Die Meute hetzt den ehemaligen Maestro – und erwischt ihn immer häufiger. Roger Federer hat seinen Schrecken verloren.
Als Roger Federer zum Turnierstart in Hamburg über Gott und die Tenniswelt sprach, über das Gestern, das Heute und das Morgen seines Profilebens, da sagte er einen bemerkenswerten Satz: Es gebe da draussen auf dem Centre Court «keine Garantie», sagte Federer, «für nichts und niemanden, an keinem einzigen Tag.»
Am Samstagnachmittag, als Federer nach einer bitteren Zwei-Satz-Halbfinalniederlage gegen den argentinischen Qualifikanten Federico Delbonis grimmig vom Centre Court am Rothenbaum marschierte, ein letztes Mal matt in die Publikumsränge winkend, da fühlte man sich unwillkürlich an diesen Satz erinnert: Wo sich immer mehr Namenlose und Nobodies alles Mögliche und Unmögliche gegen den einstigen «Sonnenkönig» (L´Equipe) zutrauen, wo sie die Verwundbarkeit des vielgerühmten Maestros spüren, sind alte Gewissheiten und Sicherheiten vorbei.
Sommer des Missvergnügens
Federer, ohne die Aura der Macht und ohne die Statur der Unerschütterlichkeit, ist nicht mehr der Federer, den sie in Hamburg und anderswo kennen – jedenfalls nicht in diesem Sommer.
Dreieinhalb Wochen nach seinem aufsehenerregenden Zweitrunden-Sturz auf Wimbledons grünen Tennisfeldern gegen den Ukrainer Sergej Stachowski erlebte Federer kein neues Hoch im deutschen Norden – sondern zum schlechten Schluss eine Laboranordnung, an die er sich nun auf seine älteren Tage im Wanderzirkus wird gewöhnen müssen.
Denn genau so respektlos und couragiert wie Sensationsmacher Stachowski operierte auch der unbekannte Argentinier Delbonis gegen den früher überlebensgrossen Herrscher der Branche, der offenbar seinen Schrecken verloren hat für die grosse, hetzende Meute – wohl umso mehr, da er mit seiner Ochsentour im roten Sand jedem anzeigte, wie unzufrieden er mit dem gegenwärtigen Status seines Spiels ist.
Kantig, eckig, holzig
Federer noch einmal eine Woche lang im Sand-Kasten der Hansestadt herumackern zu sehen, war nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig. Kantig, eckig, holzig wirkten seine Aktionen zu häufig, und wie er da mit finsterem Blick und mit häufigem Kopfschütteln die Seiten wechselte, war es eine optische Entsprechung seines schweren, alles andere als schwerelosen Spiels. «Ein grosser Forschritt» sei das alles nicht gewesen, merkte Federer nach dem Halbfinalscheitern offenherzig an, «das Positive ist, dass ich noch drei Spiele gewonnen habe. Das ist wichtig für die Moral gewesen nach Wimbledon.»
Dass er die grosse strategische Lage als bedrohlich einschätzt, der fast 32-jährige Meisterspieler, illustriert der Versuch, sich noch einmal auf die schwierige Inbetriebnahme eines neuen Rackets einzulassen. Doch in Hamburg waren fürs Erste – wie zuletzt in Wimbledon mit dem altem Gerät – viele Fehlschläge und Rahmentreffer zu beobachten, nichts jedenfalls, was Federers mutiger gewordene Rivalen irgendwie beunruhigen müsste.
Im schweizerischen Gstaad geht Federers Erprobungsphase mit dem schwarz lackierten Wilson-«Erlkönig» nun in den nächsten Akt – Besserung braucht der Weltranglisten-Fünfte aber relativ rasch, will er nicht zusätzlich verunsichert die Hartplatzwochen in Nordamerika angehen, den Countdown zu den US Open.
Bleibt alles anders?
Natürlich könne er mit Niederlagen umgehen, schliesslich habe er in all den Profijahren viele Niederlagen einstecken müssen, hatte Federer auch in seiner Tour d´Horizon vor den ersten Hamburger Ballwechseln erklärt. Doch wenn Federer in seinen grossen Jahren verlor, dann verlor er meist in Finals – und dann fast immer gegen einen aus dem dünnbesiedelten Revier der Elitespieler, also gegen die Nadals, Djokovics oder Murrays.
Stachowski, sein Wimbledon-Gegner, stand auf Platz 116 der Weltrangliste, Delbonis, der Hamburger Spassverderber, rangiert auf Platz 114. Genau diese Widersacher hielt der Maestro stets gebührend auf Abstand, aus eigener Kraft und wegen der flatterhaften, verschüchterten Opposition, die sich die Kunststücke gegen den Künstler nicht zutraute.
Bleibt nun alles anders für den besten Tennisspieler der Moderne, vielleicht gar aller Zeiten? Das wüsste wohl auch Federer gerne, aber immerhin weiss er eins: Gelungen sind ihm diese Comebacks immer wieder in den letzten Jahren, auch wenn die Malaise da nicht ganz so gross war wie jetzt. «Einen Federer abzuschreiben, das lohnt nicht», sagt Boris Becker, einer der grössten Federer-Fans, «aber eins ist auch klar: Die leichten Zeiten für ihn kommen nicht wieder.» Er weiss das aus Erfahrung, aus den eigenen harten Jahren vor dem Ruhestand.