Den Weg in den St.-Jakob-Park hat sich Murat Yakin am Mittwoch geschenkt. Er kennt ja aus eigener Anschauung und mit eigenem Zutun, was für den FC Basel in diesem Stadion möglich ist. Während der glorreichen Premierensaison 2002 in der Champions League stand Yakin noch selber auf dem Platz, zehn Jahre später führte er den FCB in der Europa League hintereinander erst in die Halb-, dann in die Viertelfinals.
Champions League, sagte Murat Yakin am Dienstag, «das ist eine ganze andere Ebene.» Auf seiner Ebene hat der Trainer genug mit den Grasshoppers zu tun, die an diesem Samstag (19 Uhr) die rotblauen Überflieger empfangen.
Natürlich war auch Yakin beeindruckt vom Basler Auftritt gegen Benfica. Aber er ergänzt mit yakinscher Gelassenheit – und das nimmt ihm durchaus ab, wer ihn als Trainer in Basel erlebt hat, also in sich ruhend: «Ich habe mich nie um die Lage des Gegners gekümmert. Das Hauptaugenmerk richte ich auf meine eigene Mannschaft.»
Die Auszeit von der Auszeit
Gut 20 Monate lange hat Murat Yakin beim FC Basel als Trainer gewirkt, zwei Meistertitel hat er gewonnen, ehe sich der Club von ihm trennte, weil der Beziehungsstatus kompliziert war zwischen all den Kräften, die im FCB damals wirkten. Er ist danach umgehend zu einem Abenteuer bei Spartak Moskau aufgebrochen, und nach der dortigen Entlassung hat er sich erst einmal um die Familie, um seine heute dreijährige Tochter und seine Immobilien gekümmert.
«Ich bin happy und zufrieden mit allem gewesen», erzählt Yakin von seiner Auszeit, «aber am Schluss bin ich doch zu gerne Trainer. Ich will auf dem Platz arbeiten, mit dem Ball, ich will Spiele gewinnen, das Fachwissen umsetzen und einen Schritt vorwärts kommen.»
Yakin und GC: «Der Kreis schliesst sich»
Im Januar heuerte er wieder an und setzte in ein ereignisreiches Jahr 2017 ein. Der Schritt zum FC Schaffhausen in die Zweitklassigkeit überraschte zunächst viele. Noch verblüffender war es, wie er den Tabellenletzten mit einer Siegesserie bis auf Schlussrang 4 führte. Und weil die Welle in dieser Saison weiter geritten wurde, schien da eine graue Maus des Schweizer Fussballs in einem nigelnagelneuen Stadion und mit einem schillernden Trainer an die Tür zur Super League anzuklopfen.
Yakin hat jedoch eine Abkürzung genommen. Vor fünf Wochen wurde der abrupte Wechsel zum Grasshopper Club nach Zürich verkündet. Bruder Hakan nahm er als Assistenztrainer gleich mit, und im Tausch schickte GC U21-Coach Boris Smiljanic als neuen Cheftrainer nach Schaffhausen. Wie es sich für eine Partnerschaft gehört, die erst im Januar verkündet worden war, fand alles in Minne statt. So schildert es zumindest Murat Yakin.
Der Schritt zu den Grasshoppers überrascht schon nicht mehr. Seit den Tagen, als der ewige Fussballexperte Erich Vogel den jungen Murat Yakin beim FC Concordia entdeckte und zu GC holte, sind die Kontakte nach Zürich geblieben. Seinen Lebensmittelpunkt hat Yakin schon länger an der Limmat. Im Trikot von GC und unter Trainer Christian Gross wurde die Schweiz Mitte der 90er-Jahre auf die Champions-League-Landkarte gehievt. «Der Kreis schliesst sich», sagt Yakin, «und es ist eine tolle Chance.»
Unübliche Methoden und die jüngsten Torschützen
Was er angetroffen hat, ist ein zusammengewürfelter Haufen, für den GC-Sportchef Mathias Walther nicht nur Komplimente erhalten hat. Noch ist Yakin dabei, sich ein Bild von den Qualitäten seines Kaders und jedes Einzelnen zu machen und sich Fragen zu beantworten wie: «Wer erfüllt seine Aufgaben?»
In seinen ersten Tagen hat Murat Yakin schon mal Erstaunliches bewirkt. Vier Spiele, acht Punkte, ungeschlagen auf Platz 5. «Wenn man gewinnt, vereinfacht das die Arbeit», sagt der 43-Jährige, «der Teamspirit ist dabei ausschlaggebend für mich.»
Bei der Arbeit auf dem GC-Campus in Niederhasli wenden die Yakin-Brüder zumindest in der Schweiz durchaus unübliche Methoden an. So stehen ein-, zweimal die Woche sowohl die erste Mannschaft als auch die von Hakan Yakin trainierte U21 gemeinsam auf dem Platz. Diese Doppeltrainings, bei denen rund 40 Spieler in Gruppen aufgeteilt werden, hat Murat Yakin auch schon in Thun praktiziert.
Unter dem Aspekt des Jugendkonzepts, das der chronisch klamme Rekordmeister seit Jahren propagiert, jedoch auch immer wieder verwässert hat, erscheint das durchaus sinnvoll. Jedenfalls darf sich GC seit dem vergangenen Wochenende und dem 3:0-Sieg in Lugano damit rühmen, die beiden jüngsten Torschützen der Saison in ihren Reihen zu haben: Nedim Bajrami und Petar Pusic, beide erst 18-jährig.
Yakins aktueller Plan: nichts Kompliziertes
Seinen Ansatz bei den Grasshoppers reduziert Yakin zunächst einmal auf zwei Aspekte: «Es ist nichts Kompliziertes: den Spielern Vertrauen geben und Freude am Fussball vermitteln.» Und zum «gewissen Plan», mit dem er die Mannschaft aufs Feld schickt, fügt der Trainer Yakin zusätzlich die Weisheit hinzu, die ihn seine Karriere über stets ausgezeichnet hat: Er nennt es «die nötige Siegermentalität».
Daraus wurde bereits eine kleine Serie von insgesamt fünf Spielen ohne Niederlage (ein Spiel unter Interimstrainer, mit der sich die Mannschaft anfänglicher Abstiegssorgen erst einmal entledigt hat, ohne dabei zu brillieren. «Gegen den Ball zu schaffen ist einfacher, als mit dem Ball kreativ zu sein», sagt Yakin. «Jetzt sind erst einmal Punkte wichtig, und die holt man unter anderem mit defensiver Stabilität.»
Wicky und Yakin und die Wegkreuzungen
Den Umbruch in Basel, in seiner Heimat, hat Yakin natürlich verfolgt. «Spannend» findet er das Projekt, und er sagt über seinen Kollegen Raphael Wicky: «Ich bin froh, dass es eine Schweizer Trainerlösung ist. Das ist eine Chance für Raphael Wicky, und wenn man schon grosse Veränderungen vornimmt, dann muss man mit den Neuen auch Geduld haben.»
Die beiden kennen sich gut. Sie haben zusammen das Nationalmannschaftstrikot getragen, und als Wicky 2009 seine aktive Karriere beendete, schnupperte er beim FC Thun, wo Murat Yakin seine erste Sporen als Trainer in der Super League abverdiente.
Dem langjährigen Walliser Freund Martin Schmidt, damals Thuner U21-Trainer und heute Bundesligacoach, schaute Wicky über die Schultern, er gestaltete unter Yakin Stürmerübungen für die erste Mannschaft, und als Einsteiger ins Trainermetier durfte er im Winter mit ins Traininingslager in die Türkei.
Beim FC Basel kreuzten sich die Wege wieder, als Yakin die erste Mannschaft und Wicky die U18 trainierte. Berührungspunkte gab es zwar nicht oft, aber an die Zeit erinnert sich Wicky gerne: «Es war eine sehr offene und angenehme Zusammenarbeit.»
«Die Motivation gegen den FCB ist riesig»
Nun begegnen sie sich erstmals als Kontrahenten, und Murat Yakin verspricht einen heissen Tanz: «Die Motivation ist riesig: Mit einem Sieg machen wir unseren Zuschauern Freude, und wir können in der Tabelle am FCB vorbeiziehen.» Das wäre dann schon sehr viel mehr, als man sich vor ein paar Wochen bei den Grasshoppers hätte ausmalen mögen.