Lumpenlieder und andere Fiesheiten

Heiss sind die Fans des FCB auf das Spiel und heiser danach. Korrekt geht es nicht zu, wenn gesungen und skandiert wird. Eine subjektive Reise durch die Basler Stadionakustik der letzten 20 Jahre.

Damals Folklore, heute ein Politikum: Marsch von Basler Fans durch Berns Innenstadt zum Cupfinal 1970. (Bild: RBA/StAAG)

Heiss sind die Fans des FCB auf das Spiel und heiser danach. Korrekt geht es nicht zu, wenn gesungen und skandiert wird. Eine subjektive Reise durch die Basler Stadionakustik der letzten 20 Jahre.

Mitsingen ist gar nicht so einfach: gefühlte 14 Strophen, Lokalkolorit in Inhalt und Dialekt, Melo­dien, die von möglichst wenigen anderen Kurven gesungen werden. Nicht einmal FCB-Captain Marco Streller kann sein erklärtes Lieblingslied selber singen. Bei «Sait dr Babbe zu sim Sohn: Hüt kunnsch mit ins Stadion» müssen ihm die Fans auf dem Barfi schon nach ein paar Zeilen weiterhelfen.

Aber auch wenn es schwierig ist: Wer mittendrin steht, ist aufgefordert mitzugrölen. Eine Diskussion von Wortwahl und Inhalten wäre fehl am Platz. «Si singe au, wenn s miehsam isch und nit nur wenn sie wänn.» Das kann anstrengend sein. Und es ist manchmal traurig, bitter, besonnen oder besoffen. Aber immer schön. Zumindest in der Retrospektive.

Kopierte Melodien, bekannte Texte

Früher war es einfacher, den FCB akustisch zu unterstützen. «Olé, super FCB.» Die Fans sangen im Joggeli lange, was auch anderswo gesungen wurde. Kopierte Melodien, bekannte Texte. «Super Basel.» Oder «Oh Schiri, du Arschloch eeehee, ohoo!» Reime, rassistische Rufe oder ansteckende Chöre wurden einfach importiert. Oft aus Deutschland, davon zeugt die Sprache.

Der Text ­erscheint auch im Fussballheft «Zwölf», einer begleitenden Sonderpublikation zum Thema ­Fankultur, dessen sich das FCZ-Museum mit der Ausstellung «Fankultur – Szenen aus dem Stadion» und einer breit angelegten Veranstaltungs­reihe von Oktober bis März 2013 annimmt (siehe Rückseite diese Beitrags).

«Wir bauen eine U-Bahn von Luzern bis nach Auschwitz» war zu Beginn der 1990er-Jahre erschreckend laut zu hören. Oder: «Schiri, wir wissen wo dein Auto stand, es hat gut gebrannt, es hat gut gebrannt.» Auch: «Wir kommen aus der Tiefe, wir kommen aus dem Schacht. Und unser FC Basel ist eine Fussballmacht.» Später von der Insel: «We love you Basel, we do.»

Mit den Ultra-orientierten Fangruppen kamen die Capi, die Einheizer, bald mit Megafon, später gar mit fix installierter Lautsprecheranlage. Sie förderten das Einbaslern fremder Gesänge. «Stöhnd uff, wenn ihr Basler sind», zum Beispiel. Abgekupferte ­Chöre aus dem Norden galten bald als uncool. «Gebt mir ein ‹U›!» Das «Uffta» ward schon seit ewig – ungefähr 2006 – nicht mehr im Stadion gehört. 2012 gibt es das höchstens noch bei den Kutten in Düsseldorf oder im Stade de Suisse.

Die Lieder sind oft
selbstherrlich und
gefärbt von der Kurvenpolitik

Auch die spontanen Chöre sind seltener geworden. Die Gegentribüne auf dem Bahndamm, seit dem Stadionneubau Sitzplatzzone, wurde stiller. Manchmal pfeift es vom Bahndamm auch nur.

Dafür textet die Kurve umso bunter. Mit den aktiven Fans kam viel Kreativität ins Stadion. Vermehrt entstanden eigene Lieder. Südamerika oder zumindest Südeuropa wurden die neuen Inspirationsgebiete. Junge Kurvensoldaten lernen die Texte von den älteren. Der urbane Basler Trend-Ultra schreit kaum noch unkontrollierten Wahnsinn, die Lieder sind ­immer durchdachter. Sie sind oft kurvenpolitisch gefärbt, selbstherrlich und scheintraditionell. Und genau ­darum singen sie sich so fantastisch – wenn man sie einmal kennt.

Lieder lernt man auf üblen Auswärtsfahrten

Lieder merkt man sich nicht konsumierend auf der «Scheisstribüne!». Lieder merkt man sich auf üblen Auswärtsfahrten. «Und fahre mir au no so wit, für uns isch das e schöni Zyt.» Nach ein paar Stunden Busfahrt stellt sich automatisch ein gewisser Wahnsinn ein, aus der heterogenen Reisegruppe wird eine Leidensgemeinschaft. Der Chauffeur soll seine Passagiere «bitte, bitte in den Tod fahren». Oder nach Monaco: Der ganze Bus mit Sprung in der Platte.

Stundenlang «Uff los goht’s los», warmes Bier, schlechte Luft, WC-Häuschen verstopft. Und: «Wär schlooft, isch e Hueresohn», sowieso. Im Zug werden Songs aus Spielchen geboren oder aus der Euphorie heraus. Oder die Bier­seligkeit ist schuld. Manche Lieder werden auch im Saal 12, dem Basler Fanhauptquartier, erarbeitet und dann in die Kurve getragen.

Es gibt Situationen,
da passen die
Lumpenlieder einfach

Die besten Songs sind aber die spontanen, die fiesen, die doofen. Jene, die es nur selten über den Insiderstatus einer exotischen Auswärtsfahrt schaffen. Sie kratzen so schamlos an der moralischen, juristischen oder geschmacklichen Grenze, dass sich nur wenige davon eignen, um den Nachwuchs in den Schlaf zu singen. «Stanic, Stanic, Stanic! Bitte, bitte! Fahr den Mannschaftsbus!»

Es gibt Situationen, da passen diese Lumpenlieder einfach besser als jeder Stadionschlager. Dreizehn wilde Jungs singen «Frère Jacques» in einem Lissaboner Café – im Kanon. Aus der Gepäckablage des Nachtzuges nach Cluj meldet sich Adi mit der neuen Strophe eines Discohits, den seit 1986 keiner mehr gesungen hat. In der arroganten Westlerrolle wird in Bukarest oder ­Sofia ein alter deutscher Hauer-Slogan abgebrochen und damit eben aufs Korn genommen: «Wir! Wollen! Alles! Kaputt … oh, scho z spot.»

Gut ist, was provoziert

Im Verständnis einiger Fussballfans ist grundsätzlich gut, was provoziert. Das können einzelne Worte sein, historisch aufgeladen, politisch aktuell oder von exotischem Wortlaut. Beschämend oft gebrüllt ohne dazu­gehöriges Wissen oder Verständnis. Erschreckend häufig als traditioneller Schlachtruf verteidigt. Neger, Juden, Nazis, Weltkriegsverlierer, Schwule, Vergasen, Splitterbomben, Heckenschützen, Aschewolke, Aarauer. ­Chauvinismus scheint Teil der Kultur zu sein. Nicht wenige sagen: «Weil das schon immer so war.» Ihre Stimmen werden weniger.

Aber: Ein gegnerischer Spieler an der Seitenlinie beim Cupmatch in der Provinz ist ein «Schwullé». Und auf den FC Servette könnte man verzichten: «Schenkt sie den Franzosen!» Dem dunkelhäutigen Kameruner wird in Erinnerung gerufen: «Hervé Tum, du hast den längsten Schwanz.» Und auf Jacques Zoua reimt sich die intellektuelle Silbenfolge «oua-oua-oua». Wen wundert es? Beni Huggel macht an der Meisterfeier Witze über die fremdländischen Namen seiner Mitspieler.

Die machoide Textgestaltung hat – nicht nur in Basel – Tradition. Frauen sind Randfiguren. Dr Babbe nimmt den Sohn mit ins Stadion, d Mamme bleibt an der Türe stehen. Oder eben Lustobjekte: «Basler Frauen, Basler Bier, FCB wir steh’n zu dir!» Das konnte 1995 noch als liebenswürdig «kuttig» durchgehen. «Lueg die Schnitte, die Schnitte. Het riese Titte, die Schnitte. Ych will sie figge, die Schnitte. Super FCB!» Durch die Ergänzung am Schluss knapp noch als Fussballlied zu erkennen, haben den Chant wohl nie mehr als fünf, sechs Schnapsnasen gleichzeitig gegrölt.

Eine Frau im FCB-Vorstand sorgte ab 1999 für einen Klassiker: «Gigi, Oeri, läng mr an d Banane, schalalalalala!» Hunderte Männerkehlen wünschten sich, was dann tatsächlich geschah. Die finanzielle Unter­stützung der Mäzenin machte aus einem schlaffen FCB wieder eine stramme Nummer eins. «Die Nummer eins der Schweiz sind wir.»

D Muttenzerkurve die isch do – egal wo!

Ein paar subjektiv gefärbte Interpretationen von Claudio Miozarri, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Sportmuseum Schweiz in Basel, zu Liedern, die von der Muttenzerkurve gesungen werden.

Ych stig ins Trämmli 14 y, fahr abe zu mim Joggeli, mit Fahne, Faggle, Megaphon, gang ych ins Stadion. Und wenn ych in dr Kurve stand, als Teil vom Basler Fuessballland, spür ych dr Geist vom Joggeli, und stimm in Chor mit y.
Wer die Kurve und ihre Mechanismen besser verstehen möchte, kann ihr einfach zuhören. Sie besingt sich immer wieder selber. Die oft sehr pathetische Beschwörung von Zusammenhalt, Treue und Tradition in den gemeinsam gesungenen Liedern hat durchaus ihre Wirkung. Über die Lieder werden Ideale und Mythen transportiert; Hunderte stimmen in den Chor mit ein. Die Fanszene ist das grösste Jugendhaus der Nordwestschweiz: Fuessball, das isch unser Läbe, d Kurve isch unser dehei, do bisch wie im siebte Himmel, do fühlsch di niemols elei.

O-Oh lüter singe, immer lüter singe, bis der FCB s Goal gschosse het.
Vordergründig geht es in Fansongs immer um die Unterstützung der eigenen Mannschaft. Sie soll zum Erfolg geschrien werden. Je lauter die Kurve singt, desto näher ist der Torerfolg. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass die Fans noch nicht laut genug singen, wenn das Tor noch nicht gefallen ist. Und natürlich ist lüter singe in Basel noch nie ohne Torerfolg auf dem Feld geblieben.

Alli alles gäh, für Rot und Blau, uff em Fäld und in dr Kurve au. Nid für e Lohn, für d Region, FC Basel schiess das Goal.
Wie ist das Verhältnis zur Mannschaft, wenn es doch eigentlich die Kurve ist, die Tore schiesst? Es ist geprägt von gegenseitiger Treue und der absoluten Aufopferung für den Club. Doch genau das ist das Problem: Welcher Spieler ist dem Club und seinen Fans heutzutage schon treu? Die Akteure auf dem Feld verdienen dicke Löhne, die Fans geben auf den Rängen ihr Erspartes aus. Und trotzdem funktioniert der Mythos vom Zusammenspiel für das gemeinsame Ganze – zumindest so lange der Erfolg da ist.

Erfolg isch nid alles im Läbe, wenns schlächt goht sin mir mit drbi.
Erfolg korrumpiert halt auch die Muttenzerkurve. Nach drei Meistertiteln in Folge wäre es eine Herausforderung, sich über einen zweiten Platz zu freuen. Gleichzeitig sind die wahren Fans jene, die auch in der Niederlage für ihre Farben singen. Wahre Fans waren schon immer mit dabei und würden den FCB auch in die vierte Liga begleiten. Diese Wahrhaftigkeit des Fantums stösst aber an ihre Grenzen. Im letzten Spiel unter Christian Gross wandte sich die Muttenzerkurve aus Protest vom Spielfeld und der Mannschaft ab. Ein weiterer verlorener Meistertitel und das Abrutschen auf den dritten Platz im letzten Spiel waren dann doch zu viel des Misserfolgs. Oder war das nur ein Protest gegen den vermeintlichen Verrat einzelner Spieler? Sonderbarerweise sang die sich abwendende Kurve damals Erfolg isch nid alles im Läbe.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 12.10.12

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