ich, sie hätten die EM gewonnen, unglaublich. Sie haben nicht versucht zu spielen, sondern nur verteidigt, verteidigt, verteidigt. Das zeigt eine kleine Mentalität, sie werden sie in diesem Turnier nichts reissen.»
Kleine Mentalität? Nichts reissen? Damit konfrontiert mussten bei den Isländern die einen herzlich lachen und die anderen mühsam ein paar Schimpfwörter unterdrücken. Gerissen hatten sie ja gerade eine ganze Menge, auch wenn kurz vor dem Ende durch eine von Rui Patricio erneut glänzend parierte Chance des eingewechselten Alfred Finnbogasson sogar die Chance zum Sieg gab. Und klein?
Ja, natürlich klein. 300’000 Leute. «Was erwartet er denn?», fragte Kari Arnason. «Dass Island gegen ihn wie Barcelona spielt? Er ist einfach nur ein schlechter Verlierer.»
Auch wenn es prächtig aussieht: Die Aktionen Ronaldos versandeten gegen Island im Nichts. (Bild: Reuters/Kai Pfaffenbach)