Murray steckt im Dilemma – an den ATP-Finals herrscht Langeweile

Vor wenigen Tagen fragte sich Andy Murray, ob er am Turnier der besten Acht überhaupt antreten soll. Für ihn wichtiger ist der Davis-Cup-Final in einer Woche – und überhaupt hat die WM dasselbe Problem wie 2014.

Andy Murray of Britain wipes his face after he plays a return to Rafael Nadal of Spain during their singles tennis match at the ATP World Tour Finals at the O2 Arena in London, Wednesday, Nov. 18, 2015. (AP Photo/Kirsty Wigglesworth)

(Bild: Keystone/KIRSTY WIGGLESWORTH)

Vor wenigen Tagen fragte sich Andy Murray, ob er am Turnier der besten Acht überhaupt antreten soll. Für ihn wichtiger ist der Davis-Cup-Final in einer Woche – und überhaupt hat die WM dasselbe Problem wie 2014.

Es war eine leicht bizarre Szene, die sich da am Mittwoch auf dem Centre Court der Londoner O2-Arena abspielte. Etwas ungläubig sahen 18’000 Augenzeugen und einige Millionen an den Bildschirmen, wie der lokale Tennisheld Andy Murray plötzlich eine Schere aus seiner Ausrüstungstasche hervorkramte und sich ein paar widerspenstige Haare abschnitt.

Irgendwo zwischen Verwunderung, Amüsement und leichter Verärgerung schwankten die Reaktionen der Betrachter. Vielleicht weil Murray seine frisurtechnischen Korrekturen in einem Moment anbrachte, da er gegen Matador Rafael Nadal schon auf dem besten Weg war, eine heftige Niederlage bei der Tennis-WM zu kassieren.

Muss sich Murray wundern, wenn ihm nun unterstellt wird, vielleicht nicht das letzte Engagement zu zeigen?

Die Frage, die sich mancher etwas zugespitzt stellte: Wie ernst nahm und nimmt Murray eigentlich dieses Saisonfinale der acht Besten, das abschliessende Tourspektakel vor der eigenen Haustür?

Murray wehrte die Spekulationen nach der herben Abfuhr gegen Nadal mit wortreicher Entschlossenheit ab. Doch dass Zweifel und Verdächtigungen aufkamen, ist keineswegs so abwegig.

» Die Resultate und Ranglisten an den ATP World Tour Finals

Denn Murray, der am Freitag gegen den Schweizer Stan Wawrinka im letzten Vorrundenspiel um einen Platz im Halbfinale kämpft, kommt die WM in diesem Jahr buchstäblich ungelegen – der ohnehin umstrittene Termin kollidiert mit höheren Interessen, nämlich mit dem historischen Davis-Cup-Endspiel, das die Briten am übernächsten Wochenende in Belgien austragen.

So weit hergeholt ist die These da nicht, dass Murray in London nur mit kontrollierter Leidenschaft und Energie ans Werk geht – und schon gar nicht an irgendwelchen Entfesselungsakten bastelt, wenn Matches wie gegen Nadal nicht in seinem Sinne laufen.

Murrays Frage, ob er die WM überhaupt bestreiten soll

Die Kalkulation liegt ja auch offen auf der Hand: Die  ATP World Tour Finals in London, mindestens bis 2018 dort angesiedelt, kann Murray in seiner Karriere noch öfter gewinnen. Einmal, mehrfach. Aber für den Triumph im Nationenwettbewerb bietet sich für Britannien und seinen Tennis-Star nach menschlichem Ermessen nur 2015 ein einmaliges Zeitfenster – die Chance auf einen geschichtsträchtigen Coup.



Rafael Nadal of Spain serves to Andy Murray of Britain during their singles tennis match at the ATP World Tour Finals at the O2 Arena in London, Wednesday, Nov. 18, 2015. (AP Photo/Kirsty Wigglesworth)

Rafael Nadal, Andy Murrays Bezwinger in den Gruppenspielen der ATP World Tour Finals. (Bild: Keystone/KIRSTY WIGGLESWORTH)

Muss sich Murray wundern, wenn ihm nun unterstellt wird, vielleicht nicht das letzte Engagement zu zeigen? 

Keinesfalls. Denn der Schotte selbst war es, der nach dem Finalvorstoss der Briten im Davis Cup sogar seine Teilnahme an der WM in London infrage stellte. Und der öffentlich sinnierte, ob er beide Arbeitstermine seriös bestreiten könne, erst die WM, dann den Davis Cup.

Die ewigen Terminprobleme der Tenniswelt

Erst nachdem ihn ATP-Offizielle heftig ins Gebet nahmen und Murrays eigene Fans protestierten, sagte der Schotte zu – leichten, unbeschwerten Herzens aber sicher nicht. Er traue sich zu, beide Events zu meistern, sagte der 28-Jährige dann vor den ersten Ballwechseln gegenüber der Presse in London.

Überzeugung lag freilich nicht in seiner Stimme.

Murrays Dilemma wirft auch ein Schlaglicht auf die ewigen Terminprobleme in der Tenniswelt, auf die zersplitterte Macht, auf die vielen nebeneinander laufenden Interessenstränge. Denn dass zwei so bedeutende Veranstaltungen wie die WM und der Davis-Cup-Final in zwei aufeinanderfolgenden Wochen stattfinden, noch dazu am Ende einer auszehrenden Saison, ist eigentlich kaum sinnvoll zu erklären.

Zu lange dauert die Spielzeit im Herrentennis ohnehin schon. Und dann wird sie auf den letzten Metern auch noch mit Highlights dicht aufeinander befrachtet.

Fehlende Überraschung durch die Randfiguren

Wozu das führt, ist bei der WM einmal mehr nicht zu übersehen: Die Superstars, die sich früh für das Londoner Spektakel qualifizierten und den Luxus haben, sich längere Ruhepausen zu gönnen, wirken noch einigermassen ausgeruht und tatendurstig.

Aber die Spät-Qualifikanten wie Ferrer oder Nishikori, also Spieler, von denen man sich im Idealfall eine Überraschung erwarten dürfte, sind platt und ausgepumpt, erscheinen nur wie Statisten, Randfiguren des grossen Spiels.

Und so hat die Langeweile in den Vorrundenspielen 2015 genau wie 2014 hohe Konjunktur, selten sind Matches überhaupt umkämpft. Erst im entscheidenden Gruppenspiel könnte sich das nun ändern, für den Heimspieler Murray, für den Rivalen Stan Wawrinka. Und für die WM überhaupt.

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