«Més que un club» – nie wog Barças Vereinsmotto so schwer

Beim letzten Champions-League-Spiel im Camp Nou vermischte sich Politik und Sport inmitten des Katalonien-Konflikts. Der FC Barcelona ist ein Spiegel für die Zerrissenheit und Spaltung in dieser Frage. Was eine Loslösung von Spanien für den Profifussballbetrieb bedeuten würde, ist nicht abzusehen. 

Immer wieder: Katalonien begehrt gegen Spanien auf. Im Camp Nou gehört das seit jeher zum Ritual. (Bild: Reuters/Albert Gea)

Es blitzt und donnert über Barcelona, so gewaltig, dass die Stadionbesucher Ohs und Ahs stöhnen wie sonst bei den Tricks von Lionel Messi. Und es regnet in Strömen, so wie es seit Monaten nicht mehr geregnet hat. Wer mag, kann darin etwas Symbolhaftes entdecken. Wie bei so vielem an diesem Abend, an dem Barça erstmals während der heissen Phase der Katalonien-Krise vor sein Publikum tritt.

Zuletzt hatte es das am 19. September getan. Einen Tag später durchsuchte die spanische Guardia Civil von früh bis spät Gebäude der Regionalregierung, Parteizentralen und Zeitungsredaktionen, nahm 14 Personen fest und markierte damit den Beginn einer Repressionswelle.

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Es folgten am 1. Oktober das verbotene Referendum, die Polizeigewalt und aus Protest dagegen ein Barça-Heimspiel vor leeren Kulissen. Dann eine Länderspielpause mit viel Polemik um den so emotionalen wie meinungsfreudigen Katalanen Gerard Piqué. Und schliesslich am Montag dieser Woche die Inhaftierung der zwei wichtigsten Unabhängigkeitsaktivisten ausserhalb der Politik.

Das «unbewaffnete Heer Kataloniens»

Nun sollten zur Champions League gegen Olympiakos Piräus also wieder Zuschauer kommen ins imposante Camp Nou, das seit jeher als Barometer des Katalanismus fungiert. «Unbewaffnetes Heer Kataloniens» – so hat der Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán den 1899 vom Schweizer Hans Gamper gegründeten Verein während der Franco-Diktatur in einer berühmten Metapher genannt.

In Sturzbächen kam der Regen am Mittwoch über das spärlich überdachte Camp Nou, und wer will, kann darin Symbolhaftes entdecken.

Damals war das Stadion einer der wenigen Orte, an denen die Leute gefahrlos ihre offiziell verbotene Sprache sprechen konnten. Nach dem Übergang zur Demokratie und einer politisch ruhigeren Phase nahm es parallel zum Erstarken der Unabhängigkeitsbewegung zuletzt wieder diese Rolle als Marktplatz ein. Mit seinen Transparenten, Fahnen und Gesängen.

99’000 Menschen fasst das Camp Nou, allerdings ist nur eine Tribüne überdacht. Und das ist bei den heftigen Regengüssen an diesem Mittwochabend natürlich ein Problem. Bloss zu einem Drittel füllt sich die Arena. Aber das Wetter ist nicht der Hauptgrund, warum die von den Unabhängigkeitsaktivisten erhoffte Grosskundgebung vor den Fernsehkameras Europas zu einem grossen Teil ins Wasser fällt.

Der Konflikt spaltet nun auch den Club

Es kommt auch zu einem unerwarteten Schisma. Als Solidaritätsgeste an die verhafteten Anführer des Sezessionismus hat der Verein an diesem Abend deren Stellvertretern einen Platz als Ehrengäste zugedacht. In den letzten Jahren hatte man eine freundliche Beziehung unterhalten. ANC und Òmnium Cultural, so heissen die Assoziationen, durften ihre Plakate mit ins Stadion nehmen oder draussen Faltblätter verteilen.

Doch nun lehnen sie die Einladung in die Loge ab. Das Engagement des Klubs für die katalanische Sache geht ihnen nicht mehr weit genug.

Von der Uefa erlaubt: Ein riesiges Transparent mit der Aufschrift «Dialog, Respekt, Sport» wird von den Rängen des Camp Nou herab entrollt.

Die Differenzen existieren seit dem 1. Oktober. Als sich die Gewaltszenen vor den Wahllokalen durch die Stadt verbreiteten, versuchte Barça, sein Spiel gegen Las Palmas abzusagen. Es hatte das schon im Vorfeld versucht, aber die spanische Liga schaltete auf stur: weil nicht sein kann, was nicht sein darf, es also das Referendum offiziell nicht gab, wurde nicht wie bei Wahltagen in Spanien üblich das Fussbalspiel auf einen anderen Tag verschoben.

Das Geisterspiel – ein katalanischer Kompromiss

Barça hätte sechs Punkte abgezogen und eine empfindliche Vertragsstrafe aufgebrummt bekommen, ausserdem viele seiner internationalen Profis verärgert, wäre es nicht angetreten. So entschied man sich zu einem Kompromiss: man spielte, aber vor leeren Rängen.

Eine Entscheidung, die einen typisch katalanischen Weg zwischen Idealismus und Pragmatismus beschritt. Wegen der allfälligen wirtschaftlichen Folgen einer Sezession wie Firmenwechseln und Tourismuseinbruch bekommt dieser Tage so mancher Unabhängigkeitsfreund kalte Füsse.

Derweil fordern besonders überzeugte Sezessionisten, dass eben auch mal Opfer gebracht werden müssen. Einem Barça-Vizepräsidenten und einem weiteren Klubmanager war der Ausschluss der Öffentlichkeit als Signal zu wenig, sie traten zurück.

Der polarisierende Profi Gerard Piqué

Auch das noch: Barcelonas Verteidigerstar Gerard Piqué, der im Zentrum erregter Diskussionen steht, wird nach zwei Verwarnungen vom Schiedsrichter mit Rot vom Platz geschickt.

Auf der anderen Seite wurde der Verein aus dem übrigen Spanien für seine wiederholten Communiqués zugunsten des katalanischen Selbstbestimmungsrechts (nicht der Unabhängigkeit) so hart kritisiert wie Piqué aus denselben Gründen ausgepfiffen wird. Während Länderspielen und Partien bei Real Madrid sind persönliche Buhrufe gegen den Abwehrmann seit Jahren an der Tagesordnung; in der aktuellen Polarisierung wurde er am Samstag bei Atlético Madrid nun erstmals auch von einem anderen Clubpublikum entsprechend angegangen.

Kaum ein Tag vergeht, in dem spanische Politiker, Fussballfunktionäre oder Medien nicht betonen, bei einer Abspaltung Kataloniens könne Barça keinen Tag länger in der spanischen Liga spielen. Verträge würden dann hinfällig, womöglich gar der Start im Europacup.

Die Uefa erlaubt eine zarte Botschaft

Für den Piräus-Match hat sich Barcelona mit der Uefa auf eine Botschaft geeinigt, die vor dem Anpfiff auf einem riesigen Transparent über die Gegengerade entrollt wird: «Dialeg, Respect, Esport»: «Dialog, Respekt, Sport». Beim Verein sieht man dieses Statement im Einklang mit der Beteiligung an einer zivilgesellschaftlichen Initiative, die zwischen katalanischer und spanischer Regierung vermitteln will.

Fussball gespielt wurde am Mitwoch auch: Lionel Messi trifft mit einem Freistoss beim 3:1-Sieg gegen Olympiakos Piräus.

Die Zuschauer allerdings pfeifen, wobei nicht ganz klar wird, ob sie sich gegen den schwammigen Text oder gegen die parallel abgespielte Champions-League-Hymne richten: die wird im Camp Nou seit Jahren mit Missfallen begleitet, weil die Uefa den Verein wegen der «Esteladas» – Fahnen der Unabhängigkeitsbewegung – seiner Fans mehrfach bestraft hat: Es handle sich bei ihnen um eine nach den Statuten unzulässige politische Äusserung.

Pep Guardiola solidarisiert sich von Manchester aus

Aus Vereinskreisen heisst es, dass man auch wegen dieser Vorgeschichte von einer klareren Bezugnahme auf die Inhaftierungen vom Montag abgesehen habe – die Uefa hätte sonst eine Stadionsperre verhängen können. «Es ist nicht normal, dass in der heutigen Zeit Menschen wegen ihrer Ideen eingesperrt werden, aber die Uefa hat das letzte Wort», erklärt Klubpräsident Josep Maria Bartomeu. Zur Abwesenheit der eingeladenen Aktivisten sagte er: «Wenn jemand nicht kommen will, ist das kein Problem, wir respektieren das. Aber man sollte auch uns respektieren.»

Draussen vor dem Camp Nou zeigen die Unabhängigkeitsplattformen derweil die Plakate, die sie gern im Stadion gesehen hätten. Etwa eines mit den Gesichtern der Inhaftierten, Jordi Sànchez (ANC) und Jordi Cuixart (Òmnium), sowie dem Wort «Freedom», Freiheit. Oder ein anderes, dass beide als politische Gefangene bezeichnet.

Tatsächlich fordert auch Amnesty International ihre Freilassung: die Festnahme wegen Volksaufruhrs für friedliche Proteste gegen die Guardia Civil am 20. September sei «unverhältnismässig». Startrainer und Starsezessionist Pep Guardiola hatte dem Duo bereits am Vorabend den Sieg seines Klubs Manchester City gegen Neapel gewidmet: «Ein Teil von uns allen ist mit ihnen im Gefängnis.»

Das Ritual nach 17 Minuten und 14 Sekunden

Drinnen kommen zumindest die Klassiker zur Aufführung. An der Haupttribüne zeigen Anhänger eine kleine Fahne mit der Aufschrift: «Catalonia is not Spain». Und nach 17 Minuten und 14 Sekunden (im Jahr 1714 wurde Katalonien fest in den spanischen Zentralstaat eingegliedert) wird wie immer mit Sprechchören nach Unabhängigkeit verlangt.

Diesmal haben die Anhänger dazu Plakate mit Aufschriften wie «Ara o mai» – «Jetzt oder nie» – präpariert. Sie lassen sich nicht mal davon irritieren, dass just in diesem Moment der Führungstreffer durch ein Eigentor der Griechen fällt. Anstelle des üblichen Jubelschreis brüllen sie: «Llibertat», Freiheit.

Der Ruf wird im Lauf des Spiels noch unzählige Male intoniert, und am Samstagabend im Heimspiel gegen Málaga wird das sicher nicht anders sein. Dann werden viele Fans direkt von der Massendemonstration gegen die Festnahmen kommen, zu der die Unabhängigkeitsbewegung für 17 Uhr in der Innenstadt aufgerufen hat.

Der Klub selbst hat es da nicht ganz so einfach. Im Stadion hört man eben nur die, die rufen. Es gibt aber auch die, die schweigen. Barça-Mitglieder können alle möglichen Meinungen haben, und der Verein muss sie möglichst alle irgendwie im Blick behalten – jetzt, da aus dem idealistischen Flirt mit der Unabhängigkeit politischer Ernst geworden ist und Katalonien fürs erste die Zwangsverwaltung durch Madrid blüht.

Die Nation steht am Scheideweg, und Barça, das in besseren Zeiten als vermittelnd gesehen werden mag, kann es in diesem aufgeheizten Ambiente keinem Recht machen. Wieder versinnbildlicht Kataloniens Vorzeigeverein die Lage im Land zwischen Pyrenäen und Mittelmeer: diesmal in all seiner Zerrissenheit.

Nach Spielschluss leeren sich die Tribünen schnell, zurück bleibt das Mosaik aus Sitzschalen auf der Gegengeraden. Gelbe Sitze inmitten von blauen: «Més que un club». Mehr als ein Klub. Nie wog das Vereinsmotto so schwer.

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