Löws Sorgen, Lahms Appell

Bei der EM-Nominierung der deutschen Nationalmannschaft bleiben Sensationen aus. Allerdings macht sich Joachim Löw Sorgen um die kurze Vorbereitungszeit für die Spieler von Bayern München – immerhin ein Viertel seines Kaders.

Joachim Loew, coach of Germany's national soccer team addresses the media during a news conference to announce their squad for the upcoming Euro 2012 tournament, in Rastatt, May 7, 2012. Schalke 04's teenage midfielder Julian Draxler, 19, won a surprise c (Bild: Reuters/KAI PFAFFENBACH)

Bei der EM-Nominierung der deutschen Nationalmannschaft bleiben Sensationen aus. Allerdings macht sich Joachim Löw Sorgen um die kurze Vorbereitungszeit für die Spieler von Bayern München – immerhin ein Viertel seines Kaders.

Wer von der Autobahn A5 zum Rastatter Mercedes-Benz-Werk will, fährt erst einmal an Streuobstwiesen vorbei. Aus dem nahen Wald duftet es nach Bärlauch. Dann steht man vor einer Autofabrik. Der für die Nominierung des vorläufigen Kaders für die Euro 2012 hatte also nicht viel gemein mit dem Brimborium, das noch vor vier Jahren auf der Zugspitze betrieben wurde. Ein paar einleitende Worte gab es beim Sponsor der deutschen Nationalmannschaft zu hören, einen kurzen Imagefilm. Wenige Sekunden später bekommen die Journalisten ein schmuckloses Din-A-4-Blatt in die Hand gedrückt, auf dem die 27 Auserwählten stehen, die am Freitag mit der DFB-Crew nach Sardinien fliegen.

Sensationen sind ausgeblieben. 15 Akteure waren bereits an der WM 2010 dabei, und Löw vertraut weiter seinen Alphatieren Miroslav Klose und Per Mertesacker, obwohl sie monatelang verletzungsbedingt ausfielen. Von den Spielern, denen er eine gewisse Zeit einen Vertrauensvorschuss einräumte, fehlen hingegen der Leverkusener Simon Rolfes und Dennis Aogo vom HSV, an dessen Stelle der Dortmunder Marcel Schmelzer zum Zuge kommt. Die Personalie kann durchaus als Grundsatzentscheidung interpretiert werden. Denn, wenn das DFB-Team in einem Mannschaftsteil Probleme hat, dann am ehesten in der Abwehr. Und der Dortmunder hat gegenüber dem offensivstarken Aogo das Prä, in der Defensivarbeit einen Tick solider zu sein.

Mit Draxler und Gündogan

Die ein oder andere Überraschung birgt das vorläufge Kader allerdings schon. Stürmer Patrick Helmes, der zuletzt in Wolfsburg in elf Spielen in Folge traf, wird zwar gelobt («hat hervorragende Leistungen gezeigt»), an seiner Stelle darf dennoch der Stuttgarter Cacau mitfahren. Der Teamchef begründet das mit den unterschiedlichen Stärken der beiden Angreifer. Während Helmes eher ein klassischer Konterstürmer sei, der seine Stärken am besten entfalten könne, «wenn er etwas Platz hat», sei Cacau «auch im Verein» in der Jokerrolle erprobt und auf engem Raum stärker. Und genau den erwartet er dem Vernehmen nach bei einigen EM-Spielen, in denen der Gegner versucht sein könnte, sich gegen einen der EM-Favoriten hinten rein zu stellen.

Auch mit der Nominierung des Dortmunders Ilkay Gündogan («zuletzt starke Monate») und des Schalkers Julian Draxler war nicht unbedingt zu rechnen. Der 18-Jährige hat es Löw ob seiner Schnelligkeit und seiner Spielintelligenz angetan, er werde durch die Nominierung «noch einmal einen Schub bekommen». Dennoch dürfte der Mittelfeldmann einer der Spieler sein, die bei der endgültigen Kadernominierung am 29. Mai zu den Streichkandidaten zählen. Dann muss Löw 23 Spieler benennen.

Insgesamt nominierte Joachim Löw gleich vier Torhüter (Manuel Neuer, Tim Wiese, Ron-Robert Zieler, Marc-André ter Stegen), was zumindest insofern überraschend ist, als die Trainingsperiode auf Sardinien, bei der die Ehefrauen und Freundinnen der Spieler dabei sein werden, eher der Regeneration und dem Teambuilding dient. Fundamentale Erkenntnisse, wer perspektivisch die Nummer zwei hinter dem wohl dauerhaft gesetzten Manuel Neuer wird, sind also eher nicht zu erwarten.

Der verhinderte Bayern-Block

Der aus fünf Spielern (Ilkay Gündogan, Mats Hummels, Sven Bender, Mario Götze, Marcel Schmelzer) bestehende BVB-Block stößt am 15. Mai zum DFB-Tross, einen Tag später kommen die beiden Madrilenen Mesut Özil und Sami Khedira hinzu. Hingegen sind die Bayern-Spieler wegen des Champions-League-Finales bis zum 25. Mai gebunden, inklusive Innenverteidiger Holger Badstuber, der, wie Löw berichtete, auf «Wunsch von Holger und Jupp Heynckes» beim Verein bleibt, obwohl er fürs Endspiel gegen Chelsea gesperrt ist.

Löw lamentierte in Rastatt nicht lange über den misslichen Umstand. Die Dinge sind ja nicht zu ändern. Da der Bayern-Block aber acht der 27 Akteure, also mehr als ein Viertel, umfasst, lässt sich nachvollziehen, dass Löw mehrfach von einer «schwierigen Situation» sprach bei der Mission, erstmals nach 16 Jahren (Europameister in England unter Berti Vogts) wieder einen grossen Titel zu holen.

Lahms Appell an Platini

Eine solche herrscht bekanntlich auch im EM-Gastgeberland Ukraine, wo der inhaftierten Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko eine ärztliche Behandlung im Ausland verwehrt wird. Er befürworte es ausdrücklich, so Löw, wenn seine Spieler, die allesamt «mit offenen Augen durch die Welt laufen», ihre Meinung sagen. So wie es Philipp Lahm im aktuellen «Spiegel»-Interview tut. Dort hat der DFB-Captain klare Äußerungen von Uefa-Präsident Michel Platini angemahnt.

Die EM beginnt für Deutschland am 9. Juni in Lwiw gegen Portugal. Weitere Gruppengegner sind Holland (13. Juni) und Dänemark (17. Juni). Zuvor, am 26. Mai, bestreitet die DFB-Auswahl in Basel (18.00 Uhr, St.-Jakob-Park) ein Testspiel gegen die Schweiz.

14. Europameisterschaft vom 8. Juni bis 1. Juli 2012 in Polen und der Ukraine

Deutschland, vorläufiges 27-köpfiges Aufgebot
Tor: Manuel Neuer (Bayern München), Marc-Andre ter Stegen (Borussia Mönchengladbach), Tim Wiese (Werder Bremen), Ron-Robert Zieler (Hannover 96)
Abwehr: Jerome Boateng, Holger Badstuber, Philipp Lahm (alle Bayern München), Per Mertesacker (FC Arsenal), Mats Hummels (Borussia Dortmund), Benedikt Höwedes (Schalke 04), Marcel Schmelzer (Borussia Dortmund)
Mittelfeld: Mesut Özil, Sami Khedira (beide Real Madrid), Toni Kroos, Thomas Müller, Bastian Schweinsteiger (alle Bayern München), Marco Reus (Borussia Mönchengladbach), Mario Götze, Ilkay Gündogan (beide Borussia Dortmund), Sven Bender (Borussia Dortmund), Lars Bender (Bayer Leverkusen), Andre Schürrle (Bayer Leverkusen), Julian Draxler (Schalke 04), Lukas Podolski (1. FC Köln)
Angriff: Cacau (VfB Stuttgart), Mario Gomez (Bayern München), Miroslav Klose (Lazio Rom)

Der Spielplan zum Download

 

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