Deutschland muss warten, jetzt stellt sich erst einmal Polens Nationalteam im EM-Achtelfinal vom Samstag (15 Uhr) in Saint-Étienne den Schweizern in den Weg. Xherdan Shaqiri spricht von einer «schweren, aber lösbaren Aufgabe», und Polens Coach Adam Nawalka sorgt sich nicht, dass sein Star Robert Lewandowski noch nicht getroffen hat.
Es hätten schöne Geschichten erzählt werden können über den Clash Schweiz–Deutschland. Über die kleine Alpennation und den grossen nördlichen Nachbarn. Ein Fussballduell, auf das vielleicht in Deutschland weniger hingefiebert wird, als es in der Schweiz sehr wohl getan wird.
Wie eine ungestillte Sehnsucht ist dieses Aufeinandertreffen, das es in einem Wettbewerb seit einem halben Jahrhundert nicht mehr gegeben hat. Das letzte Mal war an der WM 1966, und damit jährt sich gerade zum fünfzigsten Mal die berühmt-berüchtigte «Nacht von Sheffield», ein Ausflug von Köbi Kuhn und Konsorten und die 0:5-Klatsche im Startspiel gegen Deutschland.
Sa, 25.6., 15 Uhr
Schweiz–Polen
Mo, 27.6., 18 Uhr
Italien–Spanien
Schweiz gegen Deutschland – das ist essenzieller Teil der Länderspielgeschichte beider Nationen. Das erste Länderspiel der Deutschen fand in Basel gegen die Schweiz statt, nach beiden Weltkriegen waren es die Schweizer, die auf sportlicher und damit auch politischer Ebene dem Nachbarn die Hand reichten und gegen dessen Auswahl antraten.
Solche Geschichten hätten es werden können und über das lange Warten auf einen Sieg auch, wenigstens in einem Freundschaftsspiel. 56 Jahre dauerte es, ehe dieser der Schweiz unter Ottmar Hitzfeld gelang. Ein Spiel, in dem die Deutschen auf der Durchreise zur Euro 2012 Zwischenstation in Basel einlegten und in einer ziemlich verrückten Partie 3:5 unterlagen.
Shaqiri: «Hätte auch lieber gegen Deutschland gespielt»
Als am Dienstagabend klar war, dass der Gegner in den Achtelfinals anders, nämlich Polen heisst, traf Xherdan Shaqiri im SRF-Interview wahrscheinlich den Schweizer Nerv: «Ich hätte auch lieber gegen Deutschland gespielt.» Das klingt aus sportlicher Sicht zwar fast ein bisschen nach Todessehnsucht, denn der Weltmeister ist natürlich eine der grössten anzunehmenden Herausforderungen an dieser Euro 2016. Auch wenn er in Frankreich noch nicht restlos überzeugt hat.
13 Mal traf er in der Qualifikation, in Frankreich läuft er aber noch dem ersten Tor hinterher: Robert Lewandowski (rechts), hier im Spiel gegen Weltmeister Deutschland und Toni Kroos. (Bild: Keystone/SRDJAN SUKI)
Aber aus Shaqiri spricht jenes Selbstbewusstsein, das etwa auch sein Teamkollege Granit Xhaka vor sich herträgt: «Wenn man weit kommen will, muss man auch durch die Deutschen durch.» Nun muss die Schweizer Nationalmannschaft in Frankreich sehr weit kommen: Erst im Endspiel am 10. Juli ist ein Aufeinandertreffen wieder möglich.
«Eine schwere, aber lösbare Aufgabe»
Bis Samstag, 15 Uhr, und zum Anpfiff im Stade Geoffroy-Guichard von Saint-Étienne haben Shaqiri und Co. nun Zeit, um sich auf die neue Aufgabe einzustellen. Und Shaqiri sagt über die Polen: «Eine schwere, aber lösbare Aufgabe.» Auch das klingt nicht kleinmütig, im Pep-Guardiola-top-top-Duktus preist Shaqiri dann aber den Gegner: «Eine Top-Mannschaft, die seit zwei, drei Jahren Top-Fussball spielt und Spieler aus Top-Ligen hat.»
» Der einzige Schweizer Sieg gegen Polen liegt 40 Jahre zurück
Mit Polens Superstar Robert Lewandowski hat Shaqiri bei Bayern München zusammengespielt, und der Schweizer schwärmt über die polnische Tormaschine in höchsten Tönen: «Er ist nicht nur ein super Typ, er läuft auch viel und kämpft für die Mannschaft. Es wird schwierig, ihn zu stoppen, aber ich glaube an unsere Verteidiger.»
Ohne grosse Relevanz: Die magere Bilanz gegen Polen
Dass die Schweizer gegen die Polen eine magere Länderspielbilanz (ein Sieg, fünf Remis, vier Niederlagen) aufweisen, wird nicht weiter ins Gewicht fallen, dafür liegt der Grossteil dieser Begegnungen zu weit zurück.
Beim jüngsten Aufeinandertreffen, am 18. November 2014, lieferten sich die beiden Teams in Wroclaw ein für Testspielrelationen geradezu atemberaubendes 2:2. Nimmt man diese Partie als Massstab, könnte der Samstag in St-Étienne zu einem Spektakel werden.
Polen–Schweiz 2:2 (1:1)
Miejski, Wroclaw. – 40 133 Zuschauer. – SR Jakobsson (Isl).
Tore: 4. Drmic (Shaqiri) 0:1. 45. Jedrzejczyk 1:1. 61. Milik 2:1. 87. Frei (Seferovic) 2:2.
Polen: Boruc (46. Fabianski); Olkowski, Cionek, Glik, Jedrzejczyk; Krychowiak (68. Teodorczyk), Jodlowiec; Kucharczyk (53. Zyro), Zielinski (46. Milik), Rybus; Lewandowski (63. Mila).
Schweiz: Bürki; Lang, Schär, von Bergen, Moubandje; Fernandes (62. Frei), Inler (46. Behrami), Kasami (68. Seferovic); Shaqiri, Drmic (77. Schönbächler), Stocker (62. Mehmedi).
Bemerkungen: Polen ohne Blaszczykowski, Grosicki, Piszczek, Wawrzyniak (alle verletzt) und Szczesny (geschont); Schweiz ohne Dzemaili, Lustenberger, Rodriguez, Senderos, Widmer, Xhaka (alle verletzt), Lichtsteiner und Sommer (beide geschont), Hitz, Mvogo, Djourou (nicht eingesetzt). 750. offizielles Länderspiel der Schweizer Fussballgeschichte. Erstes Länderspiel von Roman Bürki. 50. Länderspiel von Gelson Fernandes. 77. Schuss Miliks an den Torpfosten. – Platzverweis: 83. Zyro (Gelb-Rote Karte nach Foul). – Verwarnungen: 36. Jodlowiec (Foul). 60. Bürki (Foul). 65. Zyro (Foul). 66. Mila (Foul). 70. Broz (Unsportlichkeit). 81. Schönbächler (Foul).
Durch die Qualifikation, für die Schweizer phasenweise eine Mühsal, sind die Polen mit einem aufsehenerregenden Sieg gegen den frischgebackenen Weltmeister Deutschland marschiert. Sie mussten sich am Ende zwar doch mit Platz zwei begnügen, sie verloren aber nur das Rückspiel gegen Gruppensieger Deutschland, sie erzielten 33 Treffer und 13 davon Lewandowski, der damit der beste Torschütze der Ausscheidung war.
Die Formkurve der beiden Teams an diesem Turnier weist Parallelen auf. Beide sind ungeschlagen, die Polen sind noch ohne Gegentor und die Schweizer kassierten ihr einziges durch einen Penalty.
«Lewandowski ist unsere Lokomotive»
Die Polen gewannen zum Auftakt in einem mauen Spiel 1:0 gegen Nordirland durch ein Tor des 22-jährigen Arkadiusz Milik von Ajax Amsterdam. Dann trennten sie sich von einem mauen Weltmeister Deutschland torlos, und gegen die Ukraine begnügten sie sich wieder mit 1:0-Minimalismus und einem Tor von Jakub Blaszczykowski (Fiorentina).
Das einzige Tor der Polen beim 1:0 gegen Nordirland:
Und Superstar Lewandowski? Hat sich bisher eingereiht in die bis dato noch nach einem persönlichen Erfolgserlebnis suchenden Superstarkollegen Cristiano Ronaldo, Zlatan Ibrahimovic oder auch Thomas Müller. Was Adam Nawalka nicht weiter beunruhigt. Im Anschluss an das Ukraine-Spiel sagte er: «Dass Robert Lewandowski noch nicht getroffen hat, ist kein Problem für uns.»
Der Nationaltrainer, 58-jährig und seit Oktober 2013 im Amt, lässt keinerlei Zweifel an seinem Captain aufkommen: «Er arbeitet hart und aufopferungsvoll und ist unglaublich wichtig für die Mannschaft. Er ist unsere Lokomotive, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er sein Tor macht. Ich glaube, er wird im nächsten Spiel treffen.» Das wäre dann gegen die Schweiz.
Polens Trainer bezeichnet die Schweiz als «eine der interessantesten Mannschaften».
Über die sagt Nawalka, einst selbst 34-facher Nationalspieler und WM-Teilnehmer 1978: «Die Schweiz spielt Fussball auf einem hohen Niveau und ist eine der interessantesten Mannschaften dieses Turniers.»
Wie man gegen Polen zu Chancen kommt – und dann das 0:1 kassiert, wie die Ukraine:
Dass die Schweizer zwei Tage mehr Ruhezeit haben vor dem Achtelfinal? «Macht keinen Unterschied», sagt Nawalka, «wir sind gut vorbereitet zu diesem Turnier gekommen.» Dass ihm der junge Mittelfeldspieler Bartosz Kapustka gelb-gesperrt gegen die Schweiz fehlen wird? Geschenkt.
Dafür kündigte der Trainer bereits Dienstagabend an, dass der Ex-Dortmunder und aktuelle Fiorentina-Spieler Jakub Blaszczykowski – gegen die Ukraine erst zur zweiten Halbzeit eingewechselt und Siegtorschütze – am Samstag in der Startelf stehen wird: «Er ist sehr erfahren und hat mit seinem Tor unterstrichen, dass er grossen Einfluss auf unser Spiel hat. Er hat noch viele grosse Spiele vor sich und wird gegen die Schweiz beginnen.»
Natürlich spricht Nawalka pflichtbewusst: «Es erwartet uns ein schwieriges Spiel.» Er hat eine Trainerkarriere von der Pike auf hinter sich und war von 2007an ein Jahr lang Assistenztrainer im Nationalteam unter Leo Beenhakker. In der Qualifikation zur WM 2014 gescheitert, hat Nawalka das Team erstmals in eine K.o.-Runde einer Europameisterschaft geführt. So wie Vladimir Petkovic auch die Schweizer.
Nach der grossen Ära mit dem dritten Platz an der WM 1974, dem Erreichen der Zwischenrunde vier Jahre später, dem erneut dritten Platz an der WM 1982 in Spanien und dem WM-Achtelfinal 1986 schickt sich Polen und die Generation Lewandowski nun an, ein neues Erfolgskapitel zu schreiben. «Wir haben Vertrauen in unser Spiel», sagt Nawalka und beschäftigt sich fortan mit dem der Schweizer: «Mein Staff hat Material gesammelt, und wir wissen bereits viel über sie.»