«Nach den Anden will ich die Alpen bezwingen»

In Chile ist er ein Star, der vor seinem Wechsel zum FC Basel täglich am TV zu sehen war. In der Schweiz muss sich Marcelo Díaz diesen Status erst erarbeiten. Aber der 25-Jährige hat Grosses vor.

«Ich mag das Gefühl, auf dem Spielfeld gebraucht zu werden.» Marcelo Diaz im Dress des FC Basel auf der Suche nach Anspielmöglichkeiten. (Bild: Keystone/ALESSANDRO DELLA VALLE)

In Chile ist er ein Star, der vor seinem Wechsel zum FC Basel täglich am TV zu sehen war. In der Schweiz muss sich Marcelo Díaz diesen Status erst erarbeiten. Aber der 25-Jährige hat Grosses vor.

Es ist ein warmer Sommertag, der FC Basel hat eben gegen seinen Trikotsponsor ein Mätschli gespielt und Marcelo Díaz hat Zeit für ein Gespräch über seine Popularität in Chile, seine Lehrzeit in der Schweiz und einen Satz, der in seiner Heimat zum Markenzeichen geworden ist.

Marcelo Díaz, dürfen wir dieses Gespräch aufnehmen? Oder kommt nun ein Satz, der in Chile Kult zu sein scheint: Dejate de grabar – hören Sie auf aufzunehmen?
Ah, Sie haben die Videos auf dem Internet gesehen (lacht)? Aber klar, Sie dürfen aufnehmen.

Sie sprechen den Satz in jede Kamera, der Sie begegnen. Wieso?
Entstanden ist das Ganze aus einem Witz, den ich mit dem Medienchef meines Ex-Clubs Universidad de Chile gemacht habe. Dann hat es sich verselbstständigt und ist zu einem Running Gag geworden. Inzwischen ist es so, dass mich die Menschen in Chile auffordern, den Satz zu sagen, wenn sie mich fotografieren oder filmen.

Das sagt einiges darüber aus, welche Position Sie in Chile haben. Sie sind eine Art Fussball-Held.
Ich weiss nicht, ob ich mich als Helden bezeichnen soll. Aber ich denke, ich bin in Chile sehr beliebt.

Sie geniessen in Ihrer Heimat also einen Status, den Sie sich in der Schweiz erst wieder erarbeiten müssen.
Ja, das stimmt. Im letzten Jahr habe ich in Chile einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Das habe ich zurückgelassen, als ich nach Basel gekommen bin. Aber ich versuche mit meinen Fans in Chile via Twitter und Facebook in Kontakt zu bleiben.

An diesen Kurznachrichten kann man sich aber auch die Finger verbrennen. Zuletzt wurde der Schweizer Olympia-Fussballer Michel Morganella Opfer seiner eigenen blöden Aussagen auf Twitter.
Das weiss ich. Ich gebe deswegen auch acht, was ich schreibe. Meist bedanke ich mich einfach bei den Leuten für ihre Kommentare und veröffentliche nicht meine persönliche Meinung zu einem Thema.

Sprechen wir von Ihrem Schritt von Chile in die Schweiz. Ist das für Sie ein Abenteuer?
Es ist ein Traum. Schon als Kind habe ich davon geträumt, einmal in Europa spielen zu können. Und diesen Traum habe ich mit meinem Wechsel nach Basel verwirklicht.

Das heisst, Sie haben das Gefühl, dass Sie in Europa mehr gewinnen können, als Sie in Südamerika zurücklassen?
Gewinn in welcher Hinsicht?

«Ich hatte viele andere Angebote.
Aber in Basel kümmert man sich
gut um mich und meine Familie.»

Wir sprechen nicht alleine vom Geld. Auch sportlich – und als Mensch.
Ich habe in Chile alles erreicht, was ich mir vorgenommen hatte. Dann kam der Moment, in dem ich den Schritt nach Europa wagen wollte. Um zu sehen, wie man hier lebt, wie man hier arbeitet. Und bislang ist das, was ich hier erlebe, das Beste, was mir passieren konnte. Ich hoffe, es geht so weiter.

Sie haben gesagt, dass Sie im letzten Jahr in Chile wahnsinnig populär geworden sind. Hatte der FCB das Glück, dass er Sie verpflichten konnte, bevor Sie total durch die Decke gegangen sind?
Ehrlich gesagt, hatte ich viele andere Angebote. Aber was mich am FC Basel gereizt hat, war einerseits die Möglichkeit, dass ich hier die Chance habe, in der Champions League oder zumindest in der Europa League zu spielen. Dazu kämpft der FCB ständig um nationale Titel. Wirklich ausschlaggebend war aber, dass mir Trainer Heiko Vogel gesagt hat, dass man sich in Basel gut um mich und meine Familie kümmern werde. Das ist für mich viel wichtiger, als woanders mehr Geld zu verdienen. Und tatsächlich fühle ich mich hier bereits zu Hause.

Ihre Karriere ist nicht immer schnurgerade verlaufen. Sie waren zwar als Junior ein zentraler Mittelfeldspieler, aber dann haben Sie jahrelang auf dem Flügel gespielt. Wieso?
Als ich aus dem Nachwuchs in die erste Mannschaft von Universidad gekommen bin, hatte der Trainer nach drei, vier Spielen auf dem rechten Flügel eine Lücke. Danach habe ich fast vier Jahre lang als rechter Flügel gespielt, obwohl ich mich dort nie richtig wohl gefühlt habe. Ich habe es auf dieser Position einfach nicht gebracht. Doch erst als ich 2010 zu La Serena ausgeliehen wurde, durfte ich zurück ins Zentrum.

Die Jahre auf dem Flügel waren also verlorene Zeit?
Nachdem ich als Zentrumsspieler zu Universidad zurückgekehrt bin, wurde ich ins Nationalteam berufen und konnte einen Transfer nach Europa machen. Das beweist, dass in der Mitte meine beste Position ist. Aber ich bereue die Zeit als Flügelspieler nicht. Ich konnte Erfahrung sammeln.

War für Sie immer klar, dass Sie Fussballprofi werden würden?
Ich hatte die schönste Kindheit, die man sich vorstellen kann, in einem Aussenbezirk von Santiago de Chile. Mein Vater war Bauarbeiter und meine Mutter Hausfrau. Dann bin ich mit 15 zu Universidad de Chile gekommen – und da hat meine Kindheit geendet. Denn ab da habe ich mich ganz auf den Fussball konzentriert.

Und welchen Beruf würden Sie ausüben, wenn Sie nicht Fussballer geworden wären?
Ich habe die obligatorische Schulzeit in Chile ganz normal mit einem Abschluss beendet. Als Erstes wäre mir wohl eine Karriere als Berufsmilitär in den Sinn gekommen. Jetzt aber ist das anders. Wenn meine Karriere zu Ende ist, möchte ich in Chile eine Berufsausbildung als Journalist machen.

In welche Richtung? Print, Radio, Fernsehen?
Mir gefällt das Fernsehen sehr.

Das heisst, die Schweizer TV-Stationen sollten mehr Interviews mit Ihnen führen?
Ja, das mag ich wirklich. In Chile war ich praktisch jeden Tag irgendwo am TV zu sehen.

«Am Ende hatte ich nirgends
mehr Ruhe. Alle wollten ein
Foto oder Autogramm von mir.»

Ist das angenehm?
Ich mag das, ja. Ich habe so die Anerkennung der Menschen gespürt.

Konnten Sie sich denn in Santiago noch normal auf der Strasse bewegen, einkaufen gehen oder etwas in Ruhe auswärts essen?
Am Ende nicht mehr, nein. Da hatte ich nirgends mehr Ruhe, weil alle ein Foto wollten oder ein Autogramm.

Das könnte einem mit der Zeit auf die Nerven gehen.
Nein, überhaupt nicht. Mir gefällt das.

Ein paar FCB-Spieler gehen vorüber. Sie rufen auf Spanisch derbe Scherze in Richtung von Díaz. Der gibt zurück.

In Chile sind Sie der Star. In Basel sollen Sie zwar Leader im Mittelfeld sein – aber diese Position müssen Sie sich erst erarbeiten. Wie macht man das? Ich nehme nicht an, dass Sie in die Kabine marschieren und sagen: Hallo zusammen, ich bin der Chef.
Nein. Aber ich bin vom Team wirklich sehr gut aufgenommen worden. Sie sehen das ja selbst, wenn die Spieler vorbeigehen, behandeln sie mich wie jemanden, der bereits seit Jahren Teil der Mannschaft ist. Und auf dem Spielfeld mag ich das Gefühl, dass ich gebraucht werde, dass ich wichtig bin. Das brauche ich einfach.

Spüren Sie das in Basel bereits?
Ich fühle mich mit jedem Spiel wichtiger. Ich habe zwar noch nicht jene Hauptrolle, die ich bei Universidad innehatte. Aber es geht jeden Tag besser. Ich muss mich erst an die Aufgabe gewöhnen, die ich in Basel habe. Ich muss die Sprache lernen. Und ich muss mich an die Schweizer Mentalität gewöhnen, die natürlich total anders ist als jene in Chile.

Was ist denn so anders an den Mentalitäten?
Die Schweizer sind viel kühler. In Südamerika sind die Leute viel offener, viel warmherziger.

Woran bemerken Sie das? Einfach so, wenn Sie auf die Strasse gehen?
Ja. Überall, wo es Leute hat, merkt man das. In Chile sind die Menschen total anders.

Glauben Sie, dass diese Umstellung ein Problem für Sie werden könnte?
Nein, gar nicht. Ich fühle mich sehr wohl. Die Leute hier begegnen mir mit Respekt. Das macht mich glücklich.

«Der Fussball in der Schweiz
ist strategischer. In Chile
ist das Spiel freier.»

Sie haben kurz nach Ihrer Ankunft in der Schweiz befürchtet, dass die Integration für Ihre Frau und Ihren dreieinhalbjährigen Sohn schwieriger sein könnte als für Sie selbst. Weil Sie ja den Fussball haben, an den Sie sich halten.
Diese Furcht hatte ich. Ich bin ja mit ganz klaren Zielen hierher gekommen, nämlich Fussball zu spielen. Meine Familie sitzt in der Zeit zu Hause, das könnte zum Problem werden. Aber im Moment sieht es nicht danach aus. Es gefällt den beiden, und es scheint, als ob sie sich von Tag zu Tag besser integrieren würden. Klar – wenn mein Sohn beim Spiel die anderen Kinder nicht versteht, kann das ein Problem sein. Aber das wird besser werden. Er sagt bereits «danke». Und wir wissen nicht einmal, wo er dieses Wort aufgeschnappt hat. Ich will ihn in eine Krippe schicken, damit er Deutsch lernt.

Und was machen Sie, um sich in Basel zu verständigen?
Ich möchte als Erstes gut Englisch sprechen. Und dann kommt natürlich Deutsch. Wichtig ist, dass ich mit meinen Mitspielern sprechen kann.

Sie haben die Unterschiede zwischen den Mentalitäten von Chilenen und Schweizern angesprochen. Wie sehen die auf dem Platz aus?
Es wird schon ein anderer Fussball gespielt. Hier in der Schweiz verhält man sich viel taktischer. In Chile heisst es: Angreifen! Verteidigen! Angreifen! Verteidigen! Die ganze Zeit. Hier ist die Herangehensweise ganz anders.

In Ihrem ersten Ligaspiel für Basel wirkten Sie überrascht davon, wie früh Sie bei Ballbesitz gestört wurden. Sie schienen nicht den Raum zu haben, den Sie sich aus Chile gewohnt sind, um Ihr Spiel aufzuziehen.
Ja, das stimmt. Hier wird viel mehr mit Pressing gespielt. Und zwar mit gut organisiertem Pressing. Das führt dazu, dass man viel strategischer spielt. In Chile ist das Spiel freier. In den ersten beiden Partien musste ich mich erst umgewöhnen. Aber ich lerne mit jeder Begegnung dazu.

«Ihr könnt beruhigt sein:
Mein Ziel ist viel höher als alles,
was ihr euch vorstellt.»

Ist es denn spannend, einen neuen Stil kennenzulernen?
Ich musste mich noch nie derart umstellen wie jetzt. Aber man muss sich im Leben ja sowieso immer anpassen. Ich sehe es als Lehre für die Zukunft.

Und wenn Sie sich eingewöhnt haben, was dürfen wir dann von Ihnen erwarten?
Solange ich das Leibchen des FC Basel trage, werde ich es mit meinem Leben verteidigen. Ich werde einhundert Prozent geben, um die Liga zu gewinnen, um die Champions League zu erreichen. Ich will jeden Tag besser werden. Ihr könnt beruhigt sein: Mein Ziel ist viel höher als alles, was ihr euch vorstellt.

Wenn Sie das alles einlösen, werden Sie nicht lange das FCB-Trikot verteidigen: Weil Sie dann in eine grössere Liga weiterziehen.
Lassen Sie mich diesen Vergleich ziehen: Universidad ist der grösste Verein in Chile. Und ich habe dort den grösstmöglichen Status erreicht. Das heisst, ich bin in Chile bis zu den Gipfeln der Anden gekommen. Und nun hatte ich die Wahl, entweder weiterzureisen – oder wieder zurück nach Chile. Ich habe mich entschieden, weiterzureisen. Und in der Schweiz will ich genau dasselbe erreichen: Ich will die Alpen bezwingen – und erst dann weiter.

Übersetzung: Maurizio Manetta

Marcelo Diaz
Bereits als 15-Jähriger kam Marcelo Alfonso Díaz Rojas (25) zu Universidad de Chile, neben Colo-Colo der bedeutendste Club des Landes. Doch es brauchte 2010 eine Ausleihe zu La Serena, um die Karriere des 1,66 m kleinen Mittelfeldspielers zu lancieren. Nach seiner Rückkehr zu Universidad im selben Jahr wurde er zum Rückgrat des Teams und gewann mit «la U» dreimal die Liga und 2011 die mit der Europa League vergleichbare Copa Sudamericana. 2010 und 2012 stand er mit Universidad jeweils im Halbfinal der Copa Libertadores, Südamerikas Äquivalent zur Champions League. Seit diesem Frühjahr gilt er in Chiles Nationalteam als Stammspieler. Dem FC Basel war sein Transfer rund 4,5 Mil­lionen Franken wert. (fra)

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.08.12

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