«2017, hier in Melbourne, das war das Verrückteste, was mir jemals im Tennis passiert ist», sagt Roger Federer, «es wird schwer, das jemals zu übertreffen». Wie auch? Federer kam aus einer knapp sechsmonatigen Verletzungspause, erwartete «gar nichts» von sich und von seiner Grand-Slam-Aufgabe – und als die beiden Wochen in Melbourne vorüber waren, stand er ganz oben. Als Champion, als Sensationsgewinner, als ultimativer Comeback-Mann.
Jahrelang war Federer einem der vier Grand-Slam-Titel vergeblich hinterhergelaufen, ab und zu waren sogar Stimmen zu hören gewesen, seine grösste Zeit sei vorbei, er habe womöglich sogar den Moment des einigermassen idealen Absprungs verpasst.
Und dann war Federer im denkbar unwahrscheinlichsten Moment wieder der König bei einem Major, ein Sieg, noch veredelt durch den Umstand, dass er sich über fünf harte, intensive, spannungsgeladene Sätze mit seinem ewigen Rivalen Rafael Nadal um die Krone streiten musste. «Melbourne 2017, es wird immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben», sagt Federer.
Nach langer Pause wieder zupacken
Nicht zuletzt auch deshalb, weil ihm dieser Sieg in vielerlei Hinsicht neue Perspektiven für seine späten Karrierejahre bot. Dazu zählte auch die Gewissheit, selbst nach langen, sehr langen Pausen wieder mit zupackender Schlagkraft ans Werk gehen zu können, mit Solidität, Sicherheit, Selbstbewusstsein und dem üblichen Esprit. «Das Turnier, das ganze Grand-Slam-Erlebnis damals, das waren Schlüsselmomente für mich», sagt Federer vor seinem jetzigen Turnierstart gegen den 28-jährigen Slowenen Aljaz Bedene, «es war eine der grossen Wegmarken als Profi».
Federer kann seit jenem Grand-Slam-Auftakttriumph des vergangenen Jahres noch einmal entspannter und gelassener auf den Centre Court schreiten. Was er unbedingt wollte, was er mit aller Macht und Energie anstrebte, einen weiteren Grand-Slam-Sieg weit in seinen Dreissigern, hat er mit einem geradezu magischen Coup erreicht.
Komische Favoritenrolle
Später kam dann auch noch Major-Titel Nummer 19 hinzu, als Roger Nimmersatt siegte er in seinem grünen Tennisparadies in Wimbledon. «Ich bin ziemlich ruhig vor diesem Turnier jetzt», sagt Federer, «ich hatte sowieso noch nie ein Problem mit der Favoritenrolle». Gleichwohl wunderte sich Federer leicht ironisch darüber, dass ein 36-Jähriger der absolute Titelkandidat sein soll: «Ich fühle, dass das irgendwie nicht ganz richtig ist.»
Federer ist froh und zufrieden, dass er von weiteren Verletzungen verschont geblieben ist nach der fulminanten Rückkehr zum Saisonstart 2017. Gelegentlich plagte ihn das ein oder andere, aber es war nichts Ernsthaftes oder gar Bedrohliches.
Für den vierfachen Familienvater zahlte sich aus, dass er seine Tennisengagements radikal ausdünnte und sich quasi auf Diät setzte, um im richtigen Moment, bei den Topturnieren, auftrumpfen zu können. «Der beste Beweis war die lange Pause in der Sandplatzsaison und der anschliessende Sieg in London. Das hätte ich früher selbst für unmöglich gehalten», sagt Federer. Auch in diesem Jahr wird er auf einen schlanken Terminkalender setzen.
Wie erfolgreich wird Wawrinka sein?
In Federers Auslosungshälfte befindet sich auch Landsmann Stan Wawrinka, der in letzter Minute seine Teilnahme im Grand-Slam-Theater von Melbourne bestätigte. Allerdings ist zweifelhaft, ob der Romand auch nur ein halbwegs erfolgreiches Comeback nach Federers Drehbuch wird schreiben können – zu ungewiss ist, wie der dreimalige Grand-Slam-Champion herausfordernde Matches über drei Gewinnsätze überstehen wird.
Zunächst trifft der Turniersieger des Jahres 2014 auf den Litauer Ricardas Berankis (ATP 138). «Ich bin überzeugt, dass ich ein paar Partien gewinnen kann», sagt Wawrinka, «sonst würde ich hier gar nicht starten». Vor Melbourne hatte Wawrinka allerdings alle Engagements bei Turnieren und Schaukämpfen absagen müssen.