«Es geht nicht ums Geld», sagt Matías Emilio Delgado, «der FC Basel ist eine Herzensangelegenheit.» Natürlich. Unten auf dem Rasen des St.-Jakob-Parks fertigt der FCB gerade den FCZ mit 4:1 ab. Unter den 27 053 Zuschauern im Joggeli hat Kollege Florian Raz, damals noch bei der «Basler Zeitung», den argentinischen Gast ausgemacht. Und sich von ihm an einem Tag im späten März 2010 in den Block diktieren lassen, dass Delgado zurück nach Basel wolle.
Die Randnotiz wirft noch Wochen später Wellen. «Delgado läuft sich im Forum warm», schreibt der «Blick am Abend» und zitiert aus dem Chat-Room der FCB-Fans. Eine Rückkehr Delgados – «das wäre der absolute Hammer». Der Boulevard wittert ein Jahr nach der Heimkehr von Alex Frei schon die nächste Basler «Transferbombe».
Auch jetzt, drei Jahre später, wo der FC Basel konkrete Gespräche mit dem Spieler führt, fragt man sich, was der Name Delgado auslöst in Basel und der FCB-Fangemeinde. Man könnte sagen, da verschwendet der FCB Zeit und womöglich Geld für einen Profi, der die letzten drei Jahre in der Wüste verbracht hat. In Abu Dhabi am Persischen Golf, beim Al-Jazira Club, der in der Meisterschaft der Vereinigten Arabischen Emirate spielt, für welche die Bezeichnung Operettenliga nicht unbedingt eine Beleidigung darstellt.
Was macht also diese fast durchgehende Begeisterung aus?
Es ist zum einen die Erinnerung an einen Fussballer, der einen Spielertyp verkörpert, den es im durchrationalisierten Fussball eigentlich gar nicht mehr gibt. Jedenfalls nicht mehr in seiner Reinform: den Spielmacher im zentralen Mittelfeld, den Regisseur, die Nummer 10.
Der die Räume entdeckt
Die Südländer haben einen Namen für ihn: der Fantasista. Exakt als Variétékünstler übersetzt, stellt der Fantasista die schöne Seite des Spiels dar. Er ist der Akteur mit aussergewöhnlicher technischer Begabung. Einer, der das Spiel lesen kann, einer, der Räume entdeckt, die für andere verschlossen bleiben, der sie entweder federleicht durchschreitet oder dynamisch erobert. Einer, der Pässe schlägt zu seinen Mitspielern, ohne hinzuschauen. Und torgefährlich ist er ausserdem. Trifft mit seinem gesegneten Fuss volley aus Positionen, wo andere schon beim Versuch eine Verletzung drohen würde, hämmert den Ball aus grosser Distanz unter die Torlatte und zirkelt den Freistoss von der Strafraumgrenze fast liebevoll, aber tödlich ins Tordreieck.
So ein Fussballer ist Matías Emilio Delgado.
«Solche Spieler machen den Fussball aus», erklärt sich FCB-Präsident Bernhard Heusler die Faszination, die von Delgado ausgeht, «sie verkörpern das Spektakel, das Unberechenbare, die Überraschung, den Rhythmuswechsel, den Moment, der einem den Atem stocken lässt.» Die Begabung, mit einer Aktion in Sekundenbruchteilen auf dem Spielfeld etwas Entscheidendes verändern zu können, löst seiner Ansicht nach die Emotionen bei den Fans aus: «Man geht ja nicht nur ins Stadion, um ein taktisch perfektes Spiel zu sehen.»
Seit dem Abschied von Delgado in der Nacht des 13. Mai 2006 – die mit dem in letzter Sekunde entrissenen Meistertitel und den Ausschreitungen in Erinnerung bleibt – hat Heusler Kontakt gehalten zu dem Spieler. Und umgekehrt.
Ruedi Zbindens Entdeckung
Ruedi Zbinden hatte Delgado Anfang 2003 in Argentinien ausgiebig gescoutet, war immer wieder nach Buenos Aires geflogen, um ihn bei den Chacarita Juniors spielen zu sehen. Aus Rosario in der Provinz Santa Fe stammend, war Delgados Familie in die Hauptstadt übergesiedelt, wo Vater Eduardo als Profi bei San Lorenzo und Velez Sarsfield unter Vertrag gestanden hatte
Im August 2003 tauchte Delgado zum Probetraining beim FC Basel auf, und damalige Beobachter fragten sich, warum der junge Argentinier ein Probetraining absolvieren musste. Das Talent war unverkennbar. Am 26. August unterschrieb Matías Emilio Delgado einen Vierjahresvertrag beim FCB.
Als der 20-Jährige am 3. September im Joggeli debütierte, wurde er von den Fans stürmisch begrüsst. Eingewechselt für Sébastien Barberis bereitete er ein Tor vor beim 4:1 über St. Gallen. Das Versprechen, einen neuen Spielmacher zu bekommen, einen neuen Hakan Yakin, der sich seinerzeit eine Schlammschlacht mit Paris St. Germain lieferte, dieses Versprechen spürten die Zuschauer.
Mit wehenden Haaren
Da bewegte sich ein Spieler über den Platz, der die Phantasie der Fans beflügelt. Ein Fantasista eben. Der Italiener unterscheidet noch zwischen zwei Typen von Spielmachern: dem Trequartista und dem Regista. Der Trequartista ist der offensivere Spieler, so wie Zinedine Zidane oder Michel Platini, wie Roberto Baggio oder Francesco Totti, wie Ronaldinho oder Mesut Özil. Der Regista ist der weiter hinten mit defensivem Gewissen Agierende, der aus der Tiefe des Raums nach vorne stossende Spielmacher. So wie Andrea Pirlo, Xabi Alonso oder Bastian Schweinsteiger.
Eine wehende Mähne hatte Matías Emilio Delgado obendrein, eine wie Günter Netzer, dem Spielmacher-Prototyp der Siebzigerjahre. In den langen Haaren konnte man etwas Wildes, etwas Ungezähmtes sehen. Wenn man wollte. Christian Gross wollte Delgado erst einmal in seinem System domestizieren. Der FCB-Trainer nahm den Jungen hart ran, Delgado sass oft auf der Ersatzbank, aber nach einem gefeierten Auftritt in Neuenburg spürte Gross «den Wunsch des Publikums, Delgado auch zu Hause von Anfang an zu sehen».
Auf der internationalen Bühne ging Delgados Stern im Oktober 2004 auf. Im Sommer hatte er in Buenos Aires Maria-Laura Rossi geheiratet, die Schwester von Julio Hernan Rossi, eine Sportlehrerin, die beim Basler LTC Interclub-Tennis spielte. Für diesen Julio Hernan Rossi wurde Delgado im Uefa-Cup-Spiel bei Schalke 04 eingewechselt. Und glich mit einem prächtigen Freistosstor gleich zum 1:1 aus
Die Sache mit dem Hurensohn
Die Beziehung mit Gross blieb schwierig. Im Sommer darauf, beim Champions-League-Qualifikationsspiel gegen Werder Bremen (2:1), wurde Delgado in der 65. Minute ausgewechselt, was er wütend mit einem von den Mikrofonen der TV-Kameras eingefangenen «Hijo de puta» quittierte. Den «Hurensohn» sah der Trainer dem Spieler nach. Und Delgado sagte an anderer Stelle einmal über Gross: «Es ist notwendig, dass der Trainer in gewissen Momenten streng mit dir ist.»
Im Laufe der Saison 2005/06 wurde Matías Emilio Delgado erst zum aufregendsten Akteur der Super League und am Ende zum «Spieler des Jahres» ausgerufen. «Möglicherweise kam er schon mit dem Ball am Fuss auf die Welt», schwärmte Ueli Kägi im «TagesAnzeiger». 50 Wettbewerbsspiele, 27 Tore, 13 Vorlagen standen zu Buche, und im Uefa-Cup, wo der FCB bis in die Viertelfinals vordrang, war Delgado der Toptorschütze.
Christian Gross hatte sein System umgestellt, weg vom Rhombus zur Grundordnung in einem 4-1-4-1, und aus Delgado war eine Mischung aus Trequartista und Regista geworden. Mit seiner Eleganz und seinem Ballzauber herausgetreten aus dem Schatten von Hakan Yakin. Ein Liebling des Volkes, und das in einer Zeit, da das Kollektiv im Fussball an Bedeutung gewonnen hat, die Sehnsucht nach Individualisten jedoch nie gestorben ist.
Sechs Monate nach der Vertragsverlängerung war er weg
Im Januar, die Späher gaben sich im Joggeli längst die Klinke in die Hand, hatte der FCB gerade noch rechtzeitig die Zeichen erkannt. Der Vertrag konnte um ein Jahr bis 2008 verlängert werden, und Delgado, der bis dahin knapp 300 000 Franken verdient haben soll, stieg zu einem Topverdiener an der Millionengrenze auf.
Sechs Monate später, während in Deutschland die Weltmeisterschaft lief, war Delgado weg. «Es war nicht mehr zu verhindern», sagte sein Entdecker Ruedi Zbinden damals. 7,5 Millionen Franken Ablöse zahlte Besiktas Istanbul, damals die Rekordablöse für den FCB, der 2003 etwa 1,2 Millionen Franken in das Talent investiert hatte.
Am Bosporus wurde Delgado Meister, Cupsieger und Captain. Er wurde, weil verletzt, aber auch ein Jahr lang auf Eis gelegt und nicht mehr richtig glücklich.
Anläufe, ihn zurückzuholen, hat der FCB mehrfach unternommen. Seit die TagesWoche Ende Juni publik gemacht hat, dass der Club wieder in Gesprächen mit Delgado steht, diesmal in sehr ernsthaften, sind die FCB-Fans wie elektrisiert, zumindest neun von zehn, grob geschätzt. In einer völlig unrepräsentativen Umfrage im FCB-Forum plädiert ein Drittel «ohne Wenn und Aber» für Delgado. Immerhin 45 Prozent finden, das solle im finanziell angemessenen Rahmen geschehen. Die Skeptiker sind in der Minderheit.
Beim FCB wird nun «mit Hochdruck» an der Sache gearbeitet, wie Sportdirektor Georg Heitz am Rande des Testspiels gegen Borussia Dortmund (1:3) sagte. Scheich Mohammed bin Hamdan, Vorsitzender des Al-Jazira Clubs, liess am 10. Juni in der Zeitung «The National» verlauten, Delgado würde aus seinem Vertrag entlassen. Im Hintergrund weibeln Delgados Schwager Rossi und vor allem Christian Gimenez, dem Delgado beim FCB einst die Bälle passgenau serviert hat
Es sieht also alles nach einer Wiedervereinigung aus, und Trainer Murat Yakin, der ja dann etwas anfangen muss mit dem inzwischen 30-jährigen Delgado, mit dem er einst noch gespielt hat, sagt: «Für mich existiert der Zehner noch. Ich liebe diese Spielertypen.»