Vor Deutschland gegen Niederlande macht sich unser an der Grenze lebender Autor seine Gedanken zur Geschichte des Duells zweier fussballerischer Erzrivalen und den merkwürdigen Auswüchsen, die das Oranjefieber im Nachbarland auslöst.
Leben in einem Grenzland, hier deutsch-holländisch, bedeutet Leben in verschiedenen Zeitschleifen und Kulturkreisen. Als bei uns noch alle in die Klagegesänge über das unermessliche Leid des FC Bayern dahoam einstimmten, waren die Niederlande längst durchgeschmückt. Zwei Wochen vor Beginn der Viehfaheurozweitausendundzwölf ™ war das Land schon in diese saftige Apfelsinenfarbe getaucht. Oranje überall, Flaggen und vor allem ganze Häuser und Garagen eingehüllt, als sei Christo über die Deiche gestiegen.
Warum Holland mehrheitlich seine Immobilien ummantelt, die Hiesigen eher Fähnchen an ihre brummenden Mobilien heften, ist unter Ethnologen noch nicht abschließend erforscht. Die Gründe für die Jubeleruptionen praecox vermochten indes die «Aachener Nachrichten» schlüssig zu deuten. Weil die armen Nachbarn mit ihrer EM-Freude wahrscheinlich früh wieder aufhören müssen.
Die völkerkundige Zeitung hatte, wie wir vor dem heutigen Duell der Hassliebenachbarn wissen, womöglich seherische Qualitäten. Punkten die Dänen gegen Portugal, müssen die Beatrixianer siegen, um aus eigener Kraft Chancen zu haben aufs Viertelfinale. Großes Moffensausen überall: Spielen sie gegen die Rumpel-Duitsen remis wie die Dänen, droht das fürchterlichste Szenario: Ein friedlich-strategisches 0:0 am Sonntag zwischen diesen Rumpel-Duitsen mit ihren Nordnachbarn, und man selbst wäre auch nach einem noch so triumphalen Sieg gegen Portugal draussen. Gijon läge dann in Lemberg.
Die Niederlage des anderen
Bei Deutschland-Holland war den Fans immer die Niederlage der anderen noch wichtiger als der eigene Sieg. Immerhin, die Polizeien der beiden Länder rechnen diesmal nicht mit Straßenschlachten wie etwa nach dem WM-Match 1990 in Mailand (Völler, Rijkaard). Da waren niederländische Fans an der Grenze promilleselig mit Häme überschüttet worden und auch mit deutschem Bier. Das «Sieg»-Stakkatogebrüll hatten die Nachbarn historisch versiert mit hundertfachen «Heil»-Echos beantwortet. Schauderlich war das.
1988 konnte Holland zuletzt lästern: Warum haben die deutschen Kinder so lange Ohren? Weil ihre Väter sie so oft über die Grenze heben: Seht, meine Kleinen, da drüben wohnt der Europameister. Und die Oranjes zeigten damals durchaus Sinn für geschmückte Mobilien: Deutsche Autos wurden grossflächig mit der Merkstift-Farbe aufgehübscht. Ob für diesen Fall 2012 ausreichend Material gebunkert ist, steht zu vermuten.