Für Fans von Roger Federer ist es eine Hiobsbotschaft: Der 18-fache Grand-Slam-Gewinner verzichtet dieses Jahr auf das Roland-Garros-Turnier in Paris. Für den Baselbieter selbst ist der Entscheid der einzig richtige. Eine Analyse.
Er hat seine Rechnung schon einige Male aufgemacht in diesem verblüffenden Tennis-Jahr. Wann immer Roger Federer in den letzten Monaten als Sensationssieger die Pokale in die Höhe stemmte, ob in Melbourne, Indian Wells oder auch in Miami, betonte er auch dies: Seine Karriere werde noch ein Weilchen andauern, er plane eine Verlängerung bis fast an die Vierzig heran.
«Ich gebe mir noch eine gute Zeit, ich habe noch grosse Pläne», verkündete Federer zuletzt, als er sich in eine ausgedehnte Urlaubs-und Regenerationszeit verabschiedete, nach dem ersten wunderlichen Arbeitsquartal 2017.
Federers spielfreie Zeit wird jetzt auch noch eine Verlängerung bekommen, ganz einfach, weil das, was er soeben aus seinem Tourneeprogramm herausgestrichen hat, nicht mehr in seine Gleichungen hineinpasst – und zu der Realität, der sich der Baselbieter in dieser Karrierephase schonungslos stellt. Was er am Montagabend bekannt gab, seinen Verzicht auf die French Open, konnte keinen der professionellen Beobachter und Experten des Wanderzirkus mehr überraschen.
Es ist eine ganz schlichte Wahrheit: Federer hat unterm Eiffelturm nichts mehr zu gewinnen, er kann dort nur viel verlieren. Und deshalb bleibt er den strapaziösen Rutschübungen im Sand einfach fern.
Sein Communiqué war mit allerlei Höflichkeitsadressen gepflastert, auch dem Bedauern, sich seinen Fans in Paris nicht präsentieren zu können. Aber im Kern war es eine Ansage, sich wie nie zuvor in seiner professionellen Laufbahn nur noch um die ureigensten Interessen kümmern zu wollen.
«Total vernünftig», nannte da auch Ex-Djokovic-Coach Boris Becker die Entscheidung von Federer: «Er will und kann auf Gras Grosses erreichen. Und das zählt für ihn.»
Wer auf Federers Pläne und Aktivitäten der jüngeren Zeit schaute, dem war ohnehin klar, dass sich der 35-Jährige schon länger nicht mehr ernsthaft mit der Absicht befasste, in Paris spielen zu wollen. Ursprünglich hatte er sich noch offen gehalten, in der Sandplatzsaison auch die Masters-Turniere in Madrid und Rom zu bestreiten, dann blieben nur noch die French Open im Turnierkalender übrig.
Federer wird auch noch seine Chance bekommen, in den Kampf um Platz 1 eingreifen zu können – auch mit reduzierten Arbeitsprogramm.
Doch welchen sportlichen Sinn und welches sportliche Ziel konnte dieser Einmal-Auftritt haben, ausgerechnet beim strapaziösesten, körperlich am belastendsten aller Turniere? Federer hatte es längst abgehakt, er trainierte ja auch in den letzten Wochen noch immer in Dubai auf Hartplätzen.
Aus gutem Grund: Federers schnelles, improvisationsstarkes und intuitives Tennis wird nämlich spätestens mit Beginn der Grassaison gefragt sein, und dann eben für viele Monate, auf Rasen, auf mittelschnellen und sehr schnellen Hartplätzen – und zuletzt in der Hallensaison.
Federer wird auch noch seine Chance bekommen, in den Kampf um Platz 1 eingreifen zu können – selbst bei seinem inzwischen reduzierten Arbeitsprogramm. Die Spekulationen, er habe schliesslich auf Paris verzichtet, weil Nadal sich in Glanzform befinde und er dort keine grösseren Punktepolster in Aussicht habe, sind naiv. Und sie weisen darauf, dass manche den späten Federer noch immer nicht verstanden haben.
Die Top 10 der ATP-Weltrangliste am 15. Mai 2017
Federer ist, mehr denn je nach seiner Verletzungspause des Vorjahres, zum freischwebenden Solounternehmer geworden, der alles den eigenen Bedürfnissen und Prioritäten unterordnet – und zu diesen Prioritäten zählt der oft gekämpfte, oft erfolgreiche Kampf um Platz 1 nicht mehr. Es kann sein, dass sich für Federer noch einmal die Möglichkeit eröffnet, auf den Thron zu steigen. Aber dann nur zu seinen Bedingungen, nicht als Reaktion auf die Konkurrenz.
Volle Konzentration auf Wimbledon
Federer war schon früh in seiner Karriere ein Meister der Strategie und Planung. Kaum ein zweiter im Profisport steuerte seine Karriere so perfekt, keiner dosierte seine Einsätze so punktgenau wie er. Auch deshalb blieb er über viele Jahre fast verletzungsfrei, während sich die Konkurrenz mit allerlei Malaisen abmühte. Nun, da ihm der eigene Körper auch zusetzt, denkt Federer noch radikaler und konsequenter als vor fünf oder zehn Jahren.
Immerhin gönnt er sich nun zwischen dem Masters-Sieg in Miami und dem Start beim Stuttgarter ATP-Wettbewerb zweieinhalb Monate Ruhepause. Aber Federer hat mit seinem Überraschungscoup in Melbourne Anfang 2017 bewiesen, dass er sich vor diesen langen Auszeiten und mangelnder Spielpraxis nicht übermässig fürchten muss. Er kann, wenn er will, mächtig in Schwung kommen. Vor allem: Mächtig schnell. In diesem Fall: rechtzeitig zu Wimbledon.