Bei der offiziellen Präsentation strotzte der frischgebackene Chefcoach des FC Barcelona vor Enthusiasmus. Für Luis Enrique ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Quasi als Gegenleistung kündigt er ein «neues Barça» an, das «wieder träumen lässt».
Es war ein grauer, fast düsterer Tag in Barcelona, aber als Luis Enrique Martínez am Morgen sein Fenster öffnete, habe er «eine strahlende Sonne» gesehen.
Für den 44-jährigen Fussball-Trainer hätte wahrscheinlich auch ein Hagelsturm niedergehen können, er hätte sich trotzdem sofort ins Auto gesetzt und wäre ins Camp Nou gefahren. Immer seine grosse, persönliche Sonne im Blick: «Ich dachte: Madre mia, wie grossartig, heute werde ich Trainer von Barça!»
Ein Optimist für ein müdes Barça
Der Enthusiasmus für die neue Aufgabe quoll dem Asturianer immer noch aus jeder Pore, als er am Mittag offiziell präsentiert wurde. Nach der Unterschrift und Fototerminen im Stadion folgte die Vorstellung vor der Presse, eingeleitet von einem dieser Videos. Luis Enrique als Spieler, Luis Enrique als Trainer. Jubelnd, lachend. Unterlegt von dem Song: «Everything shines». Alles strahlt.
Er ist so ein Typ, voller Adrenalin und Optimismus, und schon deshalb erst mal genau der richtige für eine zuletzt deprimiert bis apathisch wirkende Mannschaft.
Weitere Einstellungsargumente: Als offensiver Mittelfeldspieler brachte er es zwischen 1996 und 2004 auf 300 Spiele für Barcelona und bis zum Kapitän. Zwischen 2008 und 2011 trainierte er Barça B, die zweite Mannschaft, die er auf Platz drei der zweiten Liga führte, ihrem besten Ergebnis aller Zeiten. Nach einem mässig erfolgreichen Intermezzo bei der AS Roma heuerte er letzten Sommer bei Celta de Vigo an und führte den Verein auf einen achtbaren neunten Platz.
Beinahe wäre es 2013 schon Barça geworden, doch Ex-Präsident Sandro Rosell bevorzugte dann den Argentinier Gerardo Martino.
«Vergleicht mich nicht mit Pep!»
Nach dem Experiment mit einem Mann von aussen, das in einer titellosen Saison und allgemeiner Unzufriedenheit über den sinkenden Wiedererkennungswert des Barça-Spielstils geendet hat, erfreut sich der Entscheid für einen Mann des Hauses breitester Zustimmung. Im besten Fall soll es so laufen wie bei Pep Guardiola, der das bis heute gültige Idealbild eines Barça-Teams formte, als er 2008 von der zweiten zur ersten Mannschaft aufstieg (und seinen Platz an Luis Enrique weitergab).
Beide gehören zur selben Generation, haben 1992 zusammen die Olympische Goldmedaille gewonnen, lange zusammen gespielt und später zusammen den Trainerschein gemacht. Sie sind bis heute befreundet. Gestern schickte Luis Enrique eine «dicke Umarmung» nach München, bat aber gleichzeitig: «Vergleicht mich nicht mit Pep!»
Tatsächlich teilt Luis Enrique zwar grundsätzlich dieselbe Spielidee wie Guardiola, nuanciert sie aber durchaus anders. Der ästhetische Purismus wird bei Luis Enrique notfalls auch mal geopfert.
Als Trainer eilt Luis Enrique der Ruf eines harten Hundes voraus.
Das Wichtigste sind ihm Einstellung und Leidenschaft. Eben die Attribute, für die er auch während seiner Spielerkarriere stand, welche die ungewöhnliche Wendung von Real Madrid zum FC Barcelona nahm. Nach fünf Jahren in der Hauptstadt hatte Luiz Enrique wegen Vertragsstreitigkeiten die Seiten gewechselt und sich in Katalonien als glühender Vorkämpfer etabliert. Für Reals Fans ist er deshalb noch heute ein dunkelrotes Tuch. Für die Clásicos bringt das zusätzliche Brisanz.
Als Trainer eilt Luis Enrique der Ruf eines harten Hundes voraus. Auch dieser Umstand gilt in Barcelona als hochwillkommen, zumal dem Team bisweilen Selbstgefälligkeit attestiert wurde und dieses – über die bereits vollzogene Verpflichtung von Torwart Marc-André Ter Stegen hinaus – vor einem Umbruch auf etlichen Positionen steht.
Kaum personelle Änderungen im Kader
«Wer bei Barça spielt, muss wissen, dass es schnell vorbei sein kann, wenn er das Niveau nicht erreicht», sagte Luis Enrique gestern mit seiner immer leicht heiseren Stimme. Anders als Guardiola, der bei seiner Antrittsrede die Ausbootung von Ronaldinho, Deco und – des später «begnadigten» – Eto’o verkündete, nannte er jedoch keine Namen.
Auffällig war bloss das fehlende Bekenntnis zum alternden Spielmacher Xavi: «Wir werden uns hinsetzen und schauen, was für beide Seiten das Beste ist». Im Fussball bedeuten solche Formulierungen bekanntlich oft den Anfang vom Ende.
Auf zu neuen Träumen
Blumen gab es hingegen für Lionel Messi, der nach zuletzt leichter Kritik bei seiner Ankunft im heimischen Argentinien schmollend zu Protokoll gab: «Wenn man mich nicht mehr will oder an mir zweifelt, habe ich kein Problem damit zu gehen.»
Luis Enrique zeigte sich demgegenüber «hocherfreut, den besten Spieler der Welt im Kader zu haben» und zuversichtlich, «dass er bei mir seine beste Version wieder findet». Vielleicht hilft es ja, dass fortan ein Psychologe fest zum Trainerteam gehören wird.
Ansonsten dürfen sich die Spieler auf eine harte Saisonvorbereitung, erhöhte Anforderungen an Disziplin und Pünktlichkeit sowie vollen Einsatz in jeder Trainingseinheit gefasst machen. «Ab heute schaffen wir ein neues Barça», sagte der neue Coach feierlich. «Eines, das wieder träumen lässt.»