«Mein Comeback ist ein kleines Wunder»

Auf Sand ist er auch nach langer Verletzungspause das Mass aller Dinge ist. Vor dem Start der French Open erklärt Rafael Nadal im Interview, wie er Schmerzen ignoriert, was Onkel Toni zum strengen Lehrer macht und warum er die Weltrangliste anders berechnet haben will.

epa03714820 Spanish tennis player Rafael Nadal speaks during a press conference, at Roland Garros Stadium, in Paris, France, 24 May 2013. The 2013 French Open tennis tournament starts on 26 May. EPA/CHRISTOPHE KARABA (Bild: Keystone/CHRISTOPHE KARABA)

Auf Sand ist er auch nach langer Verletzungspause das Mass aller Dinge ist. Vor dem Start der French Open erklärt Rafael Nadal im Interview, wie er Schmerzen ignoriert, was Onkel Toni zum strengen Lehrer macht und warum er die Weltrangliste anders berechnet haben will.

Rafael Nadal (26) ist der Gigant des Sandplatztennis. Auch nach seiner schweren Knieverletzung dominiert der Rückkehrer in dieser Saison schon wieder seine Lieblingsdisziplin und holte fünf von sechs Titeln auf roter Asche. Bei den French Open geht der Rekordchampion (sieben Siege) als Titelverteidiger und Topfavorit an den Start.

Während Nadal in Paris in eine Tableau-Hälfte mit Novak Djokovic gelost wurde, würde Roger Federer erst im Final auf einen der beiden grossen Widersacher treffen. Mögliche Gegner Federers in der Vorschlussrunde wären David Ferrer (Head-to-Head: 14:0) oder Tomas Berdych, gegen den Federer zuletzt schon mehr Mühe bekundete.

Bevor er Roger Federer vor einer Woche im Foro d’Italico in etwas mehr als einer Stunde mit 6:1, 6:3 abfertigte, stand Rafael Nadal in aufgeräumter Stimmung im römischen Hotel Parco Dei Príncipi Rede und Antwort.

Rafael Nadal, seit Ihrem Comeback im Februar eilen Sie von Erfolg zu Erfolg. Wer soll Sie eigentlich in Paris stoppen?
Rafael Nadal: Jeder Spieler, gegen den ich spiele. So gehe ich in jedes Spiel. Immer mit dem Gedanken: Das ist ein Gegner, der Weltklasse-Tennis spielen kann, der es drauf hat, mich zu schlagen. Wenn du diesen Respekt nicht hast, kannst du nichts werden in diesem Sport. Sorglosigkeit darfst du nicht haben, das ist der Anfang vom Ende.

Sie gehen also nicht als haushoher Favorit ins French Open-Rennen?
Ich bezeichne mich nie als Favorit. Oder sage, dass ich ein Turnier gewinnen muss. Das wäre arrogant und vermessen. Ausserdem habe ich gerade zehn Monate lang kein Best-of-Five-Match mehr bestritten, da kann ich nicht hergehen und Sprüche klopfen.

Überrascht Sie die Qualität Ihres Comebacks?
Das ist mehr als eine Überraschung, das ist, ganz ehrlich, ein kleines Wunder für mich. Davon habe ich nicht mal zu träumen gewagt. Mir war am wichtigsten, dass ich gesund bleibe. Das war das Hauptziel.

Können Sie heute völlig bedenkenlos auf den Platz gehen, ohne das Gefühl, dass wieder etwas mit dem Knie passiert?
Nun, das Knie fühle ich schon.

Was heisst fühlen?
Also, da ist schon ein bisschen Schmerz. Der entscheidende Punkt für mich ist aber: Ich kann mit jedem da draussen mithalten. Ich habe mir das nun oft genug in den letzten Monaten bewiesen.

«Ich lebe vom Kampf, vom Einsatz, von der Bereitschaft, viel zu investieren für einen Sieg.»

Ihr Onkel und Trainer Toni hat einmal gesagt, er kenne keinen anderen Menschen, der Schmerzen so ignorieren könne wie Sie.
Ich bin es gewohnt, als Spieler meine Grenzen auszutesten. Ich lebe vom Kampf, vom Einsatz, von der Bereitschaft, viel zu investieren für einen Sieg. Diese mentale Härte gehört zu mir als Profi.

Sind Sie heute wieder so leistungsfähig wie in Ihren besten Zeiten, sehen wir den 100-Prozent-Nadal?
Das Maximum ist immer das Maximum in einem Moment. Ich gebe für mich immer 100 Prozent. Nur so kann ich überhaupt leben im Profitennis. Wenn meine 100 Prozent nicht reichen, dann war mein Gegner halt besser. Aber ich gehe trotzdem nicht mit einem schlechten Gefühl nach Hause.

Wie waren diese sieben Monate Verletzungspause für Sie, das Fehlen auf der Tour und auch bei den Olympischen Spielen?
Es war eine verdammt schwere Zeit. Ganz einfach, weil es lange Zeit auch keine Besserung gab. Ich wachte morgens auf, testete mein Knie – und spürte, dass nichts vorwärts ging.

Auf Facebook oder in spanischen Zeitungen sah man Bilder von Ihnen, auf denen sie ziemlich entspannt wirkten: Beim Angeln, beim Ausflug mit der Familie.
Nein, entspannt kann man das nicht nennen. Das geht nicht, wenn man verletzt ist – und darauf brennt, wieder ins Tennis zurückkehren zu können. Meine Familie war natürlich trotzdem sehr wichtig: Sie hat mir soviel positive Energie gegeben, dass die schwere Zeit doch leichter wurde.

«Rücktrittsgedanken? Das waren nur die üblichen Gerüchte, die manche Zeitungen streuten.»

Gab es Rücktrittsgedanken?
Nein. Das waren nur die üblichen Gerüchte, die manche Zeitungen streuten. Meine Güte, ich hätte sogar ein bis eineinhalb Jahre gewartet, um zurückzukehren. Ich fühle mich noch jung als Profi, auch wenn ich jetzt schon ein paar Jahre durch die Welt ziehe.

An den Machtverhältnissen im Männertennis hat sich ja nicht viel verändert in Ihrer Abwesenheit. Warum ziehen die Topleute so einsam ihre Kreise da vorn, die FabFour mit Djokovic, Federer, Murray und Nadal?
Entscheidend ist wohl einfach diese Zusammenballung von sehr guten Spielern an der Spitze. Einer von uns ist immer in aussergewöhnlicher Form, spielt am Limit bei einem Lieblingsturnier. Und meist muss man dann eben zwei von uns schlagen, um den Titel zu holen. Trotzdem halten uns Spieler wie Berdych, Tsonga oder del Potro auf Trab. Wir alle wissen: Diese Macht ist keine Selbstverständlichkeit, sie ist – trotz aller Statistiken – nur eine Macht auf Zeit.

Was ist in dieser Phase Ihrer Karriere wichtig für Sie?
Ich habe schon mehr erreicht in meinem Leben als ich je zu hoffen gewagt habe – damals, als ich zu den ersten Challenger-Turnieren reiste und das grosse Tennis noch weit weg war von mir. Gesundheit, das ist alles, was zählt. Gesund zu sein, gesund zu bleiben. Das ist wichtiger als alles andere. Ich gehe inzwischen mit einer gewissen inneren Ruhe in das Turnierprogramm, auch wenn´s nicht immer so aussieht: Ich weiss, dass ich alles schon erreicht habe. Und dass ich nichts mehr zu verlieren habe. Viel von der Aufregung, die ständig um mich und mein Tennis produziert wird, lässt mich schlicht kalt.

«Ich gehe in jedes Turnier mit der festen Absicht: Das willst du gewinnen. Einen anderen Nadal gibt es nicht.»

Sind Sie also weniger ehrgeizig?
Nein, das sicher nicht. Ich gehe in jedes Turnier mit der festen Absicht: Das willst du gewinnen. So habe ich schon immer getickt. Einen anderen Nadal gibt es nicht.

Schon immer waren Sie in einer Beziehung ein Exot in diesem Tourzirkus – Sie haben nur einen Trainer gehabt über all die Jahre, ihren Onkel Toni. Wie sehen Sie diese Partnerschaft heute?
Zuallererst ist er mein Onkel, einer aus meiner Familie. Bei ihm weiss ich genau, dass er alles tut, weil er mich liebt. Nicht, weil er etwas herausholen will und muss aus dieser Sache. Er will einfach immer nur das Beste für mich. Als ich ein Kind war, hat er mich unheimlich gefordert. Jeden Tag ging es ans Limit. Da gab es keine Kompromisse. Er war ein strenger Lehrer, aber ein guter Lehrer. Diese Lehrzeit hat mich zu dem gemacht, was ich bin.

Einer Ihrer Kollegen, der Deutsche Tommy Haas, ist der unfreiwillige Weltmeister der Comebacks im Tennis. Nach fünf Operationen und fünf Rückkehrmissionen steht er nun wieder in den Top 20.
Was er in den letzten Monaten geschafft hat, spricht für sich. Er spielt wieder wie in seinen besten Tagen, und es ist faszinierend zu sehen, wie glücklich und beschwingt er ans Werk geht. Auch für mich war er ein Vorbild – so wie er sich von den Verletzungen nicht hat unterkriegen lassen.

«Die ATP geht einen falschen Weg. Die Rangliste sollte über zwei Jahre ermittelt werden.»

Kämpfen Sie noch immer für eine Änderung des ATP-Turnierkalenders, nicht zuletzt für die Reduzierung von Hartplatzturnieren?
Ja, aber ich werde langsam müde. Ich glaube, wir sind auf dem falschen Weg. Der Weg, den die ATP geht, ist nicht gut. Dabei will doch jeder auch dann noch gesund sein, wenn er seine Karriere beendet hat. Ich freue mich darauf, nach der Karriere mit meinen Freunden Fussball zu spielen, oder auch weiter Tennis zu spielen. Doch so, wie sich das Profitennis entwickelt, wird das schwierig. Die kommenden Generationen werden noch mehr leiden.

Fordern Sie weniger Turniere?
Ich habe nie gesagt, dass wir weniger Turniere brauchen. Im Gegenteil. Je mehr Turniere wir haben, um so besser ist das für diejenigen, die nicht so gut platziert sind. Das würde mehr Arbeitsplätze generieren. Ich kritisiere nur die Art, wie das Ranking ermittelt wird und in welcher Häufigkeit wir auf welchen Belägen spielen. Die Spieler werden nicht gut geschützt. Wenn du verletzt bist, rutscht du sehr schnell ab. Das ist ein Problem. Aber es muss eine Lösung her, damit die Spieler nicht jede Woche unter dem allergrössten Druck spielen müssen, damit sie ihren Platz halten. Die Rangliste sollte über einen Durchschnittswert der letzten zwei Jahre ermittelt werden.

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